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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Kutsche mit Spielern angekommen“ – der ehrliche Bursche hatte für Schauspieler, Taschenspieler, Seiltänzer und dergl. nur diese eine Rubrik – „und wie die Kutsche in den Löwen eingefahren ist, da war das Beest, unser Rappe, hintend’ran, als ob er dazu gehörte. Der Löwenwirth kennt ihn ja, unsern Alten, und hat ihn gleich selbst gebracht… Na, aber der Schreck von der Madame! Sie hat mich gleich fortgeschickt mit der Laterne, und Friederike muß einen Camillenthee kochen.“

„Camillenthee? … Hm, ich meine, ein Glas Glühwein, oder wenigstens ein Warmbier wäre vielleicht zweckmäßiger gewesen.“

„Ja, das meinte ich auch, Herr Hellwig; aber Sie wissen ja, wie die Madame –“

„Schon gut, Heinrich, schon gut. Jetzt gehe Du voran mit der Laterne. Wir wollen machen, daß wir heimkommen.“

Auf dem Marktplatz trennten sich die drei Leidensgefährten mit stummem Händedruck; der eine, um pflichtschuldigst seinen Camillenthee zu trinken, und die anderen in dem niederschlagenden Bewußtsein, daß ihrer eine Gardinenpredigt daheim warte. Denn die Frauen waren der „noblen Passion“ ihrer Eheherren ohnehin nicht hold, und nun lag die Jagdbeute, das einzige Beschwichtigungsmittel, zerquetscht draußen unter der umgestürzten Chaise, und das mit zähem Schlamm bedeckte Jagdcostüm verwandelte sicherlich schon die erste Umarmung in einen jähen Zornausbruch.

Am anderen Morgen klebten an allen Straßenecken rothe Zettel, welche die Ankunft des berühmten Escamoteur Orlowsky und seine ausgezeichneten Kunstleistungen ankündigten, und eine junge Frau ging von Haus zu Haus, um Billets zu den Vorstellungen anzubieten… Sie war sehr schön, diese Frau, mit ihrem prächtigen, blonden Haar und der imposanten Gestalt voll Adel und Anmuth; aber das liebliche Gesicht war blaß, „blaß wie der Tod,“ sagten die Leute, und wenn sie die goldig bewimperten Lider hob, was nicht häufig geschah, da brach ein rührend sanfter, aber thränenvoller Blick aus den dunkelgrauen Augensternen.

Sie kam auch in Hellwig’s Haus, das stattlichste am Marktplatz.

„Madame,“ rief Heinrich in das große Zimmer im Erdgeschoß, während er den hellpolirten Messingknopf an der glänzend weißen Thür in der Hand behielt, „die Spielersfrau ist draußen!“

„Was will sie?“ rief eine weibliche Stimme streng zurück.

„Ihr Mann spielt morgen, und da möchte sie gern eine Karte an die Madame verkaufen.“

„Wir sind anständige Christen und haben kein Geld für solche Faxereien – schick’ sie fort, Heinrich!“

Der Bursche schloß die Thür wieder. Er kratzte sich hinter den Ohren und machte ein sehr verlegenes Gesicht; denn die „Spielersfrau“ mußte ja jedes Wort gehört haben. Sie stand auch einen Augenblick wie zusammengebrochen vor ihm; eine fliegende Röthe war in ihr bleiches Gesicht getreten, und ein schwerer Seufzer hob ihre Brust… Da wurde leise ein kleines Fenster geöffnet, das in die Hausflur mündete; eine unterdrückte Männerstimme verlangte ein Billet – es wurde in Empfang genommen, und ein harter Thaler glitt dafür in die Hand der jungen Frau. Ehe sie nur aufblicken konnte, war der Fensterflügel wieder geschlossen, und ein grüner Vorhang hing in dichten, undurchdringlichen Falten hinter den Scheiben. Heinrich öffnete mit einem linkischen Kratzfuß und gutmüthig lächelnd die Hausthür und die Frau schwankte hinaus, schwankte weiter auf dem Weg voller Dornen und Stacheln.

Der Hausknecht nahm ein Paar blankgewichster Stiefeln, die er vorhin, bei dem Erscheinen der Frau, niedergesetzt hatte, wieder auf und trat in das Zimmer seines Herrn, der sich uns jetzt im vollen Tageslicht als einen kleinen, älteren Mann mit einem mageren, blassen, aber unendlich gutmüthigen Gesicht zeigt.

„Ach, Herr Hellwig,“ meinte Heinrich, nachdem er die Stiefeln an dem gehörigen Platz gestellt hatte, „das war wirklich recht schön, daß Sie eine Karte gekauft haben! Die arme Frau sieht ja aus, wie’s Leiden Christi; sie dauert mich, und wenn zehnmal ihr Mann sein Brod nicht ehrlich verdient… Er hat hier so kein Glück – denken Sie einmal an mich, Herr Hellwig!“

„Warum denn nicht, Heinrich?“

„Ja, weil der Racker, unser Rappe, sich wie eine Klette an den Wagen gehängt hat, wie er zum Thor hereingefahren ist – das bedeutet nichts Gutes – das Unglücksvieh kam ja justament von einem Unglücksplatze… Passen Sie ‘mal auf, Herr Hellwig, was ich gesagt habe, die Leute haben kein Glück!“

Er schüttelte seinen dicken Kopf und ging, da sein Herr auf die Prophezeiung hin weder ein Für noch Wider verlauten ließ, wieder in die Hausflur, um die Strohmatte vor der Thür der gestrengen Madame regelrecht zu placiren; die fremde Frau hatte unbewußt mit deim Fuß daran gestoßen.


2.

Der Rathhaussaal war gedrängt voll Zuschauer und immer noch strömten die Menschen die Treppe herauf. Heinrich stand im dichtesten Gedränge und suchte sich schimpfend Luft zu machen mittels derber Püffe und heimlicher Attaken auf die Hühneraugen seiner Nächsten. „Herr Jesus, wenn das die Madame wüßte, das gäb’ ein Donnerwetter! – Der Herr müßte gleich morgen in aller Frühe zur Beichte,“ flüsterte er vergnüglich schmunzelnd einem Nachbar zu, indem er seinen schwieligen Zeigefinger nach einem der erhöhten Sitze an der Seitenwand des Saales ausstreckte. Dort saß Herr Hellwig in Gesellschaft seines Leidensgefährten, des Doctor Böhm. Es hatte dem ehrlichen Burschen Mühe genug gekostet, seinen schmächtigen Herrn herauszufinden; denn die Honoratioren waren stark vertreten. Das Programm versprach aber auch lauter neue Wunderdinge, und der Schluß desselben lautete folgendermaßen:

„Madame d’Orlowsky erscheint als Schildjungfrau. Sechs Mann Militär werden mit scharfgeladenem Gewehr auf sie schießen, und sie wird mit einem Hieb ihres Schwertes die sechs Kugeln in der Luft zerhauen.“

Die Bewohner von X. waren hauptsächlich gekommen, um sich von der Wahrheit dieses Wunders überzeugen zu lassen. Die schöne, junge Frau hatte das allgemeine Interesse geweckt, und Jeder mochte gern wissen, wie sie wohl aussähe, wenn sie die Feuerrohre auf sich gerichtet wüßte… Es gelang übrigens auch dem Taschenspieler, die Aufmerksamkeit des Publicums für seine Kunstleistungen zu gewinnen. Er war, was die Frauen einen interessanten Mann zu nennen pflegen. Mittelgroß, von schlanker, biegsamer Gestalt, mit regelmäßigen, aber bleichen Zügen, braunen Locken und ausdrucksvollen Augen, zeigte er sehr elegante Manieren, und sein eigenthümlich klingendes Deutsch, das ihn als den Sohn jenes unglücklichen, auseinander gerissenen Volkes kennzeichnete, machte ihn noch anziehender… Das Alles war aber sofort vergessen, als die annoncirten sechs Soldaten unter Commando eines Unterofficiers aufmarschirten. Ein Geräusch entstand im Publicum, wie das Tosen einer Brandung – dann folgte plötzlich bängliche Stille.

Der Pole trat an einen Tisch und machte die Patronen angesichts des Publicums. Mit einem Hammer klopfte er auf jede einzelne Kugel, um die athemlosen Zuschauer durch den Klang zu überzeugen, daß es wirkliche, zweilöthige Gewehrkugeln seien. Dann gab er jedem der Soldaten eine Patrone und ließ vor den Augen des Publicums laden… Der Taschenspieler klingelte.

Gleich darauf trat die Frau hinter einem breiten Schirm hervor. Sie schritt langsam seitwärts und stellte sich den Soldaten gegenüber. Es war eine wundervolle Erscheinung; den linken Arm deckte der Schild, und in der Rechten hielt sie das Schwert. Ein weißes Gewand floß in reichen Falten auf die Füße nieder; um die Hüften legten sich silberglänzende Schuppen, und ein strahlender Harnisch deckte die herrliche Büste… Was war aber all’ dieser Glanz gegen den matten Goldschimmer der Haarwellen, die unter dem Helm hervorquollen und fast bis auf den Saum des Gewandes herabfielen!

Das bleiche, schwermüthige Gesicht richtete den traurigen Blick auf die Mündungen der todbringenden Waffen, die hinüber starrten. Keine Wimper zuckte. Nicht die leiseste Bewegung war an dem leicht wallenden Gewand zu bemerken – sie stand dort wie ein Steinbild… Das letzte Commando schallte durch den todtenstillen Saal; die sechs Schüsse krachten wie aus einem Rohr -– sausend durchschnitt das Schwert die Luft, und zwölf halbe Kugeln rasselten auf den Boden.

Einen Augenblick noch sah man die hohe Gestalt der Schildjungfrau unbeweglich stehen – der Pulverdampf verwischte ihre Züge, und nur matt schimmerte die Rüstung durch die Wolke … dann schwankte sie plötzlich, Schild und Schwert sanken klirrend zu Boden, mit der Rechten griff sie, wie nach einem Halt suchend, krampfhaft zuckend in die Luft und taumelte mit dem herzzerreißenden Schrei: „O Gott, ich bin getroffen!“ in die Arme ihres herbeieilenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_322.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2017)