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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Welt in eben demselben Maße zu erwiedern schien, so daß man ihn allgemein für einen gebesserten Sünder hielt. Ich selbst ließ mich anfänglich täuschen und glaubte an die günstige Umwandlung seines Charakters, da er seine Frau mit der größten Aufmerksamkeit behandelte und mich vielfach, selbst bei ihren kleinsten Leiden, zu Rathe zog, indem er mit rührender Sorgfalt über ihre Gesundheit wachte. Weit entfernt, seine egoistischen Beweggründe zu durchschauen, freute ich mich über seine anscheinende Besserung durch eine glückliche Ehe, da ich die gute liebenswürdige Frau von Herzen lieb gewonnen hatte. Meinen ärztlichen Bemühungen gelang es auch, ihr Leiden, wenn auch nicht gänzlich zu heben, doch wesentlich zu bessern. Für meine geleisteten Dienste war sie mir überaus dankbar, so daß sie mir bald ihr volles Zutrauen schenkte. Eine Badecur, die ich ihr verordnet hatte, war ihr so gut bekommen, daß ich mich selbst von ihrem frischen Aussehen täuschen ließ und bei einem zweckmäßigen Verhalten jede Gefahr beseitigt hielt. Um ihr Glück vollständig zu machen, fühlte sich die Gräfin seit einiger Zeit Mutter und erwartete ihre Niederkunft. Ihr Gatte überhäufte sie mit verdoppelter Zärtlichkeit und zeigte sich hoch erfreut über die bevorstehende Geburt eines Erben.

Nicht ohne Besorgniß sah ich dem immer bedenklichen Augenblick entgegen, da ich nur zu oft die Erfahrung gemacht hatte, daß sich verborgene Brustleiden unter diesen Verhältnissen öfters mit rapider Schnelligkeit zu entwickeln pflegen. Leider sollten meine Befürchtungen nur zu bald in Erfüllung gehen; die Gräfin brachte zwar leicht und glücklich einen gesunden, wenn auch etwas schwächlichen Knaben zur Welt, kränkelte aber seitdem fortwährend und verlor mehr und mehr ihre Kräfte. Rasch entwickelte sich ein zehrendes Fieber, das meiner Kunst nicht weichen wollte, dazu gesellte sich ein quälender Husten mit den übrigen Symptomen der unaufhaltsamen Schwindsucht. Eine Reise und der längere Aufenthalt in südlichen Gegenden vermochte nicht die Fortschritte des Uebels aufzuhalten; sie kehrte ungebessert zurück, um in der Heimath zu sterben. Auf ihrem Todtenbette empfahl sie mir, über das Leben ihres Kindes zu wachen, dessen zarte Constitution allerdings Besorgnisse erregte. Wider Erwarten entwickelte sich der schwächliche Knabe unter der Aufsicht eines tüchtigen Hofmeisters geistig und körperlich so trefflich, daß ich nur selten wegen seiner Gesundheit zu Rathe gezogen wurde. Später kam er in eine vornehme Pension nach der Schweiz, wo er zu einem durch Geist und Schönheit ausgezeichneten Jüngling heranwuchs, indem er die Liebenswürdigkeit des Vaters mit dem herrlichen Gemüthe seiner verstorbenen Mutter vereinigte.

Graf Xaver lebte nach dem Verluste seiner Frau einige Monate in strenger Zurückgezogenheit, so daß Niemand an der Aufrichtigkeit seines Schmerzes zweifeln konnte. Nach und nach jedoch kehrte er zu den Zerstreuungen seiner Jugend zurück und bald überließ er sich wieder dem Strudel seiner früheren Vergnügungen, nur mit dem Unterschiede, daß er jetzt mehr als früher den äußeren Anstand zu wahren suchte. Durch den Tod der Gräfin war er in den Besitz eines bedeutenden Vermögens gelangt, das er zu gleichen Theilen mit seinem Sohne geerbt hatte. Dasselbe setzte ihn von Neuem in den Stand, seiner ungezügelten Verschwendungssucht zu fröhnen. Auf seinen Gütern führte er ein wahrhaft fürstliches Leben, an seiner Tafel floß der edelste Ungarwein und Champagner, sein Stall enthielt die kostbarsten Rennpferde, die er für ungeheuere Summen in England ankaufen ließ, in seinem Schlosse fand der vornehme Adel und besonders die Jeunesse dorée der Provinz eine den Slaven eigenthümliche Gastfreundschaft. In den glänzend decorirten Sälen wurde hohes Spiel gespielt, Tausende an einem Abend gewonnen und verloren und manche wilde Orgie gefeiert. Im Winter lebte der Graf in Paris oder Neapel, wo er durch seinen ungemessenen Aufwand und durch seine Liebenswürdigkeit selbst in den ersten Kreisen Aufsehen erregte und zahlreiche interessante Bekanntschaften mit Männern und Frauen der vornehmen Welt anknüpfte.

Unter diesen Umständen war es nicht zu verwundern, daß selbst die bedeutende Hinterlassenschaft der Gräfin für ein solches Treiben nicht ausreichte und in wenig Jahren zusammenschmolz. Trotz der dringenden Anzeichen seines nahen Ruins konnte sich der Graf weniger als je zu einer Veränderung seiner Lebensweise entschließen, indem er mit gewohntem Leichtsinn seine Verschwendung fortsetzte. Bald war er wieder in die Hände christlicher und jüdischer Wucherer gefallen, die seine Verlegenheit benutzten und vollends die Zerrüttung seiner Verhältnisse beschleunigten. Seine Lage wurde um so peinlicher, da er im Begriffe stand, sich zum zweiten Male mit einer angesehenen, aber unvermögenden Dame zu vermählen, für die er die glühendste Leidenschaft gefaßt hatte. Auf seiner letzten Reise hatte er in Paris eine reizende Wittwe kennen gelernt, deren bezaubernde Schönheit ihn unwiderstehlich fesselte. Durch die feinste Koketterie wußte sie den blasirten und verwöhnten Schmetterling anzuziehen, während der unerwartete Widerstand, den sie seinen Wünschen entgegensetzte, seine Leidenschaft zur Raserei anfachte. Um jeden Preis mußte er das verführerische Weib besitzen, so daß er vor keinem Hinderniß zurückschreckte.

Um diese Zeit war auch der Sohn des Grafen, der indeß sein achtzehntes Jahr erreicht hatte, aus der Schweiz zurückgekehrt, um auf einer deutschen Universität seine Ausbildung zu vollenden. Derselbe hatte die Sanftheit und Herzensgüte seiner Mutter geerbt, mit der er auch in seinem Gesichte die auffallendste Aehnlichkeit zeigte. Mit gleicher Liebe hing er an seinem Vater, an den er sich trotz der Verschiedenheit ihres Charakters mit schwärmerischer Zärtlichkeit anschloß. Der Graf hatte sich eine seltene Jugendfrische zu bewahren gewußt, während der Sohn einen gewissen Ernst zeigte, der ihn älter erscheinen ließ, als er wirklich war. Zwischen Beiden herrschte dem Anschein nach das innigste Verhältniß und fast täglich sah man den Grafen in Gesellschaft des liebenswürdigen Jünglings. Unterdeß rückte die Zeit immer näher, wo der Graf sich zum zweiten Mal vermählen sollte. Dieser Schritt nöthigte ihn, sich zuvor gerichtlich mit seinem Sohn auseinander zu setzen und laut testamentarischer Verfügung dessen Vermögen sicher zu stellen.

Er wußte nur zu gut, daß dies nicht möglich war, ohne seine Zahlungsunfähigkeit einzugestehen und einen öffentlichen Concurs herbeizuführen. Theils um seine Verschwendung fortzusetzen, theils um seine dringendsten Gläubiger zu befriedigen und seinen Credit aufrecht zu erhalten, hatte er sogar das Erbtheil seines Sohnes, dessen Verwaltung seinen Händen anvertraut war, angegriffen. Die Entdeckung eines derartigen Vergehens bei der bevorstehenden Rechnungsablage mußte ihn vollends zu Grunde richten und unausbleibliche Schande nach sich ziehen. Der verzweifelnde Mann sah keinen Ausweg aus diesem furchtbaren Labyrinth und verfiel widerstandslos den finstern Mächten der Hölle.

Eines Tages wurde ich plötzlich durch einen reitenden Boten nach dem Schloß des Grafen gerufen, wo sich ein großes Unglück ereignet hatte. Von dem bestürzten Diener erfuhr ich nun, daß der junge Graf bei einem Ritt auf das benachbarte Vorwerk in der Nähe eines Steinbruchs von seinem scheuen Pferde abgeworfen worden sei und sich eine lebensgefährliche Verwundung zugezogen habe. Bei meiner Ankunft fand ich das ganze Schloß in der höchsten Aufregung; der Graf empfing mich mit allen Zeichen der tiefsten Erschütterung und größten Besorgniß. Seine Wangen waren bleich, seine Stimme zitterte und sein ganzes Wesen verrieth eine unter diesen Umständen nur zu gerechtfertigte Verwirrung. Er selbst führte mich an das Bett seines leidenden Sohnes, den ich fast ohne Besinnung in Folge seiner schweren Verletzung fand. Bei der Untersuchung des Patienten wendete sich der Graf ab, als könnte er den Anblick des Unglücklichen nicht ertragen. Mit ängstlicher Spannung erwartete er meinen Ausspruch, der leider nicht allzu tröstlich lautete. Die schwere Verwundung am Hinterkopf, verbunden mit einer bedeutenden Gehirnerschütterung, gab nur wenig oder gar keine Hoffnung. Als ich den Grafen mit schonenden Worten auf die Gefahr aufmerksam machte, sah ich ihn wanken, so daß er sich an einem nahe stehenden Stuhle festhalten mußte, um nicht zu fallen.

„Also verloren, rettungslos verloren!“ murmelte er, während seine Zähne hörbar an einander schlugen.

„Leider kann ich mich nicht für die Wiederherstellung des Kranken verbürgen, obgleich ich noch nicht alle Hoffnung aufgeben möchte.“

„Und wird der Arme noch lang zu leiden haben?“ fragte der Graf mit einem tiefen Seufzer.

„Das kann ich nicht genau bestimmen, da sich der Umfang der stattgefundenen Gehirnerschütterung nicht so leicht feststellen läßt.“

„Glauben Sie, Herr Doctor, daß das Bewußtsein noch wiederkehren wird?“

„Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, wenn die Congestion gehoben werden kann.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_306.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)