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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Wenn die Schwalben heimwärts zieh’n“.
Zu einem Jubiläum.


„Das ist ein merkwürdiger Klingelzug!“ sagte der alte urgemüthliche Musiktheoretiker Fink, als er in der Mitte der dreißiger Jahre mit dem eben von Düsseldorf nach Leipzig gekommenen Mendelssohn-Bartholdy an der Thomasschule vorüberging und nach der Thür wies, die dicht am Weg nach dem auf die Promenade führenden sogenannten Thomaspförtchen liegt. „Hier, eine Treppe hoch,“ ließ sich Fink weiter vernehmen, „wohnten seit

Franz Abt.

Jahren die Cantoren der alten Thomana. An diesem eisernen Klingeldraht hat Sebastian Bach, haben seine Söhne, haben Doles, Hiller und Schicht gezogen, ja, selbst Mozart, als er einmal bei Doles Quartier genommen.“ Mendelssohn lächelte und sagte: „Auch der alte wackere Zelter, als er mich im Jahre 1821 bei Schicht einführte und ich dem Tonsetzer vom ‚Ende des Gerechten‘ hier in der Thomaskirche eine Probe von der Fertigkeit meines damaligen Orgelspieles ablegen mußte“

Bei diesen Worten spielte ein Lächeln um seine feingeschnittenen Lippen, sein schönes, schwarzes, feuriges Auge blickte empor nach der Wohnung, wo so unsterbliche Werke der Tonkunst entstanden. Noch einmal fiel sein Blick auf den Klingelzug, der im nämlichen Moment hastig von der Hand eines Jünglings ergriffen wurde. Die Thür, durch einen Tritt von oben geöffnet, sprang auf, mit ihr aber zugleich das Herz des Eintretenden, der, freudig erregt, doch ehrfurchtsvoll im Eingang stehen blieb und still nach dem berühmten Tonsetzer hinsah, den er zum ersten Mal in der Nähe erblickte. Die anderen Beiden schritten durch das Thomaspförtchen der Allee und dem Vordergebäude des auch außerhalb Leipzigs bekannten Reichel’schen Gartens zu, wo sich Mendelssohn einlogirt hatte.

Hätte Letzterer geahnt, daß der Jüngling, welcher an der Cantorwohnung die Klingel zog, dereinst einmal auch ein Liedercomponist und Capellmeister werde, er hätte ihn vielleicht einer näheren Beschauung gewürdigt, und der gemüthliche Fink mit der ewig heiteren Stirn hätte ihm sicherlich recht innig die Hand gedrückt.

Der junge Thomaner war Franz Abt. In der Provinz Sachsen und zwar in der Fabrikstadt Eilenburg als der Sohn eines Pfarrers, der selbst ein ausgezeichneter Musiker war, am 21. December 1819 geboren, sollte er sich auf der berühmten Thomasschule in Leipzig zur späteren Universitätsbildung vorbereiten. Bekanntlich pflegt diese Anstalt seit alter Zeit mit besonderer Vorliebe die Musik, namentlich den Gesang, und so fand die große Liebe, die Abt zur Musik hegte, eine reiche Nahrung, ja sie wurde zur Leidenschaft. Er schwankte denn auch, ob er sich nicht ganz der Tonkunst widmen sollte, allein er fühlte sich seiner Mutter gegenüber verpflichtet, nach einem sogenannten Brodstudium zu greifen, und ließ sich als Studiosus der Rechte in Leipzig immatriculiren.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_325.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)