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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

mit dem duftenden Tranke füllte; „was für Vorbereitungen könnten Sie noch nöthig haben? Sie wollen mich doch nicht etwa glauben machen, daß Sie beten wollen, oder dergleichen? – Prosit – ein herrliches Weinchen – kosten Sie – der bekehrt zur Religion der Ehrlichkeit.“

Er riegelte die Thüre ganz leise zu und sagte dann: „Sprechen Sie wenigstens leise; ich wohne im Hause eines Geistlichen und Temperanzlers.“ Dann trank er mit dem Behagen und der Miene eines Kenners.

„Dacht’ ich doch, daß Sie nicht lange Umstände machen würden. Lieber Himmel, wie lange müssen Sie einen solchen Hochgenuß entbehrt, was müssen Sie während dieser haarsträubenden Trockenheit ausgestanden haben! Ich bewundere Ihre Enthaltsamkeit und Willensstärke; ich machte das nicht nach, und wenn die Zionswächter mir zehntausend Dollars geben wollten.“

„Natürlich, Sie haben das auch nicht nöthig,“ sagte er lakonisch und mit Augenzwinkern. Ich hatte also durch meine geschickte Einleitung bereits das Spiel halb gewonnen; er versuchte es nicht, die angenommene Rolle mir gegenüber fortzuspielen, weil er sah, ich durchschaue ihn.

„Sie wollen sagen, ich hätte schon Geld genug? – Nein, Hr. Oppenheimer – wollte sagen Hr. Schaumburger – (er verfärbte sich ein ganz klein wenig) – ein Kaufmann hat nie Geld genug. Ich gäbe aber wirklich einen Theil meines Vermögens darum, Ihre vollständige Lebensgeschichte zu wissen; denn das könnte mir in meinem Geschäfte viel nützen. Ein Mann von Ihrer vollendeten Welt- und Menschenkenntniß, von Ihrem feingebildeten Geiste, Ihrer wunderbaren Gewandtheit muß ja im Stande sein, selbst mir altem Schlaukopf etwas zu rathen aufzugeben.“

„Sie sprachen von einem Theile Ihres Vermögens,“ sagte er pfiffig. „Wie groß würde wohl der Theil sein, den Sie für ein ganz unumwundenes Geständniß gäben?“

„Man kauft die Katze nicht im Sack,“ erwiderte ich. „Sie müssen bedenken, daß ich schon ein Stück Ihrer Lebensgeschichte kenne und mich blos für den psychologischen Zusammenhang derselben interessire. Ich will die Wahrheit – die ganze, volle Wahrheit – dafür gebe ich hundert Dollars – für weniger als das nicht einen Cent – verstehen Sie?“

„Wenn Sie die hundert Thaler hinterlegen, wollte ich wohl Ihrem Wunsche gerecht werden.“

„Nun, da Sie Mißtrauen in meine Worte setzen, zahle ich Ihnen gar nichts für Ihr Geständniß. Sie werden bald genug von selber kommen, um meine Verschwiegenheit damit zu erkaufen.“ Ich sagte das laut und mit siegesgewissem Lächeln.

Er verfärbte sich noch mehr und versank in Nachdenken, während ich mein Glas ausnippte und wieder vollfüllte. Endlich hatte er seine Selbstbeherrschung wiedergefunden und versetzte:

„Ihr Stillschweigen ist mir gar nichts werth. Die Leute, auf deren gute Meinung es mir jetzt ankommt, werden Ihnen weniger glauben als mir. Man wird Alles, was Sie gegen mich vorbringen möchten, als böswillige Verleumdung in den Wind schlagen.“

„Rechnen Sie nicht zu stark darauf,“ sagte ich, zuversichtlich lächelnd und ihm sein Glas füllend. „Ich gebe Ihnen zur Beichte noch eine Viertelstunde Bedenkzeit.“

Er besann sich noch ein Weilchen; dann begann er mit wachsendem Ausdruck von Würdebewußtsein: „Es scheint, Sie erwarten von mir eine Lebensgeschichte voll Bubenstücke und Gaunerstreiche; Sie verkennen mich aber ganz und gar. Ich mag vor Ihnen weder besser noch schlechter erscheinen, als ich bin. Mögen Sie nun glauben oder nicht, was ich Ihnen aus meiner Vergangenheit mittheilen will – gleichviel – ich bin es mir selbst schuldig, meinen Charakter vor Ihnen in’s rechte Licht zu setzen.

Ich bin der Sohn eines armen Juden in Brody und wurde auf Kosten der jüdischen Kaufmannschaft daselbst erzogen, wie schon manche Andere auch. Dies war eine kostspielige und sorgfältige Erziehung, welche arme Judenknaben von Talent gegen das Versprechen späterer Gegendienste zu erhalten pflegen. Ich sollte Arzneiwissenschaft studiren, um an dem jüdischen Spitale in meiner Vaterstadt dann einige Jahre gegen einen mäßigen Gehalt als Arzt zu wirken. Ich sattelte aber in Leipzig um, weil ich einen tiefen Widerwillen gegen dieses Fach bekam, brach mithin das meinen Wohlthätern gegebene Wort, wurde ein Literat, machte Schulden, die ich nicht bezahlen konnte, warf mich in die Revolution von 1848, mußte fliehen und ward an dieses wildfremde Gestade geworfen. Was sollte ich hier anfangen? – Zum Schacher bin ich verdorben, zur ärztlichen Pfuscherei, die ich mit mehr Recht als mancher Andere betreiben könnte, bin ich zu gewissenhaft; zum Lehrer oder Zeitungsschreiber habe ich nicht Kenntnisse genug; zum Betteln bin ich zu stolz. Außerdem habe ich entschiedene Anlage und Neigung, den Aristokraten zu spielen. Sehen Sie diese schöne, classisch gebildete Hand – sollte sie beim Ackerpflug oder am Handwerkszeug verkrummen? – es wäre doch jammerschade! Bedenken Sie meine Menschenkenntniß, Gewandtheit und Beredsamkeit – sollte sie weggeworfen werden an den Beruf eines reisenden Commis, oder eines Stumpredners, oder eines Marktschreiers? – Pfui, wie plebejisch! – Sollte ich als Ladendiener mit Seidenband handeln, der ich besser mit Dialektik und Philosophie umzugehen weiß? – Das hieße die Bestimmung verkennen, welche Mutter Natur mir anwies. Sie schuf mich für einen Wirkungskreis, den die fehlerhaft organisirte menschliche Gesellschaft nicht gewährt. Diese armselige Gesellschaft also, die keinen ehrlichen Platz für mich hat, muß sich die Consequenz davon gefallen lassen. Ich bin in gerechter Nothwehr begriffen, da Niemand verlangen kann, daß ich verhungern oder meine Talente vergraben soll. Ich erwerbe also meinen Lebensunterhalt auf aristokratische Weise – ich bürde denjenigen die Sorge für meinen Unterhalt auf, welche meine schönen Worte, mein feines Betragen, meine gewählten Umgangsformen für baare Münze nehmen und sich für ihre Auslagen mit meinen Versprechungen zufriedengestellt erklären. Merken Sie wohl – es ist Moral in meinen Handlungen.

Ich gehe von einer großen Stadt zur anderen und lasse mich der Reihe nach zu allen möglichen Glaubenssecten bekehren. Zuerst wurde ich in Cincinnati ein Mitglied der rechtgläubigen, alleinseligmachenden katholischen Kirche. Das brachte mir drei Monate freie Kost und Wohnung und außer manchen kleinen Pathengeschenken ein Sümmchen ein, mit welchem ich ein buchhändlerisches Geschäft im Interesse dieser Kirche errichten sollte. Dann ließ ich mich in Baltimore zur presbyterianischen Kirche des Südens bekehren. Wieder setzte es Pathenpfennige und eine kleine Summe, um als Colporteur frommer Tractätchen mein Brod verdienen zu können. Dann wurde ich in St. Louis ein Methodist und als solcher zur Bekehrung deutscher Ungläubiger ausgesandt, versteht sich, nicht mit leeren Händen. Zunächst versuchte ich’s bei den Quäkern in Pennsylvanien, aber ich bestand diesmal meine lange, tödtlich langweilige Probezeit nicht. Ferner bot ich mich den nördlichen Presbyterianern zur Taufe und als Missionär an und wurde von ihnen über ein Jahr lang durchgeschleppt, um das Chinesische zu lernen. Zuletzt überantwortete ich mich den Baptisten, und noch nie bin ich rücksichtsvoller behandelt und besser versorgt worden.

Da unsere sämmtlichen gesellschaftlichen Einrichtungen auf die Ausbeutung der vielen Schwachen durch die wenigen Starken begründet sind, so ist meine Handlungsweise nicht schlimmer, als die eines Kaufmannes, der als Zwischenhändler nur den Verbrauchern die Waare vertheuert; oder als die eines Geistlichen, der um’s Geld dem Volke vorpredigt, was ihm theilweis selber unglaublich sein muß; oder als die eines Sachwalters, der ein Gewerbe daraus machen muß, das Recht zu verdrehen; oder als die eines Arztes, der sich für die gelehrte Miene bezahlen läßt, unter der er seine Unwissenheit verbirgt. Die Welt ist dumm und will betrogen werden, also werde sie betrogen. Die Yankees haben nun einmal eine Leidenschaft für’s Proselytenmachen, besonders für die Bekehrung von Juden; wenn ich sie nicht prelle, so prellt sie ein Anderer, ein Christ – geprellt werden sie jedenfalls. Aber von mir bekommen sie wenigstens den vollen Werth ihres Geldes in den Reizen meiner Unterhaltung und in der Belehrung über Dialektik und Philosophie zurück, die ich ihnen angedeihen lasse; auch Lebensart und Manieren können sie bei mir lernen. Ich mache ihnen nämlich meine Bekehrung jedesmal recht schwer; ich sage ihnen im Voraus, daß bei mir der beste Wille gläubig zu werden mit den allerhartnäckigsten philosophischen Zweifeln im Kampfe liege; ich disputire mit ihren gescheidtesten Geistlichen wochenlang herum und habe regelmäßig die Genugthuung, sie vollständig aus dem Sattel zu heben und in den Sand zu strecken. Das ist bei dieser Lebensart das Angenehme.

Es ist etwas Berauschendes darin, seinen Geist mit Hunderten gebildeter Geister messen zu können und sich in allen solchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_249.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)