Seite:Die Gartenlaube (1867) 257.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 17.   1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.      Vierteljährlich 15 Ngr.      Monatshefte à 5 Ngr.


Die Herrin von Dernot.
Von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung.)


„Ich darf Esperance nicht allein gehen lassen,“ sagte Leopold wie zur Entschuldigung zu den Geschwistern und folgte der bereits Davonschreitenden. Sie führte ihn eine Nebentreppe aufwärts und über einen dunklen Gang bis zu einer kleinen Thür. Da stand sie und sprach rasch und leise: „Verkenne mich nicht, denke an das, was ich Dir gestern sagte. Und sieh, auch Tante Kunigunde hat einmal geäußert, daß der Vater Dernot um alter Sünden willen fliehe, und auf mich hab’ er’s übertragen, weil ich auch von meiner Mutter her noch Rechte darauf habe und man es mir daher nicht abstreiten könne. – Das will ich nun alles wissen. Und jetzt komm’ – ich fand den Platz gleich anfangs einmal. Er ist für uns wie gemacht.“

So war es in der That, denn da sie eintraten, fanden sie sich in einer Art kleiner Loge, die frei aus der Ecke des Saals in ziemlicher Höhe hervorsprang – vielleicht war der Platz vordem bei festlichen Gelegenheiten für die Musik bestimmt gewesen.

Auf dem Tisch unten im Saale in der Nähe eines der großen Fenster waren die Reste des Frühstücks zusammen und auf die Seite geschoben, und auf dem dadurch gewonnenen Platz hatte der Justizrath mehrere Schriftstücke vor sich ausgebreitet. In der Fensternische dahinter lehnte Herr von Brose und besah angelegentlich seine Finger; vor dem Tisch und fast in der Mitte des Saals sah man die große, hagere Gestalt des alten Müllers, diesmal in einen langen dunklen Rock gehüllt, auf dessen Kragen das weiße Haar weit herabfiel. Ihm gegenüber und neben dem sitzenden Geschäftsmann stand der Baron, hoch aufgerichtet und die Rechte fest auf den Tisch und eines der Schriftstücke gelegt. Sein Gesicht war noch geröthet, die weißen Brauen auf die zugleich düster und stolz blickenden Augen herabgezogen, und er sprach eben in vornehmem Tone: „Vor allem bitte ich nicht zu vergessen, wen Ihr vor Euch habt: nicht bloß den Baron Treuenstein und Herrn von Dernot, sondern auch den Staats- und gebietenden Minister – Hoheit haben meinen Wiedereintritt gewünscht,“ wandte er sich in nachlässigerem Tone gegen Brose, „und ich habe gestern Morgen eingewilligt. Das Land braucht eine festere Hand, als die seines bisherigen Leiters.“

„Das mag alles sein,“ wurde die Stimme des Müllers laut, „und wenn ich mit dem Herrn Staatsminister zu thun habe, werd’ ich es an dem schicklichen Respect nicht fehlen lassen. Heut aber und hier habe ich nur mit dem Herrn Baron zu thun, der sich auch den Herrn von Dernot nennt; und wenn sich da der Minister einmischen oder vordrängen wollte, so wär’s – wie vor Alters. Aber,“ fügte der trotzige alte Mann mit der gleichen Härte und Starrheit hinzu, „es ist nicht mehr wie vor Alters. Der Fürst und unsere Stände dulden nicht Unrecht noch Gewalt.“

Die Stirn Treuenstein’s wurde noch finsterer und Brose besah immer eifriger seine Finger. Der Justizrath sagte aber nach einem mißbilligenden Kopfschütteln: „Bleiben wir bei der Sache. Seine Excellenz ist geneigt, den alten Streit mit den sogenannten freien Hofbesitzern womöglich gütlich zu Ende zu bringen. Und wenn die betreffenden Documente wirklich in eurem Besitz sind und die Ansprüche bestätigen, so legt sie endlich einmal vor und die Sache kann schnell abgethan werden.“

„Das ist die Sache nicht,“ erwiderte der Müller ungebeugt. „Meine und der Anderen Rechte hat man vor Alters nicht beugen und fortdisputiren können und wird’s auch jetzt nicht vermögen. Ich rede nicht von dem Hof, der gehört den Besseling seit hundert fünfzig Jahren und darüber, und die Besseling waren von jeher freie Leute. Davon red’ ich nicht, sag’ ich; darum wäre der Herr Baron nicht nach Dernot und ich nicht auf’s Schloß gekommen. Ich rede davon, daß die Herrschaft Dernot von den Baronen von Treuenstein mit Sünde erworben ist und mit Sünde festgehalten wird. Das wissen die Herren von Treuenstein seit fünfzig Jahren und wissen’s, daß wir es nicht ruhen lassen –“

„Am Ende sind Sie selber der rechte Erbe, Meister,“ unterbrach ihn der Justizrath spottend.

Der Müller schaute ihn fest an und fuhr fort: „Daß wir’s nicht ruhen und uns nicht irren lassen, was man auch versucht, ob man uns da einen jungen Baron von Treuenstein schickt, der eigentlich gar nicht einmal einer ist –“

Es wurden zwei Laute im Saale hörbar – einer, dumpf und zugleich knirschend, kam sichtbar und hörbar aus dem Munde des zusammenzuckenden und dann sich hoch aufrichtenden Barons, und ein zweiter, wie eine Art von tiefem Stöhnen, das die Herren überrascht aufsehen und selbst den Müller eine Pause machen ließ. Aber sie sahen niemand, von dem es hätte ausgehen können, und indem fuhr Augustin auch schon wieder fort:

„– oder ein junges Fräulein, das man die ‚Herrin von Dernot‘ geheißen, weil man denkt, der Name habe hier einen guten Klang und das junge Ding möge uns erbarmen. Aber es hilft alles nichts. Dernot gehört seinem Herrn, und der ist jetzt da, und die Klage ist in der Hand unseres Fürsten. Mag der Herr Baron es leugnen, wenn er’s kann: als er von unserer

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_257.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)