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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Gefechten Sieger zu wissen. Sehen Sie – das ist, wozu die Natur mich bestimmt hat – unzählige Leute zum Denkfortschritt anzuregen und auf die grenzenlosen Schwächen ihres Systems aufmerksam zu machen – die Säulen der Kirche tief zu erschüttern, indem man die Geistlichen selbst insgeheim mit dem Gifte des Zweifels und der Kritik ansteckt – den Humbugern aber unter ihnen einen Wink zu geben, daß man sie durchschaue. Sehen Sie – das ist auch eine Art reformatorischer Thätigkeit, die ihr Verdienst hat, ohne gerade Opfer zu kosten. Es würde mir ganz unmöglich sein, auf alle diese Yankees einzuwirken und sie zum Disputiren zu bringen – denn die Feigheit der Yankees gegenüber der unverschleierten Wahrheit ist unglaublich groß – nur indem ich ihren Hokuspokus mitmache und mich am Ende dem Glauben gefangen gebe, kann ich sie zwingen, tagelang meinen Gründen zuzuhören und meine Fragen zu beantworten. Es würden sich mir alle Thüren verschließen, wenn ich aus den Markt treten und meinen Unglauben ausschreien wollte, und die Gelegenheit, Hunderte von gescheidten Männern tief in ihrem Irrglauben zu erschüttern, wäre verloren. Jetzt aber sage ich ganz dasselbe, bekenne alle meine Einwürfe des Unglaubens, und meine Bekehrer sind rettungslos den Eindrücken meiner wohlberechneten Schlußfolgerungen und meiner Beredsamkeit preisgegeben. Ich leugne gar nicht, daß ich ein Heuchler bin, indem ich das Glaubensbekenntniß bald dieser, bald jener Kirche ablege; allein auch so noch sichere ich mein Gewissen. Ich bekenne nie mich vollständig bekehrt; ich gebrauche jedesmal die Vorsicht zu sagen, daß ich hoffe, das, was in meinem Gemüthe sich rege, sei der wahre Glaube, und die rechte Weihe werde schon noch über mein Inneres kommen, wenn ich erst in der Gemeine Christi und ein Glied an ihrem Körper geworden sei. Und weil mir die Heuchelei in der That zuwider ist, so pflege ich jedesmal kurz nach der Taufe zu verschwinden, um das alte Spiel anderswo von vorn wieder anzufangen. Sie können sich fest darauf verlassen, daß ich eine andere Lebensart wählen würde, wenn ich nicht überzeugt wäre, bei meiner jetzigen weit mehr Nutzen und weit weniger Schaden zu stiften, als bei jeder anderen Beschäftigung.“

Der Convertit hatte ruhig ausreden können; mich fesselte ja zu beobachten, wie selbst ein so verlogener Charakter der Wahrheit seinen Zoll entrichten muß.

„Es ist doch etwas Schönes,“ sagte ich dann, „wer die Tugend der Unverschämtheit besitzt und das Laster der unbeugsamen Ehrlichkeit nicht kennt. Da Sie schon so oft bekehrt worden sind, so sollte, mein’ ich, es Ihnen nicht unmöglich sein, sich zu einer ehrenhaften Lebensart zu bekehren. Wenn Sie sich dazu entschließen sollten, so will ich Ihnen dazu behülflich sein – hier ist meine Adresse. Jetzt gute Nacht!“

Es schien mir, als ich ihn verließ, daß er bedenklich und unschlüssig geworden sei. Allein die Folgen seiner bisherigen Handlungsweise wirkten nach. Zuvörderst mußte er sein einmal angefangenes Bekehrungswerk vollenden, wenn er sich nicht als reuigen Sünder hinstellen und ganz in meine Hände liefern wollte – und Reue schien das Element zu sein, dem er am fremdesten war. Natürlich suchte ich sogleich Hartmann zu sprechen. Er war schon zu Bette. Am andern Morgen entdeckte ich ihm Alles, was mir der Convertit gestanden hatte; aber zu meiner nicht geringen Verwunderung lachte er mich aus und meinte, ich wolle mir einen Spaß mit ihm erlauben. Es half Alles nichts, daß ich ihn vom Ernste meiner Mittheilungen zu überzeugen suchte; er wollte nichts weiter von der Sache hören. Ich merkte endlich den wahren Beweggrund seiner Hartgläubigkeit. Er schämte sich vor mir, dem ausgesprochenen Ungläubigen, zuzugestehen, daß er und die andern Glieder seiner Secte sich von einem hergelaufenen Gauner so vollständig hatten zum Besten halten lassen; er wollte ein Aufsehen vermeiden, welches die Entdeckung dieser Gaunerei noch in der elften Stunde hervorrufen mußte – zum großen Gaudium der Spötter und Neider seiner Secte; er wollte wenigstens erst den Bekehrungsact vollzogen sehen, um nachher im Stillen die Vorkehrungen gegen weiteren Schaden zu treffen. Mit andern Worten: seine kirchliche Gläubigkeit war eben auch nur eine Sache der Respectabilität, nicht des Herzens, und der Schein war ihm das Wesen.

Auch seiner Frau gab ich vor dem Gange in die Kirche einen Wink. Sie nahm ihn mit sichtlicher Beunruhigung auf und brach das weitere Gespräch unter einem Vorwande ab.

Ich konnte mir’s nicht versagen, in der Kirche dem Bekehrungsacte mit beizuwohnen. Mit welcher Freudigkeit spielte der Convertit seine Rolle! Wie selig leuchteten seine Blicke bei Ablegung des Glaubensbekenntnisses! Wie warm pries er Gott am Ende, als er ein Dankgebet für seine Seelenrettung herzusagen hatte! Mitten im Gebete bemerkte er mich; aber er verrieth nicht die mindeste Betroffenheit. Ich eilte aus der Kirche mit dem Gefühle hinweg, als ob das begangene Verbrechen an der Menschennatur auf meine eigene Rechnung käme.

Acht Tage später schrieb mir Hartmann, daß Schaumburger die Stätte seiner Bekehrung verlassen habe und daß genau um dieselbe Zeit Frau Hartmann mit dem größten Theile des Baargeldes und der Kostbarkeiten ihres Mannes unsichtbar geworden sei. Er bereute in seinem Briefe, meine Warnung in den Wind geschlagen zu haben, und bat mich um Beihülfe zur Entdeckung der Flüchtlinge.

Ich kannte einen ausgezeichneten New-Yorker Detective (Mitglied der geheimen Criminalpolizei), der mir schon einmal gute Dienste geleistet hatte, gab ihm Geld und die nöthigen Personalbeschreibungen und Winke und hetzte ihn durch das Versprechen einer größeren Belohnung auf die Fährte der Zugvögel. Nach einigen Tagen telegraphirte er von Rochester aus, sie seien gefunden, und ich eilte dorthin. Da saßen sie allerdings im Gefängnisse. Ich besuchte sie in ihrer Zelle und fand das pflichtvergessene Weib vollkommen gefaßt. Sie hatte es ja ihrem Manne vor der Hochzeit vorhergesagt, daß sie sich anderweit schadlos halten würde, wenn er jemals gegen sie gleichgültig werden sollte.

„Ich bin seiner satt,“ sagte sie, „ich bedauere nicht, was ich jetzt gethan, sondern nur, daß ich, als ich ihn heirathete, zu unerfahren war und mich selbst nicht kannte. Die Ehe mit Mr. Hartmann, diesem froschblütigen, steifen und bereits alternden Dutchman, konnte mich nicht befriedigen. Der Mann meiner jetzigen Wahl ist eine Feuerseele wie ich, wir lieben uns glühend, und Mr. Hartmann soll nicht versuchen, uns zu trennen.“

Oppenheimer-Schaumburger dagegen war beklommen, als ich bei ihm eintrat. „Nun, Sie haben sich ja auf Ihrem neuen christlichen Lebenswege einen Engel zugesellt,“ sagte ich sarkastisch, „und Sie haben infolge davon Flügel bekommen und flogen an’s andere Ende der Welt. Ich hoffe, Sie bedürfen nun keiner weiteren Bekehrungen mehr, um geradewegs in den Himmel zu fliegen, es sei denn, Sie wollten es der Sicherheit wegen vorher noch mit den Latter Day Saints (den Heiligen des jüngsten Tages, den Mormonen) versuchen. In der That – eine bessere Erwerbung könnte Brigham Young nicht machen, als wenn Sie sich ihm zur Verfügung stellten.“

Seine Züge heiterten sich trotz meines Spottes auf. „Das ist ein besserer Rath, als Sie vielleicht denken,“ sagte er. „Es fehlt den Mormonen an gebildeten Männern meines Schlags – dort könnte ich eine Rolle spielen, ein junges Territorium rasch zu einem civilisirten und gedeihlichen Staate herausbilden, eine Zuflucht gründen für um des Glaubens und der Philosophie willen Verfolgte; dort könnte ich meine Ideen in’s Leben einführen ohne Gefahr eines Märtyrerthums. Wahrhaftig, Herr, helfen Sie mir und meiner Geliebten aus diesem Loche und auf den Weg nach Utah, und Sie können meiner Dankbarkeit gewiß sein!“

„Ich zweifle, ob Frau Hartmann gerade dahin Ihnen folgen wird. Diese Feuerseele will ihren jedesmaligen Gatten ausschließlich besitzen, ihn nicht mit anderen Weibern theilen. Auch hat Hartmann, der jede Stunde erwartet wird, dabei eine Stimme.“

„O, Ella folgt mir an’s Ende der Welt – versuche Niemand uns zu trennen! Versuche Niemand zwischen uns zu treten – er würde es bereuen!“

„Sie vergessen, daß zunächst noch das Gefängniß zwischen Sie Beide tritt.“

Er erschöpfte sich in flehentlichen Bitten und in Schnurren, um mich zu einer Vermittelung zu bestimmen. Eine Stunde später kam Hartmann an. Sein Erstes war, mich bei Seite zu nehmen und zu sagen: „Wäre es nicht das Allerbeste, ich ließe meine Frau mit ihm laufen, so weit sie wollen? Sie macht mich todt mit ihren Eifersüchteleien, ihren Ansprüchen, ihrer Koketterie und Leidenschaftlichkeit. Ich werde älter – sehne mich nach Ruhe – sie paßt nicht für mich. Freilich den größeren Theil des mir Entwendeten müßten sie herausgeben.“

Das mußte ich denn billigen, und dabei blieb es. Was später aus dem leidenschaftlichen Ehepaare geworden ist, habe ich nicht erfahren können.“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_250.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)