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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Absicht, denselben bis zur Ankunft Ihres Gatten zurückzuhalten und dann wieder laufen zu lassen?“

„Ich wollte weiter nichts!“

„Aber,“ begann der Präsident plötzlich wieder ernst werdend, „Sie sagten mir doch, daß Sie nicht schuldig wären, und nun haben Sie unumwunden zugestanden, daß Sie den Briefträger K. vorsätzlich und mit dem Bewußtsein der Freiheitsentziehung in das Zimmer eingeschlossen haben. Wie wollen Sie das aufklären?“

Die Angeklagte schwieg.

Die Fragen waren ungeheuer rasch aufeinander gestellt worden, die Antworten unter dem Einflusse der Erregung eben so rasch gegeben. Der Vorhalt des Präsidenten schien der Angeklagten die Folgen dieser Antworten vor Augen zu führen; sie mußte mit einem Male übersehen, daß sie mit einer sorglosen Offenheit auch das zugestanden hatte, was sie nicht hatte zugestehen wollen, vielleicht auch nicht hatte zugestehen sollen, um die Strafe abzuwenden. Diese Erkenntniß versetzte sie in einen Zustand der tiefsten Niedergeschlagenheit. Ihre Festigkeit war damit zu Ende und ihr Muth plötzlich aufgezehrt durch das Schuldbewußtsein und durch die Furcht und die Angst vor der Strafe. Um sich aufrecht zu erhalten, umklammerte sie mit beiden Händen die Lehne der Bank. Dann machte sie verschiedene Versuche zu sprechen, allein erst nach unsäglicher Anstrengung gelang dies.

„Mein Gott! mein Gott! ich habe ja nichts Böses thun wollen!“ rief sie mit wahrer Seelenangst.

Dabei suchten die Hände die Lehne der Bank festzuhalten, sie umschlossen das Holz mit Aufwendung aller Kraft, aber der Druck ließ bald nach, die Finger lösten sich, die Angeklagte verlor den Halt, sie wankte und fiel zurück auf die schwarze Bank. Einen Moment blieb sie regungslos, dann schlug sie beide Hände vor das Gesicht und weinte, laut und tiefschmerzlich. –

War dies nicht Strafe genug? War dies nicht ausreichende Genugthuung für den Beleidigten? Wiegen die Thränen, die eine solche Angeklagte öffentlich weint, nicht unendlich schwer? Ist das so gefühlte Leid nicht bitterer, die so gezeigte Demüthigung nicht empfindlicher? Konnte der Richter, da Niemand an Leib oder Gut Schaden gehabt, das Vergehen nicht für gesühnt erachten? –

Der Präsident begnügte sich mit der Antwort, welche die Angeklagte aus der gepreßten Brust hinausgeschrieen hatte. Der Widerspruch war damit allerdings nicht aufgeklärt, das Zugeständniß aber auch nicht widerrufen, es behielt seine volle Beweiskraft. Auf der Anklagebank sind solche Widersprüche gar nicht selten. Die Scheu und die Scham lassen es an dieser Stelle nicht immer dazu kommen, daß die Schuld direct eingestanden, die That mit dem wahren Namen genannt wird, selbst wenn das Schuldbewußtsein dazu drängt.

Bei der weiteren Verhandlung durfte die Angeklagte sitzen bleiben; eine andere Vergünstigung konnte ihr nicht gewährt werden.

Die Beweisaufnahme brachte eigentlich nichts Neues zur Sprache, sie hatte nur insofern Interesse, als das Motiv zur That mehr entschleiert und die Angeklagte dadurch noch tiefer gedemüthigt wurde. Der Auftritt mit dem Briefträger K. war keineswegs von kurzer Dauer gewesen. Die Angeklagte hatte auf alle nur denkbare Weise versucht, den Brief in die Hände und, als diese Versuche mißlangen, wenigstens zu Gesicht zu bekommen. Die Aufschrift, aus welcher sie den Absender errathen haben mochte, und die beharrliche Weigerung des pflichttreuen Beamten, in der sie persönliche Kränkung finden zu müssen glaubte, hatten sie in große Aufregung versetzt und die That begehen lassen. Aus den von den Zeugen bekundeten einzelnen Aeußerungen und Handlungen der Angeklagten ergab sich die That als Ausfluß einer maßlosen Eifersucht.

Das Vergehen war unzweifelhaft festgestellt, das Strafgesetz mußte zur Anwendung kommen, der Vertheidiger vermochte das nicht abzuwenden.

Der Staatsanwalt stellte seinen Antrag in tiefer Bewegung. Er forderte die Verurtheilung zu drei Monaten Gefängnißstrafe, erklärte aber, daß er im vorliegenden Falle eine weit geringere Strafe verlangen würde, wenn das Gesetz für dies Vergehen eine solche zuließe.

Das Urtheil lautete demgemäß auf drei Monate Gefängnißstrafe.

Von da ab, wo sie gerufen hatte: „ich habe ja nichts Böses thun wollen!“ verblieb die Angeklagte völlig theilnahmlos. Der Schmerz, den die Erkenntniß des begangenen Unrechts erzeugt hatte, mußte tiefer, einschneidender gewesen sein als der, welchen die Verurtheilung zu einer entehrenden Strafe hervorrief.

E.




Ein deutsches Sanges-Jubelfest.


Silberkanne
dem Kölner Männergesangverein geschenkt von der Königin Victoria.

Mit dem Aufschwung, den der öffentliche Geist in Deutschland seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s des Vierten von Preußen genommen, begann auch eine neue Aera für das deutsche Lied. Als kurz nach dem Regierungsantritt des neuen Königs das Gedicht Nicolaus Becker’s:

den deutschen Nationalgeist mächtig anregte, trat an vielen Orten im Vaterlande das Bedürfniß hervor, dem Gesange, zunächst dem patriotischen Liede, die lange vernachlässigte Kunstform wieder zu geben. Nach dem gegen Frankreich gerichteten Liede Becker’s, das mit der Beseitigung der orientalischen Frage und des Ministeriums Thiers bald verscholl, tauchte das Lied vom deutschen Vaterlande des alten Arndt wieder auf, den der neue König eben wieder in Amt und Würden eingesetzt hatte. Reichardt’s schöne Composition erforderte vierstimmigen Männergesang. Herwegh folgte mit den „Liedern eines Lebendigen“, Hoffmann von Fallersleben mit den „Unpolitischen Liedern“, Prutz, Seeger u. A. tauchten auf, fanden ihre Componisten und es ging ein frischer Hauch der Begeisterung durch die lange unter den Fesseln des Polizeistaates niedergehaltenen deutschen Herzen. Die Liedertafeln, die seither das Quartett lediglich zu geselligen Zwecken gepflegt, erweiterten sich und traten in die Oeffentlichkeit, um der herrschenden Stimmung Ausdruck zu geben, und als Ende 1841 der Kriegslärm sich gelegt hatte, erfolgte im Frühling darauf die Constituirung des Männergesangvereins zu Köln. Am 27. April gründeten dreißig Sänger und Sangesfreunde den neuen Bund, der bald zu großer Bedeutung sich empor schwingen sollte. Der Domorganist und Dirigent der Singakademie, Franz Weber, übernahm die Leitung.

Das damals durch die Begründung der Eisenbahnen mächtig aufblühende Köln war, wie kaum eine andere deutsche Stadt, zur Pflege der populärsten aller Künste berufen. Von allen Seiten zogen neue Ansiedler in die alte Stadt, täglich mehrte sich die Zahl der tüchtigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_380.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)