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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Nur Kunstgenossen und Mitglieder, nur alte, Freunde kommen mitunter zu ihm; nur Vertraute verkehren mit ihm. Wer ihn aber heimsuchen darf, der findet immer einen gastlichen Wirth, einen freundlichen Bekannten, einen mittheilsamen Gelehrten, einen unermüdlichen Arbeiter. Und auch das Häuschen sieht drinnen im Garten weder so klein noch so versteckt aus, wie es von außen erscheinen mag Es gewährt den freien Blick auf den Main, den Blick hinüber auf die malerischen Thürme von Steinheim, hinüber in die blauen Berge des Freigerichtes, des Baierlandes. So sieht Gutzkow die schwere Arbeit der deutschen Nation noch immer unvollendet zu seinen Füßen liegen. Hier den trennenden Strom und die schwarzweißen Grenzpfähle; dort die bescheideneren roth- und blauweißen; nirgend die alleinigenden, ewig hehren, schwarzrothgoldenen. Aber noch liegt ja, wie die schwere Sorge um das Unfertige und Zerbröckelte, so auch der volle Tag vor uns; auf denn, du mein deutsches Volk, an die Arbeit!




Goldelse als Buch. Wir sind überzeugt, der Name braucht nur genannt zu werden, um weit und breit freundliche Erinnerungen, einen wohlmeinenden Nachklang genußreicher Stunden zu wecken. Hat die Erzählung schon überall eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit erregt, als sie im vorigen Jahre in unsern Blättern die Welt durchzog, so wird sie wohl kaum einer Empfehlung bedürfen, da sie nun allein kommt und die Kraft ihrer eigenen Schwingen erproben will. Nur über die Gründe, welche die Verlagshandlung bewogen haben, von ihrem bisherigen Grundsatze abzugehen und eine bereits von der Gartenlaube mitgetheilte Novelle noch einmal als Buch erscheinen zu lassen, glauben wir mit einigen Worten uns aussprechen zu müssen.

Ein Journal verfügt nur über ein bestimmtes, genau zugemessenes Terrain, auf welchem nicht alle zur Aufnahme bestimmten literarischen Producte in demselben Umfange Platz finden können, wie sie der freien Schöpfungskraft des Autors entwachsen sind. Um die wesentlichen Bestandtheile und Schönheiten einer interessanten Arbeit für ihre Leser zu retten und bei den ohnehin störenden Zwischenräumen von einer Nummer zur anderen den Gang der Entwickelung nicht unnöthig aufzuhalten, muß sich vielmehr eine Redaction oft genug mit zagendem Herzen zu dem eben so delicaten wie schwierigen Geschäfte entschließen, gerade den werth- und kraftvollsten Erzeugnissen hier einige duftige Blüthen, dort ein frisches Blatt, ein paar schöne Zweige und anmuthige Ranken hinwegzuschneiden. Auch Goldelse hatte leider dieser Procedur sich unterwerfen müssen und dabei manche charakteristische Scene, manchen schönen Gedanken, manche poetische Episode eingebüßt. Es war daher wohl eine Pflicht der Gerechtigkeit, nicht blos gegen den neu in die Literatur tretenden Verfasser, sondern auch gegen das Publicum, eine dichterische Leistung, die sich in ihrer verkürzten Gestalt einen so überaus warmen und zahlreichen Freundeskreis erworben, nun auch in der ganzen Frische und Fülle ihrer ursprünglichen Entfaltung dem Genusse und Urtheil darzubieten. Der so eben (bei E. Keil) erschienene Roman „Goldelse von E. Marlitt“ enthält also Vieles, was sich zwischen den Spalten der Gartenlaube nicht unterbringen ließ.

Für eine selbstständige Ausgabe sprachen aber, neben diesen mehr äußerlichen Rücksichten, auch Gründe innerer Art. Gerade weil die Redaction der Gartenlaube sich bewußt ist, auch auf den novellistischen Theil des Blattes stets eine sehr ernste Sorgfalt verwendet zu haben, und gerade weil sie ihren Lesern im Laufe der Jahre eine nicht unbeträchtliche Zahl anerkannt brillanter, nach Inhalt und Form wirklich vollendeter Erzählungen aus der Hand der bewährtesten Meister zu bieten vermochte, mußte ihr der glänzende Erfolg Goldelse’s, wenn auch einerseits eine sehr freundliche Erfahrung, so doch zugleich ein Gegenstand vielfältigen Nachdenkens sein. Denn giebt es auch für eine Redaction kaum eine größere Befriedigung, als ihre nach reiflicher Prüfung erlangte Ueberzeugung von der Vortrefflichkeit eines neuen Products durch den Beifall des Publicums besonders in denjenigen Fällen bestätigt zu sehen, wo es sich um eine Erkenntniß der ersten noch zaghaften Schritte eines frisch auftauchenden Talents handelt, so ist doch durch den bloßen Beifall der eigentliche Werth einer Erscheinung noch keineswegs endgültig festgestellt. Je weniger uns die unzweideutigsten Beweise über den günstigen Eindruck Goldelse’s in Zweifel ließen, um so mehr fühlten wir uns im Interesse unser eigenen Belehrung zu der Frage gedrängt: Worin lag denn nun der Reiz dieser Erzählung? Was war es, was ihr so schnell die Herzen namentlich der Frauenwelt gewonnen, wodurch sie nach Ueberwindung der ersten Eingangscapitel eine bis zum Schlusse sich steigernde Spannung erzeugt und nach ihrer Vollendung ein vielfach mit großer Innigkeit sich kundgebendes Gefühl der Befriedigung zurückgelassen hat?

Die naheliegende Vermuthung, daß hier vielleicht unedleren Neigungen, oberflächlichen und schlimmen Seiten des Zeitgeschmackes geschmeichelt sein dürfte, konnte von vornherein bei uns nicht Platz greifen. Denn eben die zarte und duftige Poesie, der keusche Hauch einer schönen und gesunden Sittlichkeit, welcher die Schöpfung durchweht, hatte uns zur Aufnahme derselben bestimmt, und eben im Hinblicke auf diese ihre Eigenschaften gewährte uns der Erfolg Goldelse’s eine wohlthuende Beruhigung in Betreff unseres deutschen Publicums. Was sich aber sonst noch in Bezug auf die Vorzüge und Mängel, auf Stoff und Gestaltung, auf Staffage und Colorit der Erzählung zur Erklärung ihrer Anziehungskraft unserem Urtheil ergeben hat, darüber hier eine Meinung auszusprechen, dürfte nicht unseres Amtes sein. Das Werk liegt jetzt in geschlossener Gestalt vor, damit es sich selbstständig seinen Weg bahne und nach bereits erlangtem Ruhm die Feuerprobe der Kritik bestehen möge.

Die neue Erzählung desselben Verfassers, deren Anfang die Leser an der Spitze unser heutigen Nummer finden, dürfte übrigens unserem Urtheil nach das Interesse des Publicums selbst in einem noch weit höheren Maße zu fesseln wissen, als dies Goldelse so erfreulich gelungen ist.




Ein kleines Erlebniß aus dem letzten Kriege. „Wir waren,“ so erzählt ein preußischer Lieutenant, „mit klingendem Spiele eines schönen Abends in ein böhmisches Städtchen eingerückt, und wie ein dürstender Hirsch nach frischem Wasser schreit, sehnte sich meine hungrige Seele nach einem guten Quartier und soliden Abendbrode. Bald sah ich auch meinen sehnlichen Wunsch erfüllt und steuerte direct auf ein Häuschen los, das sich durch seinen saubern Anstrich vor seinen Nachbarn vortheilhaft auszeichnete. Ein junges Tischler-Ehepaar, von dem das Haus allein bewohnt ward, nahm mich freundlich auf und erquickte mich, was die Hauptsache war, mit einem gediegenen Abendbrode. Um jedoch das Städtchen, dem wir morgen schon wieder Adieu sagen sollten, wenigstens etwas kennen zu lernen, wurde auf den matten Beinen noch ein kleiner Spaziergang unternommen, und als ich mich todtmüde zurückschleppte, stand schon der Mond am Himmel. Kaum war ich in’s Haus getreten, als ich meinen gastlichen Wirth, einen Deutschen, bat, mir mein Nachtlager anzuweisen.

‚Fürchten Sie sich, Herr Lieutenant?‘ fragte er mich ernst ansehend.

‚Ich glaube gar,‘ polterte ich heraus, ‚wie wird sich ein preußischer Soldat fürchten!‘

‚Auf Ihrem Zimmer stehen nämlich Särge,‘ fuhr der blonde Jünger der edlen Tischlerkunst fort, ‚und ich pflege im Winter, wenn ich weniger zu thun habe, dergleichen auf Vorrath anzufertigen. Da aber manche Menschen eine abergläubische Scheu haben, in der Nähe von Särgen zu schlafen, so erlaubte ich mir die Frage, mit der ich Sie indessen keinesfalls kränken wollte.‘

Mein Wirth zündete jetzt ein kurzes Licht an und führte mich auf mein Schlafzimmer, ein niedliches Stübchen, dessen eine Seite Särge bis zur Decke aufgestapelt einnahmen, und wünschte mir eine ‚gute Nacht‘.

Beim Anblick der Särge konnte ich mich eines leichten Schauders kaum erwehren, da wir Soldaten doch dem Tode alle Tage so nahe standen. Das frisch überzogene schwellende Bett lockte indeß nicht vergebens und bald lag ich in den weichen Kissen und sah auf die weißen Särge, auf die der Mond sein bleiches, geisterhaftes Licht warf; ein leichenartiger Firnißgeruch er Särge erfüllte das ganze Zimmer. Eben als sich der Schlaf mir auf die Augenlider senken wollte, tönte mitten aus den vom geisterhaften Mondlicht beschienenen Särgen ein recht klagendes ‚Ach!‘ Mir ward unheimlich zu Muthe; sollte das, dachte ich bei mir, nicht vielleicht eine Ahnung sein, daß ein naher Verwandter sehr krank ist, oder etwas dem Aehnliches? Ein abermaliges deutliches ‚Ach!‘ schreckte mich aus meinen Betrachtungen auf und deutlich vernahm ich den Ton aus den Särgen; jetzt brach mir der Angstschweiß aus und ich zog mir die Decke über die Ohren, um nichts zu hören und nichts zu sehen, und erst sehr spät schlief ich ein. Als ich am andern Morgen erwachte, fiel mir sogleich der Vorfall des vorigen Abends ein, da durchtönte plötzlich dasselbe ‚Ach!‘ das Zimmer, diesmal aber von einem recht gemüthlichen Gähnen begleitet, und gleich darauf wie zur Bekräftigung schob sich das schlaftrunkene Gesicht des Tischlerjungen zwischen den Särgen hervor und sagte: „Guten Morgen, Herr Lieutenant!“

Am Abend vorher hatte der Junge, um die Bettstelle für mich zu räumen, seine Betten in einen großen Sarg gebracht und darin göttlich geschlafen, und er war der Urheber des gespenstischen ‚Ach!‘ gewesen.“

T.




Kleiner Briefkasten.

B. A–ch in B–n. Es freut uns, daß Ihnen die beiden Illustrationen unserer letzten Nummer, „Sabbathanfang“ und „Sederabend“, so gefallen haben. Sie sind einem Cyklus von sechs Photographien nach Originalzeichnungen von Professor Moritz Oppenheim entnommen, welcher unter dem Titel: „Bilder aus dem altjüdischen Familienleben“ im Verlage von Heinrich Keller in Frankfurt a. M. erschienen und in drei verschiedenen Ausgaben zu dreißig Gulden, acht Gulden sechs Kreuzer und vier Gulden achtundvierzig Kreuzer zu haben ist. Einzelne Blätter der schönen Sammlung kosten je nach ihrer Größe sechs Gulden, einen Gulden fünfundvierzig Kreuzer und vierundfünfzig Kreuzer.




Freiligrath-Dotation.


Bei dem Barmer Haupt-Comité sind wiederum eingegangen: Dr. A. Pusinelli in Dresden 10 Thlr., A. H. 10 Thlr., L. B. in Bochum 5 Thlr, G. 5 Thlr., N. C. in Barmen 5 Thlr., L. das. 5 Thlr., B. das. 10 Thlr., S. das. 5 Thlr., H. das. 5 Thlr., A. das. 5 Thlr., S. das. 5 Thlr., H. das 5 Thlr., W. das. 5 Thlr., F. das. 2 Thlr., N. das. 2 Thlr., H. E. das. 5 Thlr., D. das. 10 Thlr., J. das. 10 Thlr., K. das. 3 Thlr. Gesammte Einnahme bis heute 1137 Thlr.

Bei der Redaction der Gartenlaube: J. L. in Neustadt, Oberschlesien 2 Thlr. 15 Ngr., R. G. in Allstedt 2 Thlr., am 5. März bei H. O. in Bremen gesammelt 7 Thlr. 6 Ngr., M. O. in Gotha 3 Thlr. 5 Ngr., vier in Pest wohnende Deutsche 4 Thlr., Ertrag einer Kindervorstellung 1 Thlr., Pastor Steinacker in Buttelstädt 15 Thlr., Gustav Kühne in Hosterwitz 10 Thlr.




Inhalt: Das Geheimniß der alten Mamsell. Novelle von E. Marlitt. – „Wenn die Schwalben heimwärts zieh’n“. Zu einem Jubiläum. Von Th. D. Mit Portrait. – Eine Stunde bei Paul de Kock. Von Ludwig Kalisch. – Der Herzog von Jerusalem. Ein anderer „heiliger Herr“ – Das Unterwasser-Geschütz. Ein Brief von Wilhelm Bauer. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Zwei „Philosophen“ in ihrer Einsamkeit. – Goldelse als Buch. – Ein kleines Erlebniß aus dem letzten Kriege. – Kleiner Briefkasten. – Freiligrath-Dotation.




Die Deutschen Blätter, Literarisch-politische Feuilleton-Beilage zur Gartenlaube, Nr. 20 enthalten: Der Krieg zwischen Capital und Arbeit. – Umschau: Ein Held und Dulder. – Bewegtes Künstlerleben. – Reclamationen der griechischen Presse. – Heinrich Beitzke. – Ein bewährtes Volksbuch. – Paris amüsirt sich. – Zu den Folgen des Krieges. – Die Sonderlinge. – Eine unsterbliche Ode.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_336.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)