Seite:Die Gartenlaube (1867) 266.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

zum Photographen oder überhaupt aus dem Zimmer zu gehen. Es daure nur wenige Minuten u. s. f. Seine Frau kam dazu, sie war für mich eine Bundesgenossin in diesem Falle.

„Pietro, ich würde es thun,“ meinte sie.

„Nun denn, meinetwegen!“ murrte er etwas verdrießlich, und ich eilte fort, um meinen Freund, den Photographen A. Schwendy, zu avertiren. Am andern Tage fand die Sitzung statt; Cornelius war genöthigt, sich der Operation zweimal zu unterwerfen, weil sie das erste Mal mißlang. Dafür war die zweite Aufnahme eine desto gelungenere. Kein anderes Portrait giebt den energischen Ausdruck dieses bedeutenden Gesichts, die ganze Modellirung dieses merkwürdigen Kopfes in so entschiedener und treuer Weise wieder wie dieses.[1]

Ich habe die ganze kleine Episode hauptsächlich deshalb so ausführlich erzählt, weil sich in ihr die Herzensgüte und die wahrhafte Humanität des großen Künstlers so lebendig wiederspiegelt.

Diese Erinnerungen aus den letzten Lebensjahren des großen Künstlers, wie aphoristisch sie auch seien, mögen den Lesern der Gartenlaube als Einleitung zu der kurzen biographischen Charakteristik dienen, welche ich nun von Cornelius, als einem der merkwürdigsten Geister und edelsten Charaktere der neueren Zeit, zu entwerfen versuchen will.




Photographien aus dem Reichstag.
IV.


Auf den Bänken der äußersten Linken sitzt das grollende Häuflein der Polen wie eine finstere Mahnung an das alte Unrecht, nur um bei jeder Gelegenheit ihren Protest gegen die Gewalt der Thatsachen zu erheben. Ihre beiden Hauptvertreter sind die Herren Kantak und Dr. Niegolewski; der Erste, eine hohe, kräftige Gestalt, mit einem interessanten Gesicht, das nur durch eine krankhafte Bildung der Nase verunstaltet wird, drückt sich leicht und fließend in der deutschen Sprache aus und vertheidigt die Rechte seines Volkes mit großer Kraft und Energie. Dagegen erscheint Herr Niegolewski als die verkörperte Klage, als die lebendige Elegie der polnischen Nation. Ein tiefer, innerer Schmerz lagert in den bleichen Zügen, in der düster gefalteten Stirn, in den dunklen, zurücktretenden Augen. Unwillkürliches Mitgefühl ergreift den Hörer, wenn der Redner mit dumpfer Stimme und erschütterndem Pathos von der einstigen Größe, von dem traurigen Schicksal seines unglücklichen Vaterlandes spricht und durch seine vergeblichen Klagen und Beschuldigungen nur die gerechten und darum doppelt schmerzlichen Entgegnungen der deutschen Mitglieder des Reichstags und besonders die wahrhaft vernichtende Kritik, die historische Beleuchtung des Ministerpräsidenten hervorruft.

Minder tragisch sind die hier am Ende des Saales auf der rechten Seite sitzenden Vertreter der dänischen Interessen, die Herren Krüger und Ahlemann aus Nordschleswig, welche sich ebenfalls durch ihr fortwährendes, erfolgloses Protestiren bemerkbar machen. Ihre Einwürfe gehen schon deshalb meist spurlos vorüber, weil Beide auf der Tribüne wegen ihres eigenthümlichen Dialekts unverständlich bleiben, obgleich sie allerdings deutsch sprechen, oder vielmehr buchstabiren, da es ihnen ausnahmsweise gestattet ist, ihre Propositionen abzulesen. Dabei bildet das rothe, blühende Gesicht des Herrn Krüger einen heitern Contrast mit seinen traurigen Beschwerden, wogegen man Herrn Ahlemann, einem hagern, blassen Herrn, mit kränklicher Gesichtsfarbe, tiefliegenden Augen und einem leisen, klanglosen Organ, mehr Glauben schenkt, wenn er über die Verletzung der Nationalität Klage führt und sich gegen jede Annexion feierlichst verwahrt.

Ein bedeutendes Contingent von hervorragenden Persönlichkeiten hat uns Hannover geliefert und zwar in allen Farben und politischen Nuancen, eifrige Particularisten, treue Anhänger des verjagten Königshauses und entschiedene Verehrer des Grafen Bismarck, tüchtige Kämpfer für die deutsche Einheit unter der Führung eines mächtigen Preußens. An ihrer Spitze steht der rühmlichst bekannte Präsident des Nationalvereins, Rudolph von Bennigsen, gleich ausgezeichnet als politischer Charakter und trefflicher Redner. Jahre lang kämpfte er in der zweiten hannoverschen Kammer gegen das Ministerium Borries, als Hauptführer der Opposition gegen eine maßlose Reaction. Noch größere Verdienste erwarb er sich um das gesammte deutsche Vaterland als er am 19. Juni 1859 in Gemeinschaft mit fünfunddreißig gleichgesinnten Politikern die von ihm abgefaßte Erklärung abgab, daß die bestehende Bundesverfassung zum Schutze Deuschlands nicht mehr genüge und einer starken, von einer freisinnigen Volksvertretung getragenen Centralgewalt weichen müsse. Seine Worte fanden einen mächtigen Wiederhall in dem Herzen des deutschen Volkes und gaben den ersten Anstoß zu den bekannten „Eisenacher Beschlüssen“ und zu der Gründung des „Nationalvereins“, dessen Präsident Bennigsen bis jetzt gewesen ist. Seine ganze Erscheinung, die hohe, vornehme Gestalt, das offene, meist freundliche, grundehrliche Gesicht, das den norddeutschen Typus nicht verleugnet, flößt unbedingte Achtung und Vertrauen zu dem echten Edelmann ein, der als entschiedener Demokrat stets mit seinem Volke Hand in Hand geht und kein anderes Privilegium beansprucht, als der Sohn seines Vaterlandes zu sein. Seine Reden, besonders die berühmte Interpellation über Luxemburg, zeugen für die Lauterkeit seiner Gesinnung, für die Größe seines Talents und bilden einen wahrhaften Glanzpunkt, einen denkwürdigen Moment in den Verhandlungen des Reichstags. Bennigsen spricht klar und ruhig, gewöhnlich mit den Händen auf dem Rücken, selbst mit einer gewissen Zurückhaltung, als hätte er mit einem unsichtbaren Hindernisse zu kämpfen. Erst nach und nach wird sein Vortrag lebendiger und fließender, gewinnt er mit jedem neuen Satz an Sicherheit und Kraft, übt er einen mächtigen Eindruck, indem er nicht die fliegende Hitze eines schnell verrauchenden Enthusiasmus, sondern die wohlthuende Wärme männlicher Ueberzeugung hinterläßt. Wenn er spricht, herrscht stets lautlose Stille im Saale.

In seiner nächsten Nähe sitzt sein Freund, der Bürgermeister Miquél, ein angehender Dreißiger, von mittlerer Statur, mit dunklen Augen, schwarzen Haaren und interessanten Zügen, die an seine Abstammung von einer geachteten französischen Emigrantenfamilie erinnern. Nachdem er in Göttingen Jurisprudenz studirt, in Paris sich längere Zeit mit volkswirthschaftlichen Arbeiten beschäftigt und später sich in seiner Heimath als Anwalt niedergelassen hatte, wurde er in die zweite hannoversche Kammer gewählt, wo er neben Bennigsen einen bedeutenden Einfluß durch seine genauen Finanzkenntnisse gewann. Mehrere glänzend geschriebene Flugschriften, darunter „die Ausscheidung des hannoverschen Domanialgutes“, erregten das größte Aufsehen durch die vernichtende Kritik dieser verwerflichen Maßregel. Zugleich entwickelte Miquél als Ausschußmitglied des Nationalvereins eine große, wenn auch nicht immer zweckentsprechende Thätigkeit, wobei er sich öfters von seinem sanguinischen Temperament und seinen subjectiven Gefühlen leiten ließ. Im Reichstag bekennt er sich jetzt, durch die jüngsten Ereignisse belehrt, zu einer mehr realistischen Auffassung der gegebenen Thatsachen, ohne darum seine freisinnigen Ideen zu verleugnen, wofür seine ganze Stellung und seine meist brillanten Reden ein sprechendes Zeugniß ablegen. Umgekehrt wie sein Freund Bennigsen fesselt Miquél von vornherein durch einen gewissen Esprit, das geistige Erbe seiner französischen Vorfahren, durch schlagende Aperçus, zutreffende Bilder und Vergleiche die Aufmerksamkeit der Hörer, geräth aber zuweilen durch eine selbstgefällige Breite in Gefahr, den ersten Eindruck abzuschwächen. Dagegen versöhnt ein Zug persönlicher Liebenswürdigkeit und großer Gutmüthigkeit selbst die Gegner mit seinen widersprechenden Ansichten und bildet gleichsam den Grundton dieser nach allen


  1. Von Cornelius existiren mehrere Portraits aus verschiedenen Zeiten seines Lebens. Unter denen der späteren Zeit zeichnet sich eine Profilzeichnung von Bendemann durch monumentale Auffassung und idealen Stil aus. Sie trägt das Datum „7. August 1862“ und die von Cornelius darunter gesetzten Worte: „Die Natur ist die Frau, der Genius der Mann. Wenn beide sich in Liebe vereinen, erzeugen sie unsterbliche Kinder, schön und herrlich wie sie selber.“ Sodann haben ihn Schrader (für das Kölner Museum) und Oskar Vegas (für das Antwerpener Museum) in Oel gemalt. Aber eine Originalphotographie nach dem Leben existirt außer der obengenannten nicht. Dieselbe ist kürzlich in dem „Künstleralbum“ meiner deutschen Kunstzeitung, „Die Dioskuren“, veröffentlicht worden.
    D. V.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_266.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)