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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

zuvor in die Stadt gelangt war, daß der Minister für ewige Zeiten aus dem Lande verbannt und sein Eigenthum eingezogen werden sollte. Die großen Einkünfte hatten schon eine Bestimmung erhalten.

Der Zustand des Barons wurde immer trauriger, da der bisherigen todtenhaften Ruhe eine Aufregung folgte, welche für den Leidenden so gut wie für seine Umgebung um so qualvoller sein mußte, als man Körper und Geist vergeblich gegen die Lähmung ringen sah, die sie gefesselt hielt. Der Arzt blieb im Schloß; er behauptete, in der Stadt habe man jetzt weder Zeit noch Stimmung zum Kranksein.

Und wenn es so im kleinen Schlosse stand, die Nachrichten, die aus Ferne und Nähe kamen, lauteten gleichfalls ernst genug und ließen noch Schlimmeres nicht unmöglich erscheinen. Die Bauernunruhen im Odenwald, kaum unterdrückt, schienen sich von neuem erheben und fortpflanzen zu wollen, und es war vorauszusehen, daß sie in diesen Gegenden immerhin Anklang finden würden, wäre es auch nur bei einer Partei gewesen, welche auf Seiten des Müllers stand und von ihm in Aufregung und Haß gegen die bisherigen Zustände im Allgemeinen und gegen die Herrschaft auf Dernot im Besonderen erhalten wurde. Es ging doch nicht ganz, wie der Verwalter es gemeint. Die Nachricht von der Anwesenheit der Damen, zumal der sogenannten „Herrin von Dernot“, und eines Herrn, der zum Hofe gehörte, war in diesen Kreisen und von Augustin Besseling selber nicht mit der Gleichgültigkeit aufgenommen worden, deren wir ihn damals im Herbst sich rühmen hörten, sondern erregte große Erbitterung. Die Versicherung, welche Esperance durch den Verwalter an den Müller und die übrigen Hofbesitzer gelangen ließ, daß der alte Streit von ihr nicht fortgeführt und sie nicht ein fremdes Recht ableugnen oder angreifen werde, wurde mit Hohn und mit der Antwort des Müllers aufgenommen: er wolle dem Dämchen trotz seines feigen, treulosen und verrätherischen Verwandten schon zeigen, wer in Dernot das Recht habe, Anderen ihr Recht zu gewähren oder zu verweigern. Sie solle sich auf den Kehraus rüsten.

Wie der Müller war, konnte man sich trotz seines Alters schon noch einer wilden That zu ihm versehen. Und daß er seit Esperancens Anwesenheit bei den Insassen der Herrschaft wirklich auf jene, von mehreren Seiten in Aussicht gestellte Theilnahme für die junge Gebieterin stieß und mehr als einmal nicht blos eine derbe Abweisung, sondern auch noch derbere Erwiderung auf seine Anfeindungen, Intriguen und wirklichen Pläne fand, reizte den finstern Greis nur noch mehr und ließ ihn mit allen möglichen Mitteln nach neuen Anhängern in der Umgegend, in Stadt und Land suchen. Mit seinem Neffen, wie er Burgsheim geheißen hatte, war er in der That gänzlich auseinander. Ja er sollte in diesen Tagen auf die ernste Erklärung des jungen Mannes, daß er unwankbar zum Recht und Gesetz und zu der angestammten Herrschaft Dernots stehen werde, mit einer wilden Verfluchung des Verräthers geantwortet haben.

Esperance selbst verleugnete solchen Stürmen von draußen und den Leiden und den Wirren im Innern des Schlosses gegenüber nicht einen Augenblick die Ruhe und Klarheit, die Kraft und Entschlossenheit, die bisher schon so bewunderungswürdig sich an dem schönen jungen Wesen offenbart hatten und täglich mehr von ihm verlangt wurden. Denn von dem alten Loos der Familie von der Not ward ihr nicht einmal der Unfriede zwischen den eigenen Angehörigen erspart: das Verhältniß zu Eugenie wurde eher schlimmer als besser, und die Dame schien selbst gegen den Verlobten immer mehr zu erkalten.

Esperance blieb ungebrochen, und ungebrochen empfing sie heute nun auch die Kunde, mit der Burgsheim erregt in’s Schloß geeilt kam, daß von der Stadt eine Commission unterwegs und bereits nahe sei, welche sich über die Insassen Dernots vergewissern und sie nöthigenfalls aus dem beanspruchten Besitz setzen wolle. Man gedenke sogar den Baron zu finden und zu fangen, von dessen Anwesenheit man Kunde erhalten habe. Dazu sei drunten in der Mühle eine Versammlung. Man dürfe auch von dort etwas erwarten.

„Bringen wir den Vater in Sicherheit, das Uebrige findet sich,“ sagte Esperance ruhig besonnen und ging mit Burgsheim hinüber, um den Kranken und seinen alten Kammerdiener in ein längst vorbereitetes, allen Schutz verheißendes Versteck zu bringen.

Sie bedurfte ihrer Fassung und Entschlossenheit wohl, denn ein neuer, der härteste Schlag erwartete sie im Krankenzimmer. Da sie eintraten, winkte der Arzt, der sich über das Lager gebeugt hatte, mit einem: „Gottlob, zur rechten Zeit!“ heran. Der Baron hatte sein Bewußtsein plötzlich, wenn auch nur zum Theil, wieder erhalten. Seine Augen wandten sich mit dem Ausdruck des Erkennens auf Esperance und ihren Begleiter. Ein Lächeln lief durch die bleichen Züge, seine Lippen regten sich, seine Hand zuckte der seines niederknieenden Kindes entgegen, und mit einemmal wurden die geflüsterten Worte vernehmbar: „Esperance – mein Kind – August – Franz Dernot –“

Und von neuem zuckte es in den Zügen, durch den Körper, und die Glieder streckten sich. – Leopold, Freiherr von Treuenstein und Herr zu Dernot war zu seinen Vätern versammelt worden.




10. Die Herrin von Dernot.

Burgsheim war aus dem Sterbezimmer bald geschieden; er hatte den Kammerdiener mit der Nachricht von dem Geschehenen an die anderen Familienglieder gesendet, welche zu dieser Stunde wie gewöhnlich beim Frühstück im kleinen Saale versammelt waren und von dem Kommenden noch nichts ahnten. Dann war er hinabgestiegen, um mit Frau Katharine und Jonas zu conferiren; man schickte einen von den beiden Kutschern zu Pferde fort, und Jonas eilte in’s Dorf hinab, um den Verwalter zu benachrichtigen und womöglich ihn nebst einigen treuen Leuten auf’s Schloß zu bringen. Den Förster und ein paar andere hatte Franz nach seiner Angabe schon selber unterrichten lassen; sie würden nicht fehlen, meinte er. Der Förster habe einen großen Grimm gegen Augustin’s Sohn und zwei oder drei von dessen Genossen, in denen er die frechsten Wilddiebe wisse, ohne sie, wie die Sachen augenblicklich ständen, gehörig zur Rechenschaft ziehen zu können. Schon um dessentwillen, sprach Franz aus, werde er mit tausend Freuden dabei sein, wo man dem Gelichter einen Strich durch die Rechnung machen könne.

Heut dachte man wieder an die kleine Hinterpforte, deren die Leser sich noch entsinnen; sie wurde wirklich aufgeschlossen und Frau Katharine selber setzte sich unter die Wölbung zur treuen Hut und um die Freunde von drunten hereinzulassen, welche man, um alles Aufsehen zu vermeiden, auf diesen Weg verwiesen hatte. Wie man diese verwenden wollte, was man überhaupt zu befürchten hatte, darüber konnten Burgsheim und die Uebrigen sich nicht recht einigen. „Bis zur wirklichen Gewalt wird’s der Augustin doch nicht treiben,“ meinte selbst Frau Katharine und erwartete dergleichen noch weniger von den „Herren“ aus der Stadt. Franz schüttelte den Kopf. Es wäre immer gut, Freunde und Hülfe in der Nähe zu haben, sagte er.

Aber es war kaum einer von diesen da, als die angekündigte Commission in zwei Wagen und begleitet von ein paar Landreitern beim Thore anfuhr. Jonas, der eben vom Dorf zurückgekommen war, öffnete ihnen dasselbe – Meister Tobias war, seit er mehr aus den Anordnungen als aus wirklichen Mittheilungen erfahren hatte, daß dem Schloß und der Herrschaft ein bewegter, wo nicht gefahrvoller Morgen bevorstehe, in eine Art von andauerndem Zittern und Stammeln verfallen, die ihn für jeden andern Platz als seinen alten Lehnstuhl untüchtig machte.

„Schließt ihr hier immer das Thor – am hellen Tage – wie in einer Raubburg?“ fragte einer von den Herren, aus dem Wagen steigend und mit verächtlichem Blick sich umschauend in dem düstern alten Hof.

„Wenn die gnädige Herrschaft da ist und das Gesindel sich im Lande breit macht – wie jetzt – ja,“ erwiderte Jonas mit finsterm Blick.

„Ah, die betreßte Lakaienseele gesteht’s ja bereits zu!“ rief ein Anderer, in dem man seiner außerordentlich gepflegten Coiffure nach zu schließen – er hatte den Hut abgenommen – einen Friseur oder Kellner vermuthen konnte. „Geschwinde, Mann, führ’ Er uns hin zu dieser Herrschaft, daß wir –“

„Meine Herrschaft heißt mich Du, weil ich seit fünfzig Jahren in ihrem Dienst. Andere Leute nennen mich Sie,“ unterbrach ihn der Jäger barsch. „Will meine Herrschaft fragen, ob sie die Herren annehmen kann.“ Und er wandte sich ab und schritt in’s Schloß hinein.

„Meine Herren,“ sprach ein ältlicher Mann, in dessen Zügen nichts weniger als Gleichgültigkeit oder gar Vergnügen über das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_290.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)