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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Seiten so reich begabten Natur. Mit den Genannten stimmen in allen wichtigen Fragen der wackere Bürgermeister Grumbrecht aus Harburg, seit 1863 Mitglied des ständigen Ausschusses des deutschen volkswirthschaftlichen Congresses, der tüchtige Anwalt Weber aus Stade und Dr. Ellissen, ebenso bekannt als gelehrter Sprachforscher und Mitarbeiter der früheren Halle’schen Jahrbücher, wie als beredtes Mitglied der hannoverschen Opposition und zeitweiser Präsident der zweiten Kammer.

Die folgenden Herren, welche vorzugsweise auf der rechten Seite sitzen, erinnern unwillkürlich an die „Unzufriedenen“ in Goethe’s „Walpurgisnacht“, oder an die Verse des Dichters:

Es sind hannöversche Particularisten und fast ohne Ausnahme Mitglieder der dortigen, einst so einflußreichen Aristokratie. Unter ihnen gilt der frühere Justizminister von Windthorst als der Bedeutendste, obgleich er weniger durch sein oratorisches Talent, als durch seine Gewandtheit sich zum politischen Parteiführer eignet. Als Minister gelang es ihm, sich sogar mit einem gewissen liberalen Nimbus zu umgeben, dagegen stand er beim Volk als Katholik in Verdacht, den Ultramontanismus zu begünstigen. Im Reichstag ist er nirgends hervorgetreten, dennoch wird er für einen entschiedenen Gegner der preußischen Annexion gehalten und auf ihn das Sprüchwort angewendet, daß stille Wasser tief sind. Offener spricht der Freiherr von Hammerstein seine Meinung aus, ein ältlicher, etwas steifer Herr, mit einem verdießlichen Gesicht, der zuweilen seine rhetorische Lanze zu Gunsten der alten Zustände einlegt und gegen Windmühlen wie Don Quixote kämpft. Dasselbe versuchte auch Herr von Münchhausen, eine hohe etwas übergebeugte Gestalt, mit vornehm aristokratischen Zügen, der unter dem König Ernst August eine Zeit lang an der Spitze des hannöverschen Ministeriums stand, später zur Opposition gehörte und jetzt im Reichstag seinen Schmerzensruf ertönen ließ, wofür ihm Graf Bismarck in seiner bekannten Antwort eine wahrhaft vernichtende Abfertigung zu Theil werden ließ. An demselben Strange zieht der frühere Finanzminister von Erxleben, ein kleiner, magerer Herr, dem man den Zahlenmenschen sofort ansieht. Auch zwei bürgerliche Abgeordnete erscheinen als Anhänger des Particularismus, der bekannte Staatsrath und Rechtslehrer Zachariä aus Göttingen, fein und geschickt lavirend, und der Redacteur der „deutschen Volkszeitung“, Eichholz, ein geborener Preuße, was ihn jedoch nicht abhält gegen die Politik des Grafen Bismarck eine entschiedene Opposition zu machen und trotz seiner demokratischen Gesinnung König Georg und dessen Ansprüche so wie die Prätendentenschaft des Augustenburgers zu vertheidigen.

Im Gegensatz zu diesen hannöverschen Particularisten neigen sich die Abgeordneten Nassau’s fast ohne Ausnahme zu einem innigen Anschluß an Preußen. Unter ihnen ragt vor Allen der Obergerichts-Procurator Braun aus Wiesbaden hervor, eine kräftig männliche Erscheinung, jugendlich frisch, zum Parteiführer wie geschaffen, bekannt durch seine bedeutenden Arbeiten auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. Er ist unstreitig einer der besten Redner des Reichstags und sein schönes, sonores Organ, der warme, zu Herzen dringende Ton sichern ihm stets einen großen Erfolg, unterstützt durch seine ansprechende Persönlichkeit. Mit einem umfangreichen Wissen verbindet Braun eine unermüdliche Thätigkeit, eine mehr süddeutsche Lebendigkeit, die vortheilhaft gegen norddeutsche Professorenweisheit und Schulabstractionen absticht. Er ist nichts weniger als Idealist, sondern durchaus praktisch, hier und da selbst materialistisch, kein Freund von politischen Träumen und Illusionen, kein blasser Schwärmer, sondern ein Mann der That, der realen Verhältnisse, der erreichbaren Ziele; wie es scheint, nicht ohne politischen Ehrgeiz und vielleicht berufen, noch eine bedeutende Rolle zu spielen. Auch er hat sich zu einer Schwenkung nach Rechts be – quemt.

Ein neckender Zufall hat zwei der größten Contraste auf dieselbe Bank geführt; nur durch einen Platz von einander getrennt sitzen hier die beiden Repräsentanten von Geld und Geist, Millionär und Dichter, Rothschild und Gustav Freytag neben einander. Der Vertreter der Stadt Frankfurt, die sechste Großmacht, der König der europäischen Börse und absolute Beherrscher des Geldmarkts ist ein starker, gedrungener Herr, breitschultrig, kurzhalsig, mit einem klugen, nicht uninteressanten Gesicht, eingerahmt von mächtigen, üppig wuchernden „Favoris“, welche man in Berlin „Haarcoteletten“ zu nennen pflegt, während der starke Kopf weniger an die üppigen Locken „Simson’s“, als an den kahlen Scheitel des „Elisa“ mahnt, obgleich eine sorgfältig gepflegte Frisur die hervorschimmernden Blößen geschickt bedeckt. Man rühmt Rothschild’s Verstand und Einsicht in allen praktischen Fragen, obgleich er im Reichstage als guter Rechenmeister nur der Regel folgt, daß Reden Silber, Schweigen aber Gold sei. Sein Nachbar, der liebenswürdige Dichter der Valentine, der Journalisten etc., der Verfasser von „Soll und Haben“, zeigt eine schlanke Figur und einen geistig durchgearbeiteten Kopf, der halb den Denker, halb den Dichter ahnen läßt. Auf den Ersteren deutet die schöne, breite Stirn, von dunkelblondem Haar umgeben, auf den Letzteren die träumerischen und doch wieder auch scharf beobachtenden Augen und ein sinnender Zug des interessanten Gesichts. Ob der Dichter eben so gut zu reden, als zu schreiben weiß, läßt sich aus seiner Wirksamkeit im Reichstag nicht entscheiden, da ihm zum größten Bedauern seiner zahlreichen weiblichen Verehrer auf der Tribüne, durch den angenommenen Schluß der Debatte die Gelegenheit geraubt wurde, sein Talent zu zeigen, als er sich zum Wort in einer wichtigen Frage gemeldet hatte; seine Befürwortung einer Petition aber war zu unerheblich, um ein Urtheil über seine Begabung zu fällen.

Wie Hannover liefert auch das Königreich Sachsen Vertreter der verschiedensten politischen Richtungen, neben den streng Conservativen und Liberalen selbst mehrere Social-Demokraten, wie die Herren Stauß, Schraps, Streit[WS 1] und Bebel. Letzterer, ein noch junger Mann, mit blassem, scharf geschnittenem Gesicht und noch schärfer eindringender Stimme, erinnerte durch die Art und Weise seiner Beredsamkeit in der Frage über den Anschluß der süddeutschen Staaten an die rothen Vögel der Revolution. Seine Worte klangen wie Sturmgeläute und warfen zündende Funken in die Versammlung, welche über die ungewohnte Sprache in keine geringe Aufregung gerieth, so daß Herr Lasker sich veranlaßt fand, in harten Ausdrücken, die ihm einen Ordnungsruf des Präsidenten zuzogen, die Rede des Herrn Bebel zu kritisiren. In demselben Sinne, wenn auch gemäßigter, sprach der bekannte Professor Wigard aus Dresden, der Typus eines ungebeugten Freiheitskämpfers aus dem Jahre 1848, trotz der grauen Haare und des ergrauten Demokratenbartes voll jugendlicher Begeisterung, jedoch mehr berufen, sich in einer Volksversammlung als in dem Norddeutschen Parlament Gehör zu schaffen. Auffallend still verhalten sich dagegen die liberalen Herren Schaffrath, Minkwitz, Heubner und Rewitzer, deren Schweigen um so mehr gegen ihre frühere Beredsamkeit in der sächsischen Kammer absticht. Trotzdem ziehen diese Männer, deren Namen einen guten Klang in ganz Deutschland haben, die Aufmerksamkeit auf sich. Unter den Conservativen Sachsens machten sich besonders Herr von Thielau und Geheimrath von Wächter bemerkbar.

Aus den übrigen deutschen Ländern sind noch erwähnenswerth Fries für Sachsen-Weimar, Forkel für Coburg, der wackere Julius Wiggers, der das liberale Bürgerthum in Mecklenburg-Schwerin würdig vertritt, der witzige Salzmann, welcher den Kladderadatsch an der „Karoline“ von Reuß gerächt, Meier von Bremen, dessen Rede über das deutsche Marinewesen die größte Anerkennung verdiente und auch fand, endlich Dr. Rée aus Hamburg, ein echter Demokrat, voll Geist, Bildung und Charakter.

Aus diesen verschiedenen Bestandtheilen ist nun das Norddeutsche Parlament zusammengesetzt, welches die große Aufgabe der Einigung Deutschlands zu vollbringen hat. Es fehlt hier nicht an bedeutenden Männern, an tüchtigen Kräften, an berühmten Namen; daneben freilich findet man die particularistische Beschränktheit, die feudale Selbstsucht und Standesüberhebung, die schwankende Gesinnungslosigkeit, welche sich von dem Erfolg nur zu leicht bestimmen läßt, die Halbheit und starre Einseitigkeit nur zu zahlreich vertreten. Statt eines organischen Ganzen bildet der Reichstag ein Conglomerat entgegengesetzter Ansichten und Interessen, gleichsam einen Niederschlag der letzten bewegten Jahre, dem der innere Zusammenhang mangelt. Aber die Gewalt der Thatsachen, das Gewicht und der Druck der ehernen Nothwendigkeit üben ihre zwingende Macht auf die widerstrebenden Elemente und schaffen Compromisse, welche unter andern Verhältnissen nicht zu Stande gekommen wären.

Wir sind ärmer an Illusionen, aber auch an Täuschungen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vergleiche die Berichtigung: Die Herren Stauß und Streit gehören der nationalliberalen Partei an und haben auf dem Reichstag überhaupt nicht mitgewirkt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_267.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)