Seite:Die Gartenlaube (1867) 329.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

scherzend bemerkte, sich mit der Horticultur beschäftigt, ohne davon etwas mehr zu verstehen, als irgend ein Pariser, der niemals seinen Stadttheil verläßt. „Ich pflege gern die Pflanzen,“ sagte er, „und finde mich wohl dabei; ob sich aber die Pflanzen unter meiner Pflege eben so wohl befinden, ist eine andere Frage.“

Paul de Kock stammt von einem holländischen Vater und von einer Pariserin, die dieser als Wittwer geheirathet. „Ich habe in meinem Temperamente viel von meiner Mutter und wenig von meinem Vater,“ bemerkte er. „Ich habe nichts Holländisches an mir, wofür ich dem Schöpfer aufrichtig danke. Als ich einst mit einigen meiner holländischen Verwandten einen Tag zubrachte, gähnte ich mich fast zu Tode. Die Holländer sind kalt, phlegmatisch und sehen aus, als ob sie einen Leichenzug begleiteten, und das ist ein hinlänglicher Grund, meine Antipathie zu erwecken.“

Er schüttelte mir derb die Hand, als ich mich von ihm verabschiedete, und äußerte dabei zu wiederholten Malen sein Vergnügen, daß man ihn im Auslande nicht vergesse.

Paul de Kock verräth in seinen Zügen durchaus nicht den Schriftsteller; sein rundes ausdrucksloses Gesicht läßt ungeachtet des grauen Schnurrbartes auf einen Pariser Boutiquier schließen, der sich von den Geschäften zurückgezogen. Als Romanschreiber wird er von der Kritik zu sehr unterschätzt. Es fehlt ihm freilich an Idealität, an höherer Lebensanschauung und er glänzt eben auch nicht durch eine edle Kunstform; er besitzt jedoch eine große Meisterschaft in der Schilderung gewisser Volksschichten und ist reich an komischen und possirlichen Einfällen. Daß er sich oft wiederholt, ist bei dem beschränkten Kreise, der ihm die Gestalten für seine Romane liefert, sehr natürlich; allein es steckt doch in ihm Zeug genug, um selbst einem ernsten Manne einige angenehme Stunden zu bereiten. Ich kenne einen namhaften deutschen Gelehrten, der während eines hartnäckigen rheumatischen Uebels sich an den Romanen Paul de Kock’s gar sehr ergötzte.

Paul de Kock kann sich rühmen, von einem Papste eifrigst gelesen und bewundert worden zu sein. Gregor der Sechszehnte las alle seine Romane und hielt ihn so hoch, daß er an jeden Pariser, der ihm vorgestellt wurde, die Frage zu richten pflegte: „Come sta il caro Signore Paolo de Kock?“ (Wie befindet sich der liebe Herr Paul de Kock?)

Als Lamartine, so erzählt man, bei diesem Papste eine Audienz erhielt, sagte ihm derselbe „Ich höre, daß sie ein Mann von Talent sind und schon manche hübsche Sachen geschrieben haben. Aber wie geht es Ihrem berühmten Landsmann Paul de Kock?“




Der Herzog von Jerusalem.
Ein anderer „heiliger Herr“.[1]


Auf keinem Gebiete hat sich die religiöse Schwärmerei kühner gezeigt, seltsamere Gestalten angenommen und einen weiteren Spielraum gefunden, als in den Erwartungen des tausendjährigen Reiches, welche man unter dem Namen „Chiliasmus“ begreift. In diesem Chiliasmus liegt die Idee einer Welterneuerung auf communistischer Grundlage bei der Wiederkunft Christi, die Erwartung einer politischen und socialen Umwälzung zur Herstellung des Paradiesesstandes auf Erden; die Sehnsucht nach Befreiung von den Uebeln der bestehenden Weltzustände und von den Fesseln der Polizeistaaten, sowie die Hoffnung auf die seligste Gemeinschaft aller Frommen im Besitze einer Gemüthsruhe, welche bei Befriedigung aller äußeren Wünsche durch nichts gestört wird. Mithin ist der Chiliasmus ungefähr dasselbe, was das „goldene Zeitalter“ nach der alten griechischen Sage, die „Messianischen Erwartungen“ in dem Munde der Juden, ein „Utopien“, ein „Eldorado“ im Munde der Poesie sind; das Gebilde einer mit allen Reizen der üppigsten Phantasie ausgeschmückten künftigen Zeitperiode, hervorgegangen aus dem natürlichen Verlangen nach Vollkommenheit und Glückseligkeit und wesentlich unterstützt und gehoben durch Vorstellungen, die in der Bibel vorkommen. Namentlich hat die Offenbarung Johannis im zwanzigsten und einundzwanzigsten Capitel diese Erwartung eines tausendjährigen Reiches der Herrlichkeit mit Bestimmtheit ausgesprochen.

Welche Grübeleien gläubiger Seelen haben schon stattgefunden, um den Zeitpunkt auszurechnen, wo dieses goldene Zeitalter des Christenthums eintreten würde, und welche Ausschweifungen sind aus dieser Erwartung hervorgegangen! Und doch war es dem neunzehnten Jahrhundert vorbehalten, den kühnsten Schwärmer für diese Richtung erstehen zu sehen, dessen Leben, Thaten und Meinungen noch lange nicht hinreichend erklärt sind. Was aber eifrigste Forschungen in den zugänglichen Quellen über ihn bis jetzt zu Tage bringen ließen, theilen wir hiermit unsern Lesern mit. Wir übergehen dabei die vielen fabelhaften und erlogenen Enthüllungen über eine angeblich höchst fürstliche oder gar göttliche Abstammung unsers Helden und treten gleich an diejenige der verschiedenen ihm an den verschiedensten Orten untergeschobenen Wiegen hinan, in welcher er am wahrscheinlichsten das Licht der Welt erblickt hat.

Das Schloß zu Aschaffenburg war, abwechselnd mit Mainz, die gewöhnliche Residenz der Kurfürsten-Erzbischöfe von Mainz und seit 1787 des Coadjutors dieses Bisthums, Karl Theodor’s von Dalberg. In diesem Schlosse war im erwähnten Jahre 1787 eine Nähmamsell angestellt, die Helena Balser hieß, ein Frauenzimmer von bedeutender Schönheit. Diese fand Gnade in hohen Augen und wurde, nach der Unsitte jener traurigen Zeit patriarchalischer Tyrannei, auf hohe Veranstaltung an einen jungen Kunstgärtner Namens Johann Adam Müller in Kostheim verheirathet und dazu reich ausgestattet, um dem auf dem Wege befindlichen hohen geistlichen Sprößling einen Vater vor der Welt zu geben. Als der neue Eheherr den Betrug entdeckte, wollte er sich von preußischen Werbern engagiren lassen. Da erschien ihm ein Engel, aber nicht im Traum und im strahlenden Lichtgewand, sondern in einem schwarzen Priesterrock und verkündigte ihm eine große Gnade, die ihm widerfahren solle, weil ihm der Messias geboren würde, welcher eine Frucht des heiligen Geistes sei. Zu dessen Bekräftigung wurden ihm ansehnliche Geldgeschenke überbracht und ein Avancement zum Chausseeinspector zur Belohnung seiner Verdienste um das Vaterland in Aussicht gestellt. Dieses wirkte und der üble Fleck wurde mit goldnem Lethewasser abgewaschen. Um kein Aufsehen zu erregen, geschah die Niederkunft ohne Zweifel an einem fremden Orte und in heimlicher Weise, woraus sich der Mangel des Eintrags im Kirchenbuch zu Kostheim, den später der junge Müller und seine Vergöttlicher so klug zu benutzen wußten, hinreichend erklären läßt. Auch mochte der eingeschobene Eheherr sich wohl gehütet haben, den Geburts- und Taufact aus der Ferne in die Register von Kostheim auf seinen Namen übertragen zu lassen.

Die Kinderjahre des jungen Müller fielen in eine sehr stürmische Zeit. Schon ein Jahr nach seiner Geburt brach die französische Revolution aus und die brausenden Wogen dieser Volksströmung wälzten sich bis an den Rhein und berührten Mainz und die Umgegend. Ehe noch der französische General Custine mit seinen Truppen im Jahr 1792 vor Mainz erschien, hatte sich der kurfürstliche Hof von Mainz in die zweite Residenz zu Aschaffenburg geflüchtet. In dieser Belagerung litt Kostheim unaussprechlich. Die Bewohner des Ortes flüchteten sich so zeitig, als es nur möglich war, um nicht vom Verderben ereilt zu werden. So pilgerte auch Frau Helena Müller, den blondgelockten Knaben an der Hand, mehrmals hinüber nach Aschaffenburg, wo sie im kurfürstlichen Schlosse stets ihr Asyl fand und von da reich gesegnet zurückkehrte, wenn die Gefahr vorüber war.


  1. Das Leben und Treiben dieses kühnen Schwärmers hat in so engen Beziehungen zu sehr hohen Personen deutscher Höfe gestanden, daß die Quellen, aus welchen die sicherste Wahrheit über ihn zu schöpfen wäre, vielleicht theils für immer vernichtet sind, theils aber so sorgfältig bewacht werden, wie dies z. B. mit dem Ministerialarchiv zu Darmstadt der Fall ist. Auf seine Bitte um Erlaubniß der Einsicht der betreffenden Acten erhielt der Verfasser folgende Zuschrift: „Ew. Wohlgeboren beehre ich mich auf das gefällige Schreiben vom 30. d. M. zu erwidern, daß ich bedaure, dem darin ausgesprochenen Wunsch, um Mittheilung der über den Sectirer Bernhard Müller, genannt Proli, erwachsenen Ministerialacten nicht entsprechen zu können, da sich in denselben eine Menge vertraulicher Correspondenzen befinden, welche sich zur Mittheilung nicht eignen. Uebrigens geben diese Acten auch bezüglich dessen, was für Ew. Wohlgebohren vorzugsweise von Interesse ist, nämlich über den Ursprung, das Wesen und Treiben der Proli’schen Secte, nicht den mindesten Aufschluß.
    Hochachtungsvoll etc.          v. Dalwigk.“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_329.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)