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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Ein Jahr lang folgte er dem Collegienzwang, aber sich mit Justinian und Tribonian auf einen vertrauten Fuß zu stellen wollte ihm trotz seines sonst eminenten Talentes nicht gelingen. Institutionen und Pandecten sagten ihm weniger zu, als die Harmonielehre, die er bei Cantor Weinlig zu studiren begonnen hatte.

Im Frühjahr 1838 hatte der Studiosus juris denn in aller Stille Opus 1 fertig gemacht, Compositionen, die jedenfalls nicht im Sinne des sonst liebenswürdigen, aber doch etwas pedantischen Cantors der Thomasschule waren. Abt hatte sechs Tänze componirt, und er ging nun auf eine Verleger-Entdeckungsreise aus. Diese Rundreise wurde gewöhnlich mit einbrechender Dunkelheit angetreten, damit die Schamröthe im Antlitz nicht so sichtbar sei, wenn abschlägliche Antwort erfolge. Endlich – Land! Land! – Wilhelm Alexander Künzel unterm Fürstenhause in der Grimmaischen Straße biß an, und am Ostersonnabend, den 14. April 1838, war der wichtige Tag, wo Abt seinen Namen zum ersten Mal gedruckt sah und noch dazu mit großer fetter Schrift. Im Leipziger Tageblatt prangte folgende Annonce:

„Freunden der Musik wird hierdurch ergebenst angezeigt, daß heute sechs neue Contretänze für Pianoforte, componirt von Franz Abt, die Presse verlassen haben und zu dem Preise von 8 Groschen bei Unterzeichnetem zu bekommen sind.
Wilhelm Alexander Künzel.“

Für Franz Abt war das Osterfest zugleich ein Auferstehungsfest, eine Himmelfahrt seiner höchsten Gefühle. Die Tänze wurden zwar nur spärlich gekauft, etliche davon aber wurden bei dem Beginn der Gartenconcerte für Orchester arrangirt, was schon Muth einflößte. Die Musikchöre von Hauschild und Lopitzsch brachten sie in zwei damals sehr beliebten Vergnügungsorten der Leipziger, der „großen Funkenburg“ und dem „Thonberg“, zu Gehör.

Unterdessen war auch ein Walzer entstanden, den der berühmte Posaunist Queißer für gut befunden und der in einem Donnerstags-Concert im Garten des Hotel de Prusse zur Ergötzlichkeit des Publicums vorgetragen werden sollte. Mit welcher Erwartung lauschte Abt, als die Tonkunstwerkstätte beisammen, der Dinge, die da kommen sollten! Sein Herz pochte fast noch mehr, als die große Trommel. Der Walzer gefiel, die jungen Damen rührten unter den Tischen ihre Füße und Füßchen, man applaudirte und sogar einzelne Bravos erschallten.

Dies genügte für den Augenblick vollkommen. Junge angehende Dichter und Componisten schenken der Sache aber erst Vertrauen, wenn sie die Meinung des Publicums Schwarz auf Weiß lesen, und schon den zweiten Tag darauf strahlte dem Walzer die „Sonne von Austerlitz“ hinten auf der letzten Seite des Leipziger Tageblattes. Da war für Mit- und Nachwelt unterm 23. Juni 1838 inmitten eines verlaufenen Jagdhundes und einer Einladung zu Fladen und Stachelbeerkuchen Folgendes zu lesen:

„Das vereinigte Stadtmusikchor wird recht sehr gebeten, uns den so ausgezeichneten Walzer von Franz Abt ‚Epheuranken‘ baldigst wieder in einem Concert hören zu lassen.

Mehrere, die am Donnerstag im Hotel de Prusse zugegen waren.“

Der ausgezeichnete Walzer – eine öffentliche Aufforderung zur Wiederholung! Abt traute kaum seinen Augen, er starrte die Annonce an, wie Dorfmusikantens Junge die Doppelgriffe. Sein Verleger Künzel schwamm in Wonne; er warf dem achtzehn und ein halb Jahr alten Componisten aus Respect gleich den „Herr Musikdirector“ an den Hals und acquirirte die ausgezeichneten „Epheuranken“, die ihm fortan zu Goldlack und Tausendgüldenkraut werden sollten.

„Auch dieses!“ rief Abt, „und noch ein Lied dazu.“ – Was war es für ein Lied? Jedenfalls ist es jetzt gänzlich dem Gedächtniß seines Erzeugers entschwunden, ebenso wie seine sechs Contretänze und die Epheuranken, welche er – „ein Werdender wird immer dankbar sein“ – dem Stadtmusikchor zu Leipzig gewidmet. Unter der Devise: „Gefälligst zu beobachten“ wurden Letztere vom Verleger mit Riesenlettern angezeigt. Aber nicht etwa so billig wie die sechs Contretänze, nein, die Epheuranken kosteten zehn Groschen.

Bald darauf kam auch das Lied. Die Bekanntmachung lautete:

Ooch enne schöne Jegend.

Gedicht von G. Hammer. Für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre, componirt von Franz Abt.

Preis zwei Groschen.“

Der Zufall fügte es, daß gleichzeitig Breitkopf und Härtel den Clavierauszug von Lortzing’s komischer Oper: „Czar und Zimmermann“ anzeigten. Auf diesen neu auftauchenden Operncomponisten blickte Abt freudig; in seine Nähe zu kommen, mit ihm bekannt zu werden, war sein innigster Wunsch. Dieser ging in Erfüllung und zwar in der in jenen Tagen viel genannten Restauration von Haring in der Hainstraße, wo vor Beginn der Theatervorstellung sich Schauspieler, Sänger, Schriftsteller und Tonkünstler versammelten. Zu diesen gesellte sich öfters auch der Dichter und Romanschriftsteller. Karl Herloßsohn, welcher zu jener Zeit den „Komet“ redigirte. Der gute „Hadschi“, wie Herloßsohn scherzweis von seinen Freunden genannt wurde, hatte wohl keine Ahnung, daß der bescheiden in der Ecke bei einem Krug Wernsgrüner Bier sitzende junge Mann nach wenigen Jahren eines seiner Gedichte für Gesang setzen werde, das sich als Volkslied einbürgern und so große Sensation erregen sollte.[WS 1]

Es war jene Zeit, wo Theater und Musik der rothe Faden waren, der sich durch das Leben zog. Auch die literarische Welt Leipzigs kannte kaum andere Interessen. Gemüthlich und harmlos saßen während des Sommers im Rosenthal bei Kintschy die Schriftsteller und Componisten zusammen. Der Roman neben der Novelle, das romantische Lied neben der komischen Oper, die Publicistik neben der Kritik. Alle in trauter Harmonie, Domino spielend, plaudernd, sprudelnde Heiterkeit, überschäumende Lust in der Runde. Ebenso im Café national, am Markt, wo Mittags von ein bis zwei Uhr die jüngeren Buchhändler einsprachen und auf der „kleinen Börse“ ihren Kaffee tranken. Gleiches bei Zill im „Tunnel“, wo in den Abendstunden der Liedercomponist Karl Zöllner an seinem Stammtisch erschien, während in den Sommermonaten an der langen Tafel des Einganges die fremden, Engagement suchenden Schauspieler saßen, die meist in barocker Kleidung einhergingen und sich durch gebranntes lockiges Haar, große Siegelringe und Jambenton vor andern Menschenkindern auszeichneten. Es war ein lustiges Künstlervölkchen und Abt bewegte sich mitten darin, er hatte es sogar schon bis zum Dirigenten des philharmonischen Vereines gebracht, den ein gewisser Pätzold, auch ehemals Thomaner, gegründet hatte. Die Mitglieder waren durchgängig Studenten.

So vergingen für Abt die Tage, bis er sich im September 1841 verheirathete. Jetzt galt es, eine feste Anstellung zu suchen, die sich für ihn augenscheinlich in Zürich fand, wo zu jener Zeit Frau Charlotte Birch-Pfeiffer die Theaterdirection führte. Der junge Ehegatte sollte bei ihrer Bühne den 1. October als Dirigent des Orchesters in Amt und Brod kommen. Mit seiner kleinen jungen Frau, einem Herzen voll Liebe und darin schlummernder Lieder, viel Anderes belastete ihn nicht, trat er die Reise nach Zürich an.

Mit Eifer und gutem Willen warf er sich in sein neues Amt; seine Wirksamkeit erlosch aber nur zu bald, denn die Direction sah sich genöthigt, im nächsten Mai schon die Bühne zu schließen. Da trat denn für den Musikdirector eine große Generalpause ein, die zum Glück ein bejahrter Engländer ausfüllte, welcher von Abt Gesangunterricht begehrte. John Bull wollte mit Gewalt singen lernen. Er dachte: viel hilft viel, und wünschte, daß ihm der Lehrer täglich drei Stunden widme; Honorar für die Stunde einen Gulden.

Abt schlug ein; er wurde dadurch einer großen Sorge überhoben und die siebenmonatlichen Theaterquälereien hinter sich, verlebte er heiter mit seiner Frau den ersten herrlichen Frühling in der schönen Schweiz. Seine frohe Stimmung wurde noch durch die Anwesenheit des damals schon gefeierten Liedercomponisten Kücken erhöht, der zum Besuch in Zürich verweilte. Es diesem gleich zu thun, sowie dieser im Reich des Liedes zu schaffen, war der Wunsch des jungen glücklichen Gatten, der zum Dichten und Gestalten in Tönen immer die frühen Morgenstunden wählte, wie es schon Vater Haydn gethan. So schuf er sieben Lieder, wozu er den Text aus Herloßsohn’s „Buch der Liebe“ entlehnte. Die zur Composition sich eignenden Gedichte trugen als Ueberschrift die Namen: Agathe, Irene, Pauline, Adelheid, Agnes.

In einer wahren Weihestunde – es war am 14. Mai 1842, ist also vor wenigen Tagen fünfundzwanzig Jahr gewesen – hatte Abt

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_326.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)