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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Klage erfuhr, da ist ihm angst geworden um sein Kind, und er ist hergekommen und hat’s gewagt, was er vierzig Jahre lang nicht wagte, dem Augustin –“

„Mensch – wessen erfrechst Du Dich!“ brach der Baron mit vor Zorn halberstickter Stimme aus. Sein Gesicht war verzerrt.

„Leugnet’s, Herr Baron!“ sagte der Müller unbewegt. „Ihr habt eben gedacht, der Augustin könn’ es an Euch oder an Euren Kindern rächen wollen, daß Ihr zum alten Unrecht noch eignes fügtet und vordem seine Schwester betrogen und ihr Kind verleugnet habt. Dafür hab’ ich mich revanchirt, und wenn Ihr damit fertig seid, so ist’s abgethan. Ich bin kein Kinderfresser, sag’ ich. Von derentwegen dürft Ihr mit den Euren immer hier sein. Aber das Recht auf Dernot, das behält sein rechter Herr, ob Ihr fern seid oder hier; das geben wir nicht auf, sondern kämpfen es durch, gegen Fürsten und Minister. Und damit Ihr das auch von mir hört, darum kam ich auf’s Schloß.“

„Ich nehme Sie zu Zeugen für die Frechheit und die Beleidigungen dieses Menschen, meine Herren!“ rief der Minister mit heiserer Stimme und wollte fortfahren, als der Justizrath ihn unterbrach: „Excellenz legen diesen sinnlosen Aeußerungen, Drohungen und Angriffen eines, wie mir scheint, halb kindischen alten Mannes wohl allzuviel Gewicht bei. Mir däucht, wir sollten ruhig seine sogenannte Klage und seinen Beweis erwarten. Er wird wohl ausbleiben –“

„Wenn der Glaube Eure letzte Stütze ist, da seid Ihr dem Falle näher, als Ihr denkt,“ unterbrach ihn die harte Stimme des Müllers. „Der Beweis ist leicht, denn eine vom Baron August beglaubigte und unterzeichnete Abschrift des Testaments ist jetzt in unsern Händen, und darin heißt es von Wort zu Wort – die Herren können auch hier als Zeugen dienen –“

„Wir erlassen Ihnen das, mein werther Meister,“ fiel der Justizrath ein. „Wir werden gemäß Ihrer Drohung ja –“

Er wurde in diesem Augenblick durch zwei gleichzeitig eintretende Störungen unterbrochen. Von dem erwähnten kleinen Balcon herab erklang die Stimme Esperancens, welche sich über die Brüstung vorbeugte, in hellem, festem Ton: „Ich aber, die Herrin von Dernot, erlasse Ihnen diese Angabe nicht, da ich dieselbe sonst möglicherweise niemals erführe – wie lautet das Testament?“

Und wie gesagt, noch während dieser Worte, welche alle Anwesenden ihre bestürzten Blicke zu der Loge und dem kühnen Mädchen erheben ließen, trat in die große Thür des Saals, indem er anscheinend einen draußen Stehenden zurückstieß, – Franz Burgsheim und wollte sich – sein männlich schönes Gesicht zeigte die Spuren von Erhitzung und Aufregung – dem alten Müller nähern. Die Anderen hatten ihn vor der Erscheinung droben vermuthlich kaum bemerkt oder hielten ihn der Beachtung nicht werth; Augustin sah ihn jedoch und winkte ihn mit einer heftigen Bewegung zurück.

„Bei Gott im Himmel!“ rief der Baron in diesem Moment wie ganz außer sich, „es ist die Ungerathene und der – der Bastard! Bin ich nicht mehr Herr in meinem Hause?“

Und da sagte Augustin so hart wie je: „In Dernot nicht, denn es ist nicht Euer Haus. – Das Fräulein aber soll seinen Willen haben – es ist sein Recht das zu wissen,“ fuhr der Alte mit einer so festen Stimme fort, daß jede Unterbrechung ausgeschlossen wurde. „Der Baron August sagt in seinem Testament, daß er seinen Sohn August Dernot von der Wilhelmine Besseling, mit der er, wie es damals hieß, in Gewissensehe gelebt, legitimiren lassen wolle und zu seinem Erben einsetze – die Mutter sei frei geboren und ehrbaren Standes und Rufs gewesen, wie es für eine Frau von Dernot genüge. – Das Testament hat er in einer Abschrift seinem Sohn gegeben und ihm auf’s Gewissen gebunden, es nicht aus der Hand zu lassen. Er hat’s wohl geahnt,“ sprach der Greis unerbittlich weiter, „daß es kommen möge, wie es gekommen – daß dies Testament ihm das Leben kosten und verloren gehen könne. Das möchte sich auch noch beweisen lassen. Der Schloßengel muß auch davon reden können. – Der August aber, den Sohn mein’ ich, ist feig gewesen und hat sich einschüchtern lassen. Von seinem Testament hat er keinem zu sagen gewagt, auch mir nicht, der ich doch sein Vetter, und ist davon gelaufen und fort geblieben. Und wenn ich ihn habe mahnen lassen, hat er nicht gewollt. Aber Recht verjährt nicht. Jetzt ist das Testament da und sein Erbe auch, und –“ der Greis wandte sich und winkte Bergheim mit einer gebieterischen Bewegung heran – „hier steht der Erbe und Herr von Dernot.“

„Burgsheim – also doch!“ sagte Esperancens Stimme vernehmbar von oben herab, und es war, als ob an leises Bedauern durch die Worte bebe. Allein es achtete jetzt niemand darauf, sondern alle Blicke waren auf den jungen Mann gerichtet, der bisher, wie schon vorhin gesagt, fast unbemerkt geblieben. Die Augen des Barons besonders hafteten auf ihm mit einem Ausdruck des Entsetzens und der Brust des Herrn entrang sich ein Seufzer, der beinahe wie ein Stöhnen klang.

Der junge Mann war vorgetreten. Das dunkle Auge flog mit raschem, offenem Blick über die Herren am Tisch, hinauf zu der kleinen Loge und blieb fest und ernst an dem alten Müller haften. „Ich hatte also Recht zu glauben,“ sagte er, „daß es Unheil geben würde, wenn Ihr auf das Schloß gingt, Ohm. Da bin ich Euch nach und kam, wie ich sehe, zur rechten Zeit. Ich hab’ es Euch schon neulich gesagt und wiederhol’s: Ihr macht die Rechnung ohne den Wirth. Ich bin nicht um dieser sogenannten Erbschaft willen hergekommen und will nichts von ihr, ebenso wenig –“

„Wie der Feigling, Dein Vater!“ unterbrach ihn Augustin, dessen starres Gesicht momentan von einem wilden Hohne verzerrt wurde. „Thu’s, ich gebe Dein Recht und Erbe nicht auf.“

„Ich bin alt genug, für mich selbst zu entscheiden,“ erwiderte der Jägersmann ernst. „Ob mein Vater vor Drohungen wich, oder ob er’s that, weil seine Legitimation eben niemals erfolgte und er kein wirkliches Recht erhalten hatte, – das weiß ich nicht. Er hat mir nichts zu rächen hinterlassen. Ich bin mit meinem Namen und meiner Habe zufrieden –“

„Nur die Augen möchtest Du noch, die es Dir angethan,“ fiel Augustin von neuem mit dem früheren Ausdruck ein, und unter der lang überhängenden weißen Braue hervor flog das scharfe blaue Auge mit grimmigem Lächeln hinauf zu der Loge und wandte sich dann, noch hohnvoller, zu Franz zurück.

Der Jäger maß ihn ein paar Secunden lang mit festem und finsterem Blick von oben bis unten, wandte sich dann jedoch ohne Erwiderung gegen den Tisch und sprach mit ruhiger Stimme: „Wie ich gesagt, so bleibt’s. Das Testament im Nachlaß meines Vaters ist für uns ohne Werth. Ich bin der Erbe von Dernot nicht – schreiben Sie’s auf, mein Herr, wenn Sie es für nöthig halten. Guten Morgen.“ Und nach flüchtigem Gruß gegen die Anwesenden verließ er den Saal.

Einen Augenblick stand der alte Müller wie betäubt. Dann flog jener Ausdruck des Hohns noch einmal durch das runzelvolle Gesicht, und indem er die Hand erhob und schüttelte, sagte er mit einer Art von heiserem Lachen: „Einer mehr oder weniger – das heißt nichts. Ich werde mit euch allen fertig.“ Und damit ging er ohne Gruß, den dreieckigen Hut auf den Kopf drückend, der Thür zu und verschwand.

Der Baron war in den Stuhl gesunken, neben dem er bisher gestanden. Die Arme hingen schlaff herunter, sein Gesicht war blaß und er athmete schwer.




8. Nun fall’ du Reif, du kalter Schnee!

Das war ein sehr ernster Herbst, der von 1847, und mit dem Winter wurde es nicht besser, sondern immer ernster: die Gewitterwolken thürmten sich ringsumher auf und zogen näher und näher, und wohin man auch sah, überall schon lagen ihre Schatten schwer und beängstigend, und man sehnte sich schier, daß nur der erste Blitz zucke und der Donner über die Lande rolle. Dann erst durfte man wieder aufathmen, sei es auch im Sturm und Kampf; so wie jetzt, glaubte niemand länger noch fortleben zu können, weder die Einzelnen, noch die Völker.

Der bedenkliche Anfall, der den Baron Treuenstein zum Schluß jener an überraschenden und erschütternden Momenten reichen Morgenverhandlung niedergeworfen, war von der ausgezeichneten Natur des Herrn schneller überwunden worden, als es die erschrockenen Seinen und der aus der nächsten kleinen Stadt herbeigerufene Arzt anfänglich gefürchtet hatten. Ein paar Tage noch mußte man auf dem öden Schlosse verweilen; dann brachen sie auf und kehrten in die Residenz zurück, wo das Palais am Plan sie aufnahm, in dem nun wieder wie sonst alle Fäden der Regierung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_258.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)