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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

aber lieblich und voll sinniger Grazie. Den bräunlich grünen Flaum, der sich um die Brust der waldigen Berge legt, während droben noch unangetastet das Schneekrönchen auf ihrem Scheitel sitzt, das feine, grüne Spitzengewebe junger Halme und Gräser über braunen Erdschollen und auf dem verdorrten, vorjährigen Graswuchs der Wiesen und Abhänge – das wandelst du allmählich und leise zu jungen Maienzweigen, zu Schneeglöckchen- und Veilchensträußen, und nach ruhigem Ueberlegen und Behüten holst du, wie der sorgsame Gärtner, endlich die tausendfältige Farbenpracht aus den geschützten Gärten und legst sie auf Hecken, Wiesen und Raine… Und der Hauch deines Mundes ist jene herbkräftige Luft, die Nerven und Sehnen des Thüringer Menschenkindes stählt, die sein Herz empfänglich macht für das Lied, und es zähe ausdauern läßt im Festhalten poetischen Aberglaubens, die ihm erhält seinen Sinn für das Recht, seine Neigung zur Opposition, sein naiv treues Gemüth und – seine himmlische Grobheit!

Weit da drüben lösten sich die grünen Streifen der Saatfelder wie breite Bänder vom Waldessaum ab und liefen thaleinwärts. Das jüngste Kirschbäumchen, wie der wilde, knorrige Birnbaum standen weißlockig und leuchtend an ihren Grenzen, auf verschiedenem Piedestal ein gleich jugendliches Haupt – eine Unparteilichkeit der Natur, die der Mensch vergeblich ersehnt… Auf der Brüstung der Galerie blühten Hyacinthen, Maiblumen und Tulpen, und zu beiden Seiten der Glasthür standen mächtige Syringen- und Schneeballenbüsche in Kübeln.

Felicitas rückte den kleinen runden Tisch in den Vorbau und daneben den bequemen Lehnsessel der alten Mamsell. Sie legte eine frische Serviette auf und machte die kleine Kaffeemaschine zurecht; das noch zu vollendende Kinderzeug wurde daneben gelegt, und als es in der kleinen Messingkanne sang und zischte und ein köstlicher Moccaduft auf die Galerie hinausströmte, da saß die alte Mamsell behaglich in ihrem Lehnstuhl und blickte träumerisch hinaus in die sonnenbeschienene Frühlingswelt.

Felicitas hatte ihre Arbeit wieder aufgenommen.

„Tante,“ sagte sie nach einer kleinen Pause, jedes ihrer Worte betonend, „er kommt morgen.“

„Ja, mein Kind, ich weiß es aus der Zeitung; da steht die Notiz aus Bonn: ‚Professor Hellwig geht zu seiner Erholung auf zwei Monate nach Thüringen.‘ … Er ist ein berühmter Mann geworden, Fee!“

„Ihm mag sein Ruhm leicht werden. Er kennt nicht die Qual, die das Mitleiden der Pflicht gegenüber verursacht… Er schneidet in das Fleisch und in die Seelen seiner Mitmenschen mit gleichem Behagen.“

Die alte Mamsell heftete erstaunt ihren Blick auf Felicitas’ Gesicht; dieser Ton von unsäglicher Bitterkeit war ihr neu.

„Hüte Dich, ungerecht zu werden, mein Kind!“ sagte sie nach einem momentanen Schweigen langsam und mit unbeschreiblicher Milde.

Felicitas sah rasch auf[WS 1] – ihre braunen Augen erschienen in diesem Augenblick fast schwarz.

„Ich wüßte nicht, wie ich es anfangen sollte, nachsichtiger über ihn zu denken,“ entgegnete sie; „er hat sich schwer an mir versündigt, und ich weiß – ich würde es nie beklagen, wenn ihm ein Leid widerführe, und wenn ich ihm zu einem Glück verhelfen könnte, ich würde keinen Finger deshalb bewegen –“

„Fee –“

„Ja, Tante, das ist die Wahrheit! … Ich habe stets ein ruhiges Gesicht zu Dir heraufgebracht, weil ich Dir und mir die kargen Stunden unseres Beisammenseins nicht vergällen wollte; Du hast oft an den Frieden meiner Seele geglaubt, während es in ihr stürmte… Lasse Dich in den Staub treten, täglich, stündlich – höre, wie Deine Eltern geschmäht werden, wie man sie Gottverfluchte nennt, denen Du alle Dir angedichteten Fehler verdanken sollst – fühle das Streben nach Höherem in Dir und lasse Dich unter Hohnlachen hinabstoßen in die ungebildete Sphäre, weil Du arm bist und kein Recht hast an höhere Bildung – siehe, wie diese Deine Peiniger den Nimbus der Frömmigkeit tragen und Dich ungestraft im Namen des Herrn geistig vernichten dürfen – und trägst Du das Alles ruhig, empört sich nicht jeder Blutstropfen in Dir, kannst Du verzeihen, so ist das nicht die Duldsamkeit eines Engels, sondern die feige, sclavische Unterwerfung einer schwachen Seele, die es verdient, daß man ihr den Fuß auf den Nacken setzt!“

Felicitas sprach fest, mit tiefer, klangvoller Stimme. Welche Gewalt hatte dieses merkwürdige, junge Geschöpf über sein Aeußeres! – kaum, daß es die Hand hob bei den leidenschaftlichen Worten, die über seine Lippen strömten.

„Der Gedanke, daß ich jenem Steingesicht wieder gegenüber stehen soll, regt mich mehr auf, als ich Dir sagen kann, Tante!“ fuhr sie nach einem tiefen Athemholen fort. „Er wird mit der Stimme ohne Herz und Seele Alles wiederholen, was er seit neun Jahren schriftlich an mir verbrochen hat… Wie der grausame Knabe, der ein armes, geflügeltes Geschöpf am Faden flattern läßt, so hat er mich an dies schreckliche Haus gebunden und dadurch den letzten Willen des Onkels in einen Fluch für mich verkehrt… Kann es etwas Grausameres geben, als seine Handlungsweise mir gegenüber? Ich durfte keine geistigen Fähigkeiten, kein weiches Herz, kein empfindliches Ehrgefühl haben – das Alles war unstatthaft bei einem Spielerskind; seine schmachvolle Abkunft konnte nur gesühnt werden dadurch, daß es eine sogenannte Magd des Herrn werde, eines jener armen Geschöpfe mit möglichst engbegrenztem Gesichtskreis.“

„Nun, darüber sind wir hinausgekommen, mein Kind!“ sagte Tante Cordula mit einem feinen Lächeln. „Uebrigens wird jedenfalls mit seiner Ankunft ein Wendepunkt für Dich eintreten,“ fügte sie ernster hinzu.

„Nach verschiedenen Kämpfen sicher – Frau Hellwig gab mir heute den Trost, es werde dann Alles ein Ende haben.“

„Nun, und dann werde ich Dir nicht mehr zu wiederholen brauchen, daß Du drunten ausharren müßtest, um den letzten Willen Dessen zu ehren, der Dich in sein Haus genommen und wie ein eigenes Kind geliebt hat… Dann bist Du völlig frei und wirst die Pflegerin Deiner alten Tante vor aller Welt, und wir dürfen nicht mehr fürchten, auseinander gerissen zu werden, denn die drunten haben sich ihres Rechtes begeben.“

Felicitas sah mit leuchtenden Augen auf, sie ergriff rasch die kleine, welke Hand der alten Mamsell und zog sie an ihre Lippen.

„Und denke nicht schlimmer von mir, Tante, seit Du tiefer als bisher in mein Inneres gesehen hast,“ bat sie mit weicher Stimme. „Ich liebe die Menschen und habe eine sehr hohe Meinung von ihnen, und wenn ich mich so energisch gegen geistigen Tod gewehrt habe, so hat mich zum Theil auch der Gedanke angetrieben, in ihrem Kreis mehr zu sein, als ein gewöhnliches Lastthier… Werde ich auch durch Einzelne gemißhandelt, so bin ich doch weit entfernt, meine Anklage über die gesammte Menschheit auszudehnen – ich habe nicht einmal Mißtrauen gegen sie. … Dagegen bin ich nicht im Stande, meine Feinde zu lieben und die zu segnen, die mir fluchen. Ist das ein dunkler Punkt in meinem Charakter, so kann ich’s nicht ändern, und, Tante – ich will auch nicht, denn hier ist die haarscharfe Grenze zwischen Milde und Charakterlosigkeit!“

Tante Cordula schwieg und heftete den trüben Blick auf den Boden. … Hatte sie auch einen Moment in ihrem Leben, wo sie nicht, oder nur mit unsäglicher Ueberwindung verzeihen konnte? … Sie ließ das Gespräch absichtlich fallen, nahm selbst Nadel und Faden zur Hand, und nun wurde ununterbrochen gearbeitet, und als der Abend hereindämmerte, war ein stattliches Bündel fertig. Tief in seinem Innern steckte der silberne Kern, jenes kleine Capital, das der arme Tischlermeister von den „Gottbegnadeten“ vergebens erfleht hatte und welches er nun unbewußt empfing aus den Händen der sogenannten Ungläubigen.

Als Felicitas die Wohnung der alten Mamsell verließ, war es schon lebendig im Vorderhause. Sie hörte das Kind der Regierungsräthin, die kleine Anna, lachen und plaudern, und der Vorsaal im zweiten Stockwerk hallte wieder von kräftigen Hammerschlägen. Das junge Mädchen flog durch den Corridor, der in den Vorplatz mündete. Dort stand Heinrich auf einer Leiter und befestigte Guirlanden über einer Thür. Bei Felicitas’ Erblicken schnitt er eine urkomische Grimasse, in welcher Grimm, Spott und Laune um die Oberhand stritten, und schlug noch einige Mal heftig auf die unglücklichen Nägelköpfe, als sollten sie zu Brei zermalmt werden, dann stieg er herunter.

Die kleine Anna hatte mit feierlichem Ernst die Leiter gehalten, damit sie nicht umfallen solle, als sie aber Felicitas erblickte, da vergaß sie ihres wichtigen Amtes, wackelte schwerfällig auf sie zu und schlang zärtlich die Aermchen um deren Knie. Das

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: arf
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_387.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)