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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

geworden, wir haben unsere idealen Wünsche den realen Forderungen anpassen gelernt, die nationale Machtfrage in ihrer Bedeutung anerkannt und darum uns zu mancher Concession herbeigelassen. Nicht ohne Opfer wird der Tempel der Einheit vollendet und wir müssen, nachdem die Mauern erst feststehen, den inneren Ausbau der günstigeren Zukunft überlassen, ohne darum die Hände in den Schooß zu legen. Verglichen mit der Frankfurter Nationalversammlung des Jahres 1848 ist das Norddeutsche Parlament ärmer an Begeisterung, an großen Gedanken und weittragenden Ideen, nicht von dem belebenden Athem der Freiheit durchweht, nicht von jenem allgemeinen Enthusiasmus getragen, aber dafür besonnener, frei von phrasenhafter Ueberschwänglichkeit, von unerreichbaren Träumen, von maßlosen Bestrebungen, weiser an staatsmännischer Einsicht, an praktischer Thätigkeit. Beide verhalten sich zu einander wie der begeisterte Jüngling zum gereiften Mann, aber die Natur des deutschen Volkes bürgt dafür, daß es seine Jugendideale nicht für immer vergessen, sondern mit der Wirklichkeit versöhnen und über die Einheit nicht die Freiheit, dieses höchste aller Güter, aufgeben wird.

Nun der norddeutsche Reichstag geschlossen ist, beschränken wir uns in unserer nächsten Skizze auf die Charakteristik der eigentlich maßgebenden Persönlichkeiten.




Deutsche Rettungsstationen.


„Nein, lieber Herr, Beschreibungen und Phantasie reichen nicht aus, sich das wahre Bild von den Gefahren, Mühseligkeiten und Leiden auszumalen, welche das Leben an unseren durchgehends gefährlichen Küsten zu einem so harten machen. Viele Reden fließen nicht vom Munde des wahren Unglücks, der schweren Sorge und Herzensangst, die so oft dort herrschen, man muß dem Allen in’s Auge gesehen haben. Nur wer an der Küste wohnt, hat ein Herz für die Noth der Seeleute. Ihr Binnenländer schwärmt in Euren Zeitungen von deutschen Flotten, wo aber mit der kalten That, ja nur mit der Hand in die Tasche geholfen werden soll, da geht Euch das Meer nichts an.“

Diese unumwundenen Worte mußte ich neulich von einem alten Seemann hinnehmen, als ich versucht hatte, ihm den uralten, den Deutschen ganz besonders eigenthümlichen Zug nach der See, das daraus entspringende Streben nach Seemacht und den Unmuth der Nation über die bisherige Vernachlässigung derselben und über die Vereitelung der volksthümlichen Begründung einer deutschen Flotte auseinander zu setzen.

Trotz des Scheins der Wahrheit seines Vorwurfs hatte der Mann dennoch Unrecht, weil er die Schuld augenblicklicher Zustände unberücksichtigt ließ, als die bisherige geringe Theilnahme des Binnenlandes an dem Ehrenwerte der deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger seinen Zorn erweckte.

Wir haben diesem Unternehmen bereits drei Artikel gewidmet,[1] in welchen das Rettungswesen an den deutschen Küsten ausführlich und durch Illustrationen verdeutlicht besprochen und namentlich die nationale Zusammenfassung der vorher vereinzelten Versuche durch die Gründung der genannten „deutschen Gesellschaft“ auf dem Vereinstage zu Kiel, am 29. Mai 1865, dargelegt und der Unterstützung der Nation empfohlen worden ist.

Wenn nun bis heute dennoch die Theilnahme des Binnenlandes hinter den Erwartungen der Küste weit zurückblieb, so kann dafür der das ganze innere Deutschland aufregende Kampf um die politische Neugestaltung des Vaterlandes doch wohl zu genügender Entschuldigung dienen. Nur die Augen, nicht die Herzen des Binnenlandes sind gerade in den beiden Jahren der ersten Entwickelung unseres Seerettungswesen von den Küsten abgezogen worden. Der alte Zug im deutschen Volke lebt noch, und es bedarf sicherlich nur einer klaren Hinweisung auf denselben, um auch im Binnenlande die werkthätige Theilnahme Aller, denen bei den starken Ansprüchen, welche die jüngsten Tage an die Opferwilligkeit der Opferfähigen machten, die Mittel für patriotische Zwecke noch zu Gebote stehen, der „deutschen Gesellschaft für Rettung Schiffbrüchiger“ zuzuwenden.

Deshalb nehmen wir diesen Gegenstand abermals auf. Nach einem neueren Berichte der Gesellschaft vom Februar d. J. sind durch ihre Anstalten seit ihrem Bestehen vier Male Menschenleben aus Todesgefahr gerettet worden. Daß sie nicht mehr gethan, sei dem glücklichen Umstand zu danken, daß unsere Küsten seit dem Sommer 1865 wenig Unglücksfälle aufzuweisen gehabt, wenigstens nicht im Bereiche der Rettungsstationen. Von diesen bestehen bis jetzt zweiundzwanzig, und zwar auf Amrum, Sylt, in Travemünde, in Büsum, für Rügenwaldermünde und Treptowerdeep (Bezirksverein Stettin), auf dem Weserfeuerschiff (Bezirksverein Bremen), zu Leba, zu Koppalin und auf Wangerooge, sämmtlich Stationen mit Rettungsbooten; dazu kommen fünf Raketenapparate, ferner elf Boots- und eine Mörserstation der Vereine zu Emden und zwei Bootsstationen zu Hamburg. Im vorigen Jahre wurden endlich noch zwei Raketenstationen auf Sylt (Bezirksverein Husum), eine Bootsstation für Warnemünde, ferner Raketenstationen für Warnemünde, das Fischland (Bezirksverein Rostock), Rügenwaldermünde und Treptowerdeep, und endlich Boots- und Raketenstationen für Hela und Bodenwinkel (Bezirksverein Danzig) gegründet. Als ein 1866 gewonnener großer Fortschritt wird die Vervollkommnung des bisherigen ziemlich mangelhaften Raketenapparates durch die Hülfe des preußischen Staates anerkannt, welcher im Feuerwerkslaboratorium zu Spandau die nöthigen Apparate der Gesellschaft anfertigen läßt. Die Zahl der Küstenbezirksvereine hat sich seit unserm letzten Bericht von 1866 nur von dreizehn auf vierzehn vermehrt.

Bezirksvereine des deutschen Binnenlandes bestehen bis jetzt nur in siebenunddreißig Städten, obwohl die Gesellschaft in einhundert und einem Binnenplatze Vertreter hat, und da zu der Einnahme vom zweiten Halbjahr 1865, welche nicht ganz achtzehntausend fünfhundert Thaler betrug, die Küstenländer das Meiste beisteuerten, so ist die Bemerkung gerechtfertigt, aber auch doppelt betrübend, daß gerade Städte wie Berlin, Dresden, Breslau und München mit weit geringeren Summen verzeichnet seien, als die kleinsten Küstenorte, und daß von Städten wie Köln, Nürnberg, Hannover, Stuttgart in dieser Sache noch gar nichts zu melden sei. In Leipzig ist man soeben in der Bildung eines Bezirksvereins begriffen.

Oft bedarf’s im Leben nur der Kenntniß über die Kosten und den wahren Werth eines Gegenstandes, um uns auch mit unseren guten Wünschen ihm näher zu bringen. Ein Rettungsboot kostet durchschnittlich fünfhundert Thaler und der gesammte Beiapparat dazu – Zubehör, Karren und Bootsschuppen – gegen elfhundert, ein Mörser-Apparat zweihundert Thaler. Also mit der verhältnißmäßig so geringen Summe von sechszehn- bis achtzehnhundert Thalern kann man eine Rettungsstation gründen, welche möglicherweise Hunderte von Menschen im Verlaufe weniger böser Seejahre für das Leben erhält. Würde nicht mancher Reiche, der für Wohlthun und Ehre ein Herz hat, sich ein ebenso schönes als dauerndes Denkmal stiften durch ein Vermächtniß für einen solchen Zweck, eine Gründung dieser Art? Aber auch der patriotische Mittelmann braucht vor der Theilnahme nicht zurückzuschrecken; schon für einen Thaler jährlichen Beitrags kann er Mitglied der Rettungsgesellschaft werden, und daß ihm dieser Thaler bei jeder Nachricht von der Rettung Schiffbrüchiger an einer deutschen Küste die herrlichsten Zinsen trägt, wer zweifelt daran?

Und wie führt der edle Sinn der Männer, welche die Leitung dieses Werks der Menschenliebe als freie Verpflichtung auf sich genommen haben – denn die gesammte Verwaltung und Vorsteherschaft fungirt unentgeltlich und nur kostenfrei – von einer Verbesserung und Vervollkommnung des Ganzen zur andern! Es war nämlich ein großer Uebelstand, daß für die Rettung mittels der Raketen- und Mörserapparate die Schiffbrüchigen selbst nicht eingeübt waren und darum manche Rettung sehr erschwert oder ganz vereitelt werden konnte. Diesem Uebelstand ist, wie der erwähnte Bericht sagt, nun theilweise dadurch abgeholfen worden, daß von Staatswegen befohlen ist, auf allen Schifffahrts- und Steuermannsschulen das Rettungswerk praktisch und theoretisch zu üben; ferner ist in Aussicht gestellt, daß jedem Schiffe, welches die deutschen Küsten verläßt, eine in deutscher oder englischer Sprache geschriebene Instruction für Schiffbrüchige mit auf den Weg gegeben


  1. Vgl. Gartenlaube 1861 Nr. 51, 1865 Nr. 23 und 1866 Nr. 22.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_268.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)