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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Gang durch die Festhallen der sächsisch-thüringischen Industrie.
Von Friedrich Hofmann.


Neben der großen Pariser Welt-Industrie-Ausstellung auch eine kleine sächsische in Chemnitz? Wird neben dem riesigen Oceandampfer eine solche Nußschale von Binnenseeboot dem Auge der öffentlichen Beachtung nicht ganz und gar entgehen?

Nein! Wir sind sogar der Ueberzeugung, daß die Deutschen auch außerhalb des engbegrenzten Ausstellungsgebietes dieser sächsisch-thüringischen Industrie-Parade ihre wärmere Theilnahme zuwenden, wenn sie auf einem Gange durch die Chemnitzer Festhallen die wahre Bedeutung derselben erkannt haben.

Der Werth der Ausstellungen ist genau wie das Glück der Länder zu bemessen, die Größe allein thut’s bei beiden nicht; es kommt bekanntlich bei den Staaten nicht darauf an, daß in ihren Gebieten die Sonne nicht untergehe, sondern auf das, was sie bescheint. Ebenso bestimmt den Werth einer Ausstellung nicht die Masse, die nur, wie ein kolossaler Baum, dessen einzelne Blätter wir nicht übersehen können, imponirt, sondern die Güte des Einzelnen, welches seinen Zweig schmückt. – Vor neun Jahren feierte ein kaum sechs Quadratmeilen großes Ländchen, das sogenannte Oberland des Herzogthums Meiningen, ein Industriefest, das mir heute noch unvergeßlich ist. Dieses Ländchen hat keinen schiffbaren Strom, welcher den Transport schwerer Massen erleichterte, keine fruchtreichen Ebenen für die Entfaltung eine maschinenbedürftigen Landwirthschaft, keine großen Städte zur Unterstützung der Kunstgewerbe; es ist ein Bergland, dessen Höhen kaum Hafer und Kartoffeln gedeihen lassen und das nur an seinem Südende seine Waldbachschluchten zu breiteren Thälern und Hügelfluren ausdehnt, – die Berge und der Wald sind sein einziger Reichthum, aber was aus diesen der Fleiß hervorzuziehen vermag, Holz und Gestein, Eisen, Glas und Porcellan, das genügt dem fleißigen, geschickten Völkchen, um die blühendste Industrie zu nähren, die ein so kleines Fleckchen deutscher Erde nur aufweisen kann. Von den mächtigen Maschinentheilen, für welche Hochöfen und Dampfhämmer arbeiteten, bis zur Porcellanvase mit kunstreicher Malerei waren alle Erzeugnisse der Fabrik und der freien Hand vertreten, und die Kinderlust der „Sonneberger Spielwaaren“ feierte Triumphe, die sich bis zu einem Linienschiff verstiegen, das in allen seinen Theilen, Masten, Segel, Geschütz und Menschen, aus Glas gefertigt war. Auch das war eine kleine, sehr kleine Ausstellung, aber sie gab ein Bild von einer in ihrem Gesammterfolge großartigen Industrie.

Dieses Ländchen gehört nun ebenfalls zum Ausstellungsgebiet von Chemnitz, und wenn auch letzteres, welches die Länder des Namens Sachsen (das Königreich und die preußische Provinz), die sächsischen und schwarzburgischen Kleinstaaten Thüringens und das reußische Voigtland umfaßt, noch nicht die Größe von tausend (genau neunhundert dreiundsechszig) Quadratmeilen erreicht, so nimmt doch diese Heimath von sechsthalb Millionen Deutschen durch die Segnungen, welche Natur und Cultur mit gleich freigebiger Hand ihnen geboten, einen obersten Rang wie in Wissenschaft und Kunst, so in Industrie und Gewerbe ein. Umgürtet von drei Gebirgen, die seit Jahrhunderten Hauptsitze deutschen Bergbaues und aller damit verwandter Erwerbszweige sind, vom südöstlichen Harz, vom Erzgebirg und von dem ein untrennbares Ganzes bildenden Thüringer- und Frankenwald; durchströmt von der schiffbaren Elbe, von der Mulde, Saale, Unstrut, Werra, welche die Erzeugnisse der Wälder und Berge, roh und verarbeitet, in die Ferne tragen; geschmückt mit mehr als einer „goldenen Aue“, wo Land- und Gartenbau, Obst- und Blumenzucht in ausgebildetstem Betriebe gedeihen; ausgestattet mit zahl- und volkreichen Städten und wohlgepflegten Residenzen, unter ersteren deutsche Hauptstädte der Kunst und Literatur, des Handels und der Industrie, unter letzteren berühmte Sitze wissenschaftlicher und Kunstsammlungen und Bildungsanstalten, welche das Bedürfniß nach edleren Erzeugnissen des Geistes und der Hand wecken, den Geschmack bilden und den Fleiß lohnen; endlich durchzogen von Eisenbahnen von allen Mittelpunkten des Verkehrs aus durch alle Ebenen und Thäler bis wo die Kämme der Gebirge ihnen Halt gebieten: so stehen die Länder dieses Ausstellungsgebietes vor uns, daß schon ein Blick auf die Karte von Deutschland uns überzeugt, hier pulsire das Herz einer Nation. Und wenn wir nun das Volk dieser Länder selbst näher betrachten, so verkündet uns seine Vergangenheit und Gegenwart, daß es mehr als einmal im Kampf um geistige Freiheit an der Spitze der Deutschen gestanden, wie Wittenberg und Jena deutsche Fackeln der Wahrheit waren, daß die Kleinstaaterei hier ihr einziges Segensreiches gewirkt: Volksbildung bis in die äußersten Winkel der Ländchen zu pflegen, und daß ebendarum hier die freien Fortbildungsvereine der arbeitenden Jugend so fröhlich gedeihen, wie in wenigen anderen Ländern. Wo aber der arme Arbeiter wie der einfache Bauer (man lerne die „landwirthschaftlichen Vereine des Erzgebirgs“ kennen, die unter der Leitung des Grafen zur Lippe auf Thum als Muster ihrer Art blühen!) zu der Einsicht gelangt sind, daß nur Bildung die Früchte ihres Fleißes veredelt und ihr Loos verbessert, da kann die Arbeit ihrer Hände auch nur eine gute, eine treffliche sein. Noch mehr: gerade die Länder dieses Ausstellungsgebietes haben seit den Tagen der Reformation in alten großen welterschütternden Kriegen am härtesten gelitten, sie haben die Schlachtfelder zu allen Entscheidungskämpfen, im Reformations- wie im dreißigjährigen, im siebenjährigen wie in den Franzosen-Kriegen hergeben müssen, die gekreuzten Schwerter sind auf keiner Länderkarte so dicht an einander gereiht verzeichnet, als hier, immer wurden kaum verharschte Wunden des Volkswohlstandes von Neuem aufgerissen, kaum entödete Felder von Neuem verwüstet, kaum neuaufgegrabene Erwerbsquellen von Neuem verschüttet, und dennoch ist das Volk dieser Länder heute fähig, in den wichtigsten Zweigen der Industrie und Gewerbe sich selbst neben ein England zu stellen, wo seit Jahrhunderten kein feindlicher Fuß eine Scholle zerstampft und kein innerer Krieg den Frieden eines Hauses zerstört hat. Dadurch aber beweist dieses Volk, daß es ebensoviel Fleiß als Bildung, ebensoviel Energie als Geist besitzt, – und daß es eben darum eine besondere Beachtung in ganz Deutschland werth ist, wenn ein solches Volk über seine Schaffekraft ein gemeinsames öffentliches Zeugniß ablegt.

Von diesem Standpunkt aus habe ich die Chemnitzer Ausstellung betrachtet, und will der Leser mir dahin folgen, so wird er sich desselben patriotischen Genusses erfreuen, der in den deutschen Festhallen der sächsisch-thüringischen Industrie mir das Herz erhoben hat.

Und somit treten wir unseren Gang an. Einerlei woher wir kamen, der Dampfwagen führt in denselben Bahnhof und der Weg von da zum Ausstellungsgebäude giebt unseren staunenden Augen die Lehre, welche wahrhaft amerikanische Wachsthumskraft eine Stadt durch eine blühende Groß-Industrie empfangen kann. Vor etwa fünfzig Jahren eine Stadt von kaum siebenzehntausend Einwohnern und noch 1834 erst bis etwa zweiundzwanzigtausend vorwärts gekommen, bewohnen Chemnitz heute über sechszigtausend in zweitausend dreihundert meist stattlichen, zum Theil prächtigen Häusern und Fabrikherrenpalästen. Schon jetzt nimmt es einen größeren Raum ein, als Leipzig, das, wenn es seine bisherige Vornehmheit gegen den Bevölkerungszudrang von außen länger übte, in kurzer Zeit sich von der rührigeren Schwester an Größe und Volkszahl würde überflügelt sehen müssen.

In Freundesgesellschaft schritt ich über den Schillerplatz dem nahen Ausstellungsgebäude, diesem Ehrenhaus des Bürgergeistes, zu. Schon der erste Anblick desselben erfreut durch das Würdige des Baues. Das Ganze besteht nur aus Holz, Eisen und Glas, hat aber, da die Ausstellung ursprünglich für das vorige Jahr beplant, aber durch den deutschen Krieg unmöglich gemacht worden war, schon über ein Jahr Wind und Wetter Trotz geboten. Nicht durch Pracht und Höhe imponirend, denn nur der vordere Theil des Gebäudes erhebt sich, der dort angebrachten Galerien wegen, über den Parterrebau, aber durch die Ausdehnung der Glieder desselben verkündet er sich sofort als den Sitz einer für deutsche Verhältnisse in der That nicht kleinen Industrie-Parade. Das mit vier Eckthürmen geschmückte Hauptgebäude, welches uns eine seiner Langseiten als Façade des ganzen Baues mit stattlichem Eingang zwischen Portalthürmen entgegenstellt, hat eine Länge von dreihundertundzwanzig Fuß; das ganze Industriegebäude bietet einen Flächenraum von 158,224 Quadratfuß, von welchem die Maschinen allein 54,000 in Anspruch nehmen; außer dem Tisch-

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_391.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)