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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 24.   1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.      Vierteljährlich 15 Ngr.      Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Wo es irgend möglich gewesen, hatte der Steinmetz das Wappen des Erbauers des Hauses, eines Ritters von Hirschsprung, angebracht. Die steinernen Thür- und Fenstereinfassungen, ja, selbst einzelne Quadern der Fußboden zeigten den majestätischen Hirsch, wie er, die Vorderläufe hoch hebend, zum grausigen Sprung über einen Abgrund ansetzte. Auf den Thürpfosten einer der großen Staatsstuben im Vorderhause befanden sich auch die Bildnisse des Erbauers und seiner Ehegesponsin, langgestreckte Gestalten in Barett und Schneppenhaube. Der ehrenfeste Ritter blickte mit unvergänglich herausforderndem Stolz in die Welt, aus der längst sein Staub und seine „für ewig“ besiegelten und verbrieften Ansprüche hinweggeweht waren.

Felicitas stand droben an der Mündung der Treppe und sah mit großen, verwunderten Augen in eine halboffene Thür, die sie nicht anders als verschlossen kannte. … Wie sehr mußte die Ausführung ihres Racheactes alles Denken der sonst so peinlich pünktlichen Hausfrau in Anspruch genommen haben, daß sie darüber Schloß und Riegel vergessen konnte! … Hinter der Thür lag ein scheinbar endloser Corridor, der über eines der Hintergebäude hinlief und in welchen verschiedene Thüren mündeten. Eine derselben stand offen und ließ in eine Rumpelkammer mit einem sehr hochliegenden Mansardenfenster sehen. Sie war vollgestopft mit altem Gerümpel und da seitwärts an einem Rococo-Armsessel lehnte auch das Bild der Frau Commercienräthin. Es war nicht einmal gegen eine schützende Wand gekehrt; Staub und Spinnen durften sich nun ungestört des Gesichts bemächtigen, das dem Maler in der stolzen Ueberzeugung gesessen hatte, es werde für Kind und Kindeskinder bis in die fernste Zeit ein Gegenstand hoher Verehrung sein.

Die großen, hervortretenden, etwas lüsternen Augen hatten, so nahe gesehen, etwas Furchterregendes für das Kind – es wandte sich ängstlich ab, aber in dem Moment fuhr es wie ein Stich durch das kleine Herz und das Blut brauste nach dem Kopfe – den mit Seehundsfell überzogenen Koffer dort am Boden kannte ja die kleine Felicitas ganz genau! … Scheu, mit angehaltenem Athem, schlug sie den Deckel zurück – da lag obenauf ein hellblaues Wollkleidchen, dessen Säume und Bündchen zierliche Stickerei zeigten. Ach ja, das hatte ihr Friederike eines Abends ausgezogen, und dann war es verschwunden, und die kleine Felicitas mußte dafür ein abscheuliches, dunkles Kleid anlegen.

Immer tiefer und heftiger wühlten die kleinen Hände – was kam da Alles zum Vorschein, und wie stürmte es in der Kinderseele bei diesem Wiedersehen! … Alle diese Gegenstände, so elegant, als sollten sie den vornehmen Körper einer kleinen Prinzessin umhüllen, hatte die todte Mutter in den Händen gehabt. Felicitas erinnerte sich mit peinlicher Schärfe des süßen Gefühls, wenn die Mama sie angekleidet und mit ihren sammetweichen zarten Fingern berührt hatte. … Ach, hier tauchte auch das buntscheckige Kätzchen auf, das einst der ganze Stolz des Kindes gewesen! Es war auf eine kleine Tasche gestickt. – Halt, da steckte auch etwas drin, aber es war kein Spielzeug, wie das Kind anfänglich meinte, es war ein hübsches Petschaft von Achat, auf dessen silberner Platte derselbe majestätische Hirsch sich bäumte, den das Mauerwerk des Hellwig’schen Hauses bis zum Ueberdruß zeigte. Unter dem Wappen stand in feinen, flüchtigen Zügen M. v. H. … Das hatte gewiß der Mama gehört, und das Kind hatte einst die räuberische, kleine Hand danach ausgestreckt. – –

Höher und höher wuchs die Fluth der Erinnerungen und auf manche fiel ein Strahl des gereiften Verständnisses. Jetzt begriff sie jene Momente, wo sie, aus dem ersten Schlaf aufschreckend, den Vater im goldblitzenden Wamms und die Mutter mit den aufgelösten blonden Locken an ihrem Bettchen stehen sah – sie waren aus der Vorstellung heimgekommen … und da war auch jedesmal auf die arme Mama geschossen worden, und das Kind hatte so ahnungslos in das todtenbleiche Gesicht gesehen; es wußte aber noch, daß es an solchen Abenden stets stürmisch, wie in athemloser Hast, an das Mutterherz emporgerissen worden war. …

Stück um Stück der neuentdeckten Schätze wurden gestreichelt und geliebkost und dann sorgsam in den Koffer zurückgelegt, und als der Deckel Alles wieder verschloß, da schlang das Kind seine Arme um den kleinen, vielgereisten Kasten und legte das Köpfchen darauf – sie waren ja alte Cameraden, Zwei, die zusammen gehörten in der weiten Welt, welche nicht so viel Heimathboden für das Spielerskind hatte, als auch nur sein kleiner Fuß bedeckte. … Jetzt sah das erst so wildtrotzige Gesichtchen mild und versöhnt aus, als es, die zarte Wange auf die von den Motten halb zerfressenen Decke des Koffers gepreßt, mit geschlossenen Augen regungslos dalag.

Durch das Fenster zog die laue Luft aus und ein und hauchte einen Strom balsamischer Düfte in den abgelegenen, stillen Bodenwinkel … wie konnte sich dies berauschende Aroma, das ganzen Resedabeeten entquellen mußte, so hoch in die Lüfte versteigen? Und was waren das für Töne, die jetzt von fern herüber mit ihm herein strömten? … Felicitas öffnete die Augen und setzte sich horchend auf. Das konnte nicht die Orgel der nahen Barfüßerkirche sein – der Gottesdienst war ja längst aus. Ein gebildeteres

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_369.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)