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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Denn vom Hofe herauf erschallte ein wilder Lärm, und auch aus dem Hause klang durch die offen gebliebene Thür das Toben schon Eingedrungener. Sie hatten sich nicht getäuscht, denn da sie die Drei beinah eingeholt hatten, kam ein Haufe die große Treppe herauf, ein paar Bauersleute, Knechte, Tagelöhner und Buben, und vor den Anderen voraus der alte Müller, begleitet von seinem Sohn, dem finsteren, trotzigen Mann, den Esperance seit ihrer Einkehr in der Mühle nicht wieder gesehen.

„Hollah,“ rief der Erstere, auf der letzten Treppenstufe anhaltend, in ungewöhnlich erregtem Ton, „da seid Ihr ja, Monsieur Kiskel! Und der Herr Landrath und das Dämchen! – Holt Ihr den Landverderber und Leuteplager?“ – Und da Herr Kiskel ihm etwas ins Ohr flüsterte, schlug er eine hohnvolle Lache auf und fügte hinzu: „Flausen, Flausen! Wenn er da war – und er war’s – so ist er auch noch da! Unsere Augen sind sicher.“

Die ungestüme Unterbrechung hatte die junge Herrin nur zu einem kurzen Zögern und einem ernsten, fast traurigen Blick auf den zornigen Greis vermocht. Dann schritt sie, dem Landrath winkend, bereits wieder vor. Herr Kiskel lud Augustin durch eine Geberde gleichfalls zum Folgen ein, und dem vorschreitenden alten Mann drängten die Anderen, welche bisher einen Augenblick verstummt waren, mit lauteren und lauteren Rufen und Drohungen nach.

Aber sie schwiegen jählings und wichen sogar zurück, als Esperance nun vor einer Thür plötzlich von neuem Halt machte, sich stolz zu ihnen wendend, als die dunklen Augen sie anblitzten und das Mädchen mit wunderbarer Hoheit sagte: „Zurück! Hier bin ich die Herrin, und ich will keinen Lärm und keine Ungebühr in meinem Hause, im Hause des Todes. Sie Beide treten ein, und der alte wilde Mensch da kann uns folgen. Vielleicht bändigt’s ihn, was er sehen wird. – Ihr Anderen – geht!“

Es war wunderbar, wie still es auf diese kühnen, herausfordernden Worte blieb. Von den älteren Leuten ging sogar mehr als einer wirklich zurück und von den Jüngeren schlichen sich einige ihnen nach. Es mochte auf sie einen unbehaglichen Eindruck machen, daß nicht nur die drei Herren, welche Esperancen vorhin nachgeeilt waren, sich in ihrer Nähe hielten und augenscheinlich entschlossen waren, etwaigen Ausschreitungen kräftig zu begegnen, sondern daß sich allmählich auch noch der Verwalter und ein paar Andere zu ihnen gesellten, welche ganz danach aussahen, daß sie einem Streit nicht ausweichen würden. Dazu vernahm man durch die verhältnißmäßige Stille das Geräusch von schweren Schritten, welche die Treppe herauf zu kommen schienen, und endlich verband sich damit jenes Summen und Tönen, das einer sich ansammelnden Volksmenge zu entsteigen pflegt. Die Herren und die zu ihnen hielten, wurden dadurch sichtbar nicht gestört, aber die Begleiter Augustin’s zeigten sich von Secunde zu Secunde unruhiger.

Von Secunde zu Secunde sagen wir, denn es war nur eine kurze Zeit verflossen, als die Thür wieder aufging und Esperance, von den Anderen gefolgt, heraustrat. Das Haupt ein wenig gesenkt, schritt sie stumm an der Gruppe vorüber, dem Saale wieder zu. Der Landrath erschien tief ergriffen, selbst Herr Kiskel trug ein ernstes, beinah etwas verstörtes Gesicht zur Schau, und es wurde nichts laut als die paar Worte, die Augustin in grollendem Ton zu seinem Sohn und den andern Begleitern sagte: „Ja, todt ist er. So geht’s denn an’s Andere. Kommt.“ –

Und wieder stand Esperance auf ihrem Platz und ihr gegenüber, neben den verlegen darein schauenden Herren von der Commission, drängten sich um Augustin’s trotzige Gestalt die Seinen – es waren nicht alle mehr, die so lärmend mit ihm gekommen; und er sah das grimmigen Blicks und noch grimmiger brach’s unter der starren weißen Braue hervor und zu Denen hinüber, die drüben bei dem Verwalter und Burgsheim standen – die waren zahlreicher geworden. Hier im Saal war jenes Summen und Tönen, dessen wir vorhin gedacht, deutlich genug zu vernehmen, und wenn man aus dem Fenster schaute, sah man den Schloßhof von einer Menge erfüllt, zu der sich jeden Augenblick noch andere, durch das Thor heraneilende Trupps gesellten.

Es war etwas Drohendes nicht in den Gesichtern allein, sondern auch und mehr noch in der Haltung und sogar in dem Schweigen dieser Menschen, grobknochiger und hagerer, wetterharter und trotzig d’rein blickender Gesellen, wie sie in den Bergen heranwachsen, derb und fest, wie die Bäume, deren Wurzeln zwischen dem rauhen Gestein sich mühsam Nahrung suchen müssen. Und Heimlingen und der Arzt, ja selbst der Verwalter und der gleichfalls angelangte Förster fingen an, besorgt zu blicken. Wer, der die Aufregung kannte, welche nicht bloß die Partei des Müllers, sondern mehr oder minder alle Bewohner dieser Gebiete erfaßt hatte, konnte bestimmen, wie schrankenlos sie plötzlich herausbrechen, gegen welche Seite sie sich wenden möchte?

Nur Zwei waren im Saal, die durch Alles weder besonders erregt, noch beunruhigt zu werden schienen; das war Esperance, welche ihre Bewegung schon wieder besiegt hatte und, bleich und stolz am Tisch stehend, festen, klaren Blicks die Gruppen umher überschaute; und es war, trotz des Grimms in den Zügen, der alte Augustin, Zagen und Zweifel gab es für den da nicht, und seine Stimme klang so hart wie je, da er nun plötzlich sprach: „Nun ja, so ist’s recht. Da sind wir alle, von Deuffingen und Moosberg und aus Dernot mit seinen Höfen – da kann alles gleich kundbar und fest werden. Der sich bisher den Herrn von Dernot nannte und uns zwang mit Gewalt und Unrecht, der liegt drinnen todt und die Gewalt ist zu Ende. Und sie reden uns jetzt von einer Herrin, aber das sind Flausen. Wen geht die Tochter was an, wo der Vater nichts galt? Und Dernot hat seinen Herrn, dem es gehört nach Gottes- und Menschenrecht. Sag’ an, Franz Dernot,“ und er wandte sich gegen den jungen Mann, der ruhig neben dem Verwalter und Förster stand, „ich frage Dich heut noch einmal: willst Du Dein Recht aufnehmen, das Dir überkommen ist –“

„Haltet inne, Ohm,“ unterbrach Franz ihn mit klingender Stimme und sein Auge begegnete fest wie damals dem Blick des Greises, – „die Sache ist abgethan! Ich habe Euch allein und auf dieser Stelle vor Zeugen erklärt: ich habe kein Recht auf Dernot, so wenig wie mein Vater es hatte, und wieder wie er, beanspruche ich auch keines. Da,“ und er wies mit rascher Handbewegung auf Esperance, „das ist der rechte Erbe und die Herrin von Dernot.“

Und durch das Gemurmel und die einzelnen Rufe: „Die Herrin von Dernot!“ – welche aus allen Gruppen hervordrangen, klang des Müllers Stimme heiser vor Zorn. „So geh hin und sei verflucht, Feigling, Verräther an Deinem Recht!“ rief er, die geballte Faust gegen Franz schüttelnd. „Aber helfen soll es Dir nichts! Dernot soll seinen Herrn haben und müßte –“

Weiter kam er nicht. Denn aus einer jener Gruppen trotziger Gebirgler trat ein großer alter Mann hervor, eisenfest die hagere Gestalt und wie aus Stein gehauen das tiefdurchfurchte Gesicht. Nur die lichtblauen Augen lebten und blitzten; und nun gingen auch die schmalen Lippen auseinander und er redete: „Ja, gelt, alter Fuchs, darauf läuft’s schon lange hinaus! Möchtest selber der Herr von Dernot sein und unser Herr! Aber Hand vom Sack, das Mehl ist verkauft. Was Du Dich zankst mit dem alten Baron und dem Franz da – was geht’s uns an? Wir wollen nicht diesen und nicht den – der eine ist todt, und der andere hat kein Recht, sagt er selber! – Und einen Bauern, sei’s auch ein Müller, den wollen wir nun gar nicht. Wir wollen die, die uns gehört und der wir gehören, die da die Herrin ist über uns, wie die alte Euphemia. Da steht sie, guckt sie an – das sind die Dernoter Augen! Die braucht kein Document! Das ist unsere Herrin von Dernot!“

Und da er die letzten Worte lauter sprach, klangen sie wie ein Ruf, und im Saale stimmten sie jauchzend ein, und vom Hofe herauf klang es brausend nach: „Die Herrin von Dernot!“

Der Mann sprang zum nächsten Fenster und riß es auf. „Ihr da,“ rief er schallend, „wollt Ihr den Augustin zum Herrn oder unsere Herrin?“

Und donnernd schallte es zurück: „Die Herrin! Die Herrin! Hinaus mit dem tollen Müller! Hinaus!“

Der Mann wandte sich wieder zurück, und wieder klang seine Stimme durch die Stille der Betäubung, mit welcher das Unerwartete die meisten Anwesenden und selbst Augustin erfaßt zu haben schien. „Da hört’ Ihr’s,“ sagte er, „und so ist’s. Ihr seid ja da, Herr Landrath, laßt es zu Protokoll nehmen – ich, der Schultheiß von Deuffingen, sag’s für mich und alle: Das Fräulein da ist unsre Herrin und niemand sonst. Sie ist, wie man’s uns von der Euphemia sagte, die wir d’rum noch lieb

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_292.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)