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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

wird, und endlich sollen die deutschen Consuln an den überseeischen Hafenplätzen seiner Zeit allen nach unseren Küsten abgehenden Schiffen die betreffende Instruction verabfolgen. Auf diese Weise wird das norddeutsche Rettungsverfahren in kurzer Zeit allgemein bekannt werden. Der Verbesserung des Raketenapparats durch preußische Hülfe haben wir schon gedacht. Eine Probe mit demselben, welche die Vollkommenheit des Ganzen ergab, fand unter Mitwirkung preußischer Marineofficiere, unter ihnen der bekannte und verdiente Corvettencapitän Werner, am 30. December des vorigen Jahres bei Bremerhafen statt und wird vom Bericht folgendermaßen geschildert: „Es war zu dem Zwecke vom Schiffer Hagemann ein Blockschiff hergeliehen und mit einem Mast versehen, dann in die Mitte der Weser, ungefähr zweihundert Fuß vom rechten Ufer entfernt, vor Anker gelegt worden, während dreiundzwanzig Navigationsschüler unter Anführung des Capitäns L. Geerken sich in die Rolle der Rettungsmannschaften und der Schiffbrüchigen theilten. Alles ging vortrefflich, schon zwanzig Minuten nach dem Abfeuern der Rakete konnte sich der Steuermann H. Kallenberg in den Rettungsstuhl (sogenannte Lifeboje mit hosenartigem Einsatz) setzen und völlig trocken das Ufer erreichen; dasselbe Manöver machte der Steuermann H. Bödeker eben so glücklich gleich hinterher und unter dem großen Jubel der versammelten Zuschauer.“ – Auch die Wiederbelebung anscheinend Ertrunkener erforderte besondere Vorkehrungen und mußten genaue Instructionen über die erprobtesten Wiederbelebungsversuche, soweit sie bis zum Eintreffen eines Arztes von Laien ausführbar sind, jedem Ortsausschuß einer Station zugetheilt werden. Der Leser sieht, daß bei diesem Unternehmen dem Herzen so viel Antheil wie dem Kopf zugefallen ist, und gerade darum wird auch sein Herz sich gern demselben erschließen.

Zu diesem besten Fürsprecher für alle Werke der Menschen- und Vaterlandsliebe soll auch unser Bild reden, welchem wir noch Folgendes zur Erklärung beifügen müssen. Unsere früheren Illustrationen in der Gartenlaube von 1861 und 1865 stellten nur den Raketenapparat und seine Anwendung dar. Unser jetziges Bild zeigt uns auch das Rettungsboot, und zwar im Kampf mit der Brandung, wegen welcher zugleich ein Raketen- oder Mörserapparat zu Hülfe genommen ist. Letzteres geschieht stets an steilen Küsten, bei unüberwindlicher Brandung oder auf schwierig zu passirenden Strandstrecken. Rettungsboote, sagt unser Bericht, bieten den Vortheil, erstarrte und vor Entkräftung bewegungsunfähige Menschen, auch ohne deren Zuthun, in Sicherheit bringen zu können und schon mit dem Wasser Ringende noch zu retten. Oft ist jedoch die Gewalt der Wogen so stark, daß das Boot mit Ruderkraft nicht an das verunglückte Schiff zu bringen ist. Das gefährlichste Manöver für das Boot ist übrigens das Anlegen an das große Fahrzeug, denn hierbei kann es mit solcher Gewalt gegen den großen, festliegenden Körper geschleudert werden, daß es selber verunglückt und seine Besatzung sich nur in glücklichen Fällen durch Schwimmen und mit Hülfe der Korkjacken – mit welchen wir auch die Matrosen auf dem Boote unserer Illustration bekleidet sehen – sowie mitgenommener Bojen und Matratzen retten kann. – Angesichts dieser drohenden Gefahr begreift nun der Leser die Aufregung in der Frauen- und Kindergruppe und in den Männergestalten unseres Bildes. Ihr angststarres Auge hängt an dem Rettungsboote, wo ihre Lieben mit dem fürchterlichen Elemente kämpfen. Wie laut die Brandung donnert, hat unser Künstler trefflich durch den Mann in der Mitte der Vordergruppe angedeutet, der durch die Hand am Munde die Stimme verstärkt, um von den Nächsten verstanden zu werden. Wir verdanken die Zeichnung demselben Künstler, Leich, welcher uns früher auch einen andern „Helden in Sturmesnöthen“, Cornelis Dito, dargestellt hat. Möge der Anblick dieser Scene die rechte Wirkung nicht verfehlen, möge er vor Allem dazu beitragen, daß der alte Seemann unseres Eingangs von seinem Vorurtheil gegen den nationalen Zug auch der Deutschen des Binnenlandes nach der See und deutscher Seeehre recht bald durch neue Beweise der That geheilt werde.

H. v. C.




Der Bau des Finkennestes.
Von Karl Müller.


Je sorgfältiger und gewissenhafter der Naturforscher beobachtet, je tiefer er einzudringen sucht in das Wesen und die Eigenthümlichkeiten der Geschöpfe, desto mehr überzeugt er sich von der Unabsehbarkeit des zu erforschenden Gebietes und von der Nothwendigkeit der Concentrirung der Kräfte des Einzelnen auf abgegrenzte Gebietszweige. Wenn es jemals fruchtbar und Nutzen bringend gewesen ist, „ein Steckenpferd zu reiten“, so war es die Forschung des naturwissenschaftlichen Specialisten. Keineswegs soll damit gesagt sein, daß sein Blick nicht über die Grenzen seines Lieblingsstudiums hinaus schweifen dürfte, behüte! denn Vielseitigkeit des Wissens und Strebens kann nur da schaden, wo Oberflächlichkeit mit ihr im Bunde steht. Aber die Hauptthätigkeit muß sich in einem engeren Rahmen bewegen und eine Hauptaufgabe die Aufgabe des ganzen Lebens sein. An Solchen wird es nie fehlen, welche die Resultate der Forschung in dickleibigen Bänden zusammenzustellen wissen, aber nicht sie sind die Forscher, sondern diejenigen, welche sich selbst auf den Weg machen, mit eignen Sinnen wahrnehmen und mit aufopferndem Fleiß unmittelbar aus den Tiefen der herrlichen, prächtigen Natur schöpfen.

Wie ist mir diese Wahrheit in diesen Tagen wieder so anschaulich und klar geworden, in diesen Tagen des verjüngten Lebens, wo weniger schon der grüne Schmuck des Naturgewandes, als die ahnungsvollen Lieder gewisser Sänger unserer Gärten und Wälder und andere lebhafte Aeußerungen des mächtigsten Seelentriebes dieser Thierchen unsere Aufmerksamkeit fesseln.

Ein zutrauliches Edelfinkenpaar hatte sich am 28. März meinen Blicken verrathen, als ich Morgens um zehn Uhr in einem sonnig gelegenen Garten auf- und abging. Ich sah es dem Finkenmännchen an der gekrümmten Haltung und den gesenkten Flügeln an, und seine feinzirpenden Töne bestätigten mir es, daß es der glückliche Gatte des stilleren Weibchens war, welches in seiner Nähe auf dem Knotenpunkte dreier anderthalb Zoll dicker Aeste eines jungen Zwetschenbaumes in anderthalb Manneshöhe zu bauen begann. Die Stelle war wahrscheinlich erst am frühen Morgen oder am Tage zuvor zum Nistplätzchen erkoren worden, denn kaum meinem scharfen Auge bemerklich hatte das Weibchen einen Anfang zum Neste durch Anheften einiger Flechten gemacht. Es regte sich in mir die Lust der Beobachtung, und ich beschloß, die Stufenleiter des Nestbaues in der Weise, wie wir Brüder es uns zur Aufgabe gestellt haben, zu verfolgen. Der Vogel nahm, an Menschen gewöhnt, keine Notiz von mir, obgleich ich mich ihm auf kaum fünf Schritte näherte und an den Stamm eines Baumes mit dem Rücken anlehnte. Eben war der Finke mit seiner Arbeit fertig geworden, und ich sah ihn auf einen alten, in der Nähe stehenden Apfelbaum fliegen, wo er von den Aesten und dem Stamme, an welchen er sich kletternd anklammerte, feine Flechtenblättchen ablöste und zur Niststätte trug. Mit einem fröhlichen „Ju!“ kam er an und setzte sich in die für das Nest sehr geeignete Vertiefung des Quirls. Doch erhob er sich sogleich wieder, beugte sich mit Kopf und Vorderleib über den Astrand gerade nach mir zu und heftete mit gesträubten Kopffedern unter nicht zu verkennender Anstrengung das Baumaterial, so weit er hinunter reichen konnte, an, öffnete mit eigenthümlich vibrirender Bewegung des Kopfes den Schnabel, drückte denselben seitlich an und strich schmierend über die Flechten hin, wie etwa ein Buchbinder das Falzbein zum Glätten anwendet. Dies dauerte wenige Secunden, worauf sich der Vogel in derselben Weise, wie vorher, entfernte und von demselben Baume, ja so ziemlich von denselben Stellen neue Flechten holte. Um Alles untrüglich zu beobachten, nahm ich einen sogenannten Operngucker zu Hülfe. Nach Verlauf von zehn Minuten, während welcher Zeit der Finke ab und zu flog, unterbrach er plötzlich seine Thätigkeit und ließ sich auf dem Rasen nieder, um Nahrung zu suchen. Das Männchen that desgleichen und hüpfte viele Schritte von dem Weibchen entfernt umher. Deutlich bemerkte ich seine Erregtheit, und als die Gemahlin sich erhob, um die unterbrochene Arbeit fortzusetzen, flog

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_270.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)