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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

konnten doch damit die Spuren des Verfalles nicht verwischt werden.

„Gut, daß Du kommst, meine liebe Fee!“ rief sie dem jungen Mädchens entgegen. „Bei Tischler Thiemanns kann aller Augenblicke der Storch in’s Haus fliegen, wie mir eben die Aufwartfrau sagte, und die Leute haben auch nicht das kleinste Stückchen Wäsche für das arme Kindchen… Unser Vorrath ist noch recht anständig, wir werden ein ganz hübsches Bündel zusammenbringen, nur daran fehlt es“ – sie setzte ein Mützchen von rosa Kattun an ihre kleine Faust und hielt eine schmale, weiße Spitze daran. „Das könntest Du gleich fertig machen, Fee,“ fuhr sie fort, „die Sachen müssen auf jeden Fall heute Abend noch hingeschafft werden.“

„Ach,“ Tante Cordula,“ sagte Felicitas, indem sie Nadel und Faden zur Hand nahm, „damit ist den Leuten nicht allein geholfen – ich weiß ganz genau, Meister Thienemann braucht auch Geld, und zwar fünfundzwanzig blanke Thaler.“

Die alte Mamsell überlegte.

„Hm, es ist ein wenig viel für meine gegenwärtigen Finanzen,“ meinte sie, „aber es wird doch gehen.“

Sie erhob sich mühsam. Felicitas reichte ihr den Arm und führte sie nach dem Musikzimmer.

„Tante,“ sagte sie plötzlich stehenbleibend, „die Frau Thienemann hat sich vor Kurzem geweigert, Deine Wäsche zu besorgen, um es nicht mit Frau Hellwig zu verderben – hast Du nicht daran gedacht?“

„Ich glaube gar, Du willst Deine alte Tante auf’s Eis führen!“ rief die alte Mamsell bitterböse, aber der Schalk leuchtete aus ihren Augen. Sie fuhr leicht mit den Fingern über die Wange des jungen Mädchens. Beide lachten und schritten nach dem Glasschrank.

Dies schwerfällige, altväterische Möbel hatte auch seine Geheimnisse. Tante Cordula drückte auf eine harmlos scheinende Verzierung, und an der äußeren Seitenwand sprang eine schmale Thür auf. Der sichtbar werdende Raum war die Bank der alten Mamsell, und in früheren Zeiten hatte er für Felicitas’ Kinderaugen den Nimbus einer Christbescheerung gehabt; denn nur selten durfte sie einen scheuen halbbefriedigten Blick auf all’ die hier aufgespeicherten Kostbarkeiten und Raritäten werfen. Auf den schmalen Regalen lagen einigen Geldrollen, Silberzeug und Schmucksachen.

Während die Tante eine Rolle anbrach und die Thaler bedächtig zählte, ergriff Felicitas eine in der dunkelsten Ecke stehende Schachtel und öffnete sie neugierig. Es lag ein goldener Armring, weich auf Watte gebettet, darin; kein edler Stein blitzte an dem Reifen, allein er wog schwer in der Hand und mußte wohl massiv von Gold sein. Was aber ganz besonders an ihm auffiel, das war sein Umfang – einer Dame wäre er sicher über die Hand geglitten, er schien somit weit eher für das derbe Handgelenk eines kräftigen Mannes bestimmt zu sein. Nach der Mitte zu wurde er bedeutend breiter, und hier hatte der Grabstichel in wundervoller Weise Rosen und feines Gezweig zu einem Medaillon in einander geschlungen. Der Kranz umfaßte folgende Verse:

„Swa zwei liep ein ander meinent
„herzelichen âne wanc
„Und sich beidiu sô vereinent,“

Das junge Mädchen drehte den Ring nach allen Seiten und suchte eine Fortsetzung; denn wenn auch des Altdeutschen nicht mächtig, übersetzte sie doch mit Leichtigkeit den letzten Vers in die Worte: „Und sich Beide so vereinen,“ – das war aber kein Schluß.

„Tante, kennst Du das Weitere nicht?“ frug sie, immer noch eifrig suchend.

Die alte Mamsell hielt den Finger auf einen eben hingelegten Thaler und sah mitten im Zählen auf.

„O Kind, über was bist Du da gerathen!“ rief sie heftig – es lag Unmuth, Schrecken und Trauer zugleich in ihrer Stimme. Sie griff rasch nach dem Armband, legte es mit bebender Hand in die Schachtel und drückte den Deckel darauf. Ein feiner, rother Fleck brannte plötzlich auf der einen Wange, und die gerunzelten Augenbrauen gaben ihrem Blick etwas düster Brütendes – ein nie gesehener Anblick für das junge Mädchen. Ja, es schien fast, als versänke die Gegenwart völlig vor einer gewaltsamen Fluth plötzlich heraufbeschworener Erinnerungen, als wisse die alte Dame gar nicht mehr, daß Felicitas neben ihr stehe, denn nachdem sie mit fieberhafter Hast die Schachtel in die gewohnte Ecke gestoßen hatte, ergriff sie einen daneben stehenden, mit grauem Papier beklebten Kasten und fuhr streichelnd und liebkosend mit der Rechten über die abgestoßenen Ecken desselben; ihre Züge wurden milder, sie seufzte und murmelte vor sich hin, während sie ihn gegen ihre eingesunkene Brust drückte: „Es muß vor mir sterben … und ich kann es doch nicht sterben sehen!“

Felicitas schlang ängstlich die Arme um die kleine, schwächliche Gestalt, die in diesem Augenblick wie hülf- und haltlos vor ihr stand. Es war zum ersten Mal seit ihrem neunjährigen Verkehr, daß die Tante die Herrschaft über sich selbst verlor. So zart und hinfällig in der äußeren Erscheinung, hatte sie doch unter allen Umständen einen merkwürdig starken Geist, eine unerschütterliche Seelenruhe gezeigt, die kein äußerer Anlaß aus dem Gleichgewicht zu bringen vermochte. Sie hatte sich mit jeder Faser ihres Herzens liebend an Felicitas angeschlossen und alle ihre Kenntnisse, ihren ganzen Schatz kerngesunder Lebensansichten in die junge Seele niedergelegt, aber vor ihrer Vergangenheit lagen heute noch wie vor neun Jahren Siegel und Riegel. Und nun hatte Felicitas in unvorsichtiger Hast an dies scheu verschlossene Stück Leben gerührt – sie machte sich die bittersten Vorwürfe.

„Ach, Tante, verzeihe mir!“ bat sie flehentlich – wie kindlich rührend konnte dieses junge Mädchen bitten, das Frau Hellwig einen Starrkopf, ein Stück Holz genannt hatte!

Die alte Mamsell fuhr sich mit der Hand über die Augen.

„Sei still, Kind, Du hast nichts verbrochen, aber ich, ich schwatzte kindisch wie das Alter!“ sagte sie mit erloschener Stimme. „Ja, ich bin alt, alt und gebrechlich geworden! Früher, da biß ich die Zähne zusammen, die Zunge lag still dahinter, und ich stand stramm nach außen – das will nicht mehr gehen – es ist Zeit, daß ich mich hinlege.“

Sie hielt den kleinen, schmalen Kasten noch immer zögernd in den Händen, als ringe sie nach Muth, das ausgesprochene Todesurtheil gleich zu vollziehen. Allein nach einigen Augenblicken legte sie ihn rasch an seine frühere Stelle und schloß den Schrank. Und damit schien auch ihre äußere Ruhe zurückzukehren. Sie trat an den runden Tisch, der neben dem Schranke stand und auf welchen sie das Geld hingezählt hatte. Als sei nicht das mindeste Störende vorgefallen, nahm sie die Rolle wieder auf und legte noch zwei Thaler zu den blanken Reihen.

„Das Geld wollen wir in ein sauberes Papier wickeln,“ sagte sie zu Felicitas – an ihrer Stimme hörte man freilich noch den schwer bekämpften inneren Aufruhr – „und das Päckchen in die kleine rothe Mütze stecken, da ist doch schon etwas Segen darin gewesen, ehe das junge Köpfchen hineinkommt… Und Heinrich soll heute Abend punkt neun Uhr auf seinem Posten sein – vergiß das ja nicht!“

Die alte Mamsell hatte nämlich auch ihre großen Eigenheiten – sie war lichtscheu, und zwar in ihren Thaten. Sie wurden, wie die Fledermäuse, erst mit der Nacht lebendig und klopften an die Höhlen der Armuth, wenn die Straßen leer und die Menschenaugen müde waren… Heinrich war seit langen Jahren die rechte Hand, von der die linke nicht wissen sollte, was sie thue; er trug die Unterstützungen der alten Mamsell mit einer Schlauheit und Unsichtbarkeit in die armen Wohnungen, als könne er für dergleichen Wege seine schwerfällige Hausknechtshülle völlig abstreifen – so kam es, daß viele in der Stadt unwissentlich das Brod der alten Mamsell aßen, von der sie die ungeheuerlichsten Dinge glaubten und nöthigenfalls beschworen… Das war gewiß eine schwer verständliche Eigenheit für jene frommen Seelen, die mit Inbrunst das Bibelwort festhalten, das da heißt: „Lasset Euer Licht leuchten.“

Während Tante Cordula das Geld mit peinlicher Genauigkeit einpackte, öffnete Felicitas die Glasthür, die nach der Galerie führte. Es war Ende Mai… O du vielbesungener Frühling, wie Wenige wissen um dein Walten im Thüringer Lande! Du bist nicht jener blondlockige, ausgelassene Knabe des Südens, dem es wie Champagner durch die Adern braust und dessen Fußstapfen mühelos Orangenblüthen und Myrthen entsprießen. Hoheit liegt auf deiner Stirn und um deine Lippen blüht das ruhige Lächeln tiefsinnigen Schaffens. Du mischest die Farben bedächtig und untermalst deine Bilder in langsamer Behaglichkeit; wir folgen deinen Pinselzügen mit stiller Freude – sie sind nicht kühn und gewaltig,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_386.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)