Seite:Die Gartenlaube (1867) 246.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Buche und Waldmeister überall mit einander Hand in Hand, und an den Abhängen aller südlicher gelegenen Bergzüge, in den Sudeten und Karpathen, in den Alpen und Apenninen, im Olymp und im Kaukasus fallen die oberen und unteren Grenzen ihres Vorkommens fast regelmäßig in eine und dieselbe Höhenregion.

Innerhalb dieses weitgehenden Verbreitungsbezirkes sind sie auch beide in Beziehung ihres Standortes in gleichem Grade wählerisch. Die chemischen Eigenschaften des Bodens scheinen ihnen wohl hiebei nicht maßgebend zu sein, da man sie ebenso gut über den Graniten des Böhmerwaldes, wie auf den Kalkbergen der Alpen und auf den Trachyten Ungarns ganz prächtig gedeihen sieht, – nicht so aber auch die physikalischen Verhältnisse des Bodens. Ein etwas steiniges Terrain, in welchem das Felsgerölle durch lehmige Erde zusammengehalten wird, sagt ihnen beiden offenbar am besten zu; nur darf dasselbe nicht übermäßig durchfeuchtet sein, denn ein sumpfiges Gelände fliehen sie beide, und während man daher in tiefen Thalgründen und engen feuchten Schluchten in der Regel nur Nadelhölzer mit moosigem Waldboden findet und dort vergebens nach Waldmeisterlein herumspähen wird, sind die luftigen Höhen und freien Gehänge der Berge recht eigentlich der Standort beider Gewächse. Vor Allem sind es dort wieder die nach Osten und Südosten abfallenden und schon vom ersten Morgenstrahle getroffenen Berglehnen und Hügelabdachungen, wo beide am besten gedeihen, und regelmäßig sieht man daher auch dort die obere Grenze der Buche ebenso wie jene des Waldmeisters um einige hundert Fuß Seehöhe weiter hinaufgerückt, als dies an den nach anderen Weltgegenden exponirten Bergwänden der Fall ist.

Und so wie beiden Pflanzen in Betreff ihres Vorkommens und in der Wahl ihres Standortes gleichen Schritt miteinander halten, ebenso verfolgen sie auch beide im Laufe des Jahres denselben Entwickelungsgang und bei beiden fällt die Phase des Sprossens und Blühens, des Entfaltens und Vergehens in eine und dieselbe Periode des Jahres. Zur selben Zeit, wann aus den Knospen der Buchenzweige das junge Laub wie mit einem Zauberschlage plötzlich hervordringt und den bisher winterlich braunen Wald in frisches, junges, freudiges Grün einkleidet, sprossen auch zwischen dem dürren Laub des Waldbodens die zarten Triebe des Waldmeisters hervor und wann dann oben in den reich belaubten Kronen die kugeligen Blüthenkätzchen der Buchen zu stäuben beginnen, dann hat auch der Waldmeister im schattigen Grunde seine Blüthenrispen ausgesteckt, und seine zarten milchweißen Sterne haben sich aufgethan um den lieblichsten Blüthenduft in die milde Mailuft auszuathmen.

Auch in physiognomischer Beziehung ist ein gewisser Zusammenhang zwischen der Buche und ihrem Schützling, dem Waldmeister, nicht zu verkennen. So wie in den Föhrenwäldern gewisse Moose und dicht gedrängte niedrige Büsche von Haidekraut und Wachholder den Boden bedecken, und wie dort die das Walddach bildenden Kronen durch ihr starres Ansehen und ihre immergrünen Nadelblätter mit dem immergrünen, steifen Strauchwerk des Waldgrundes übereinkommen, ebenso ist der Einklang zwischen dem weichen sommergrünen Laub der Buchenbäume und dem in ihrem Schatten wachsenden zartblättrigen sommergrünen Waldmeister nicht wegzuleugnen. So wie man im Föhrenwalde vergebens nach Waldmeister spähen würde, ebenso wenig finden sich die Haidekräuter im kühlen Schatten eines reinen Buchenbestandes. Die Natur baut ja ihre grünen Waldgebäude immer stilgerecht auf; vom Scheitel bis zur Sohle weht da ein und derselbe Gedanke durch den ganzen Bau und Alles erscheint uns dort so einklingend und harmonisch gegliedert, daß sich mancher unserer modernen Baumeister daran sein Vorbild nehmen könnte. – Auch alle die anderen Pflanzen, die den Grund des Buchenwaldes aufsuchen und dort den Hofstaat des Prinzen Waldmeister bilden, wie der Sauerklee und die Mondviole, die Waldwicken und die Zahnwurzarten, haben weiche helle und sommergrüne Blätter, die nur für den kühlen Schatten gemacht zu sein scheinen und das directe Sonnenlicht nicht recht vertragen. Alle gehen sie rasch dem Tode entgegen, wenn das schimmernde grüne Walddach über ihren Häuptern entfernt wird. Darum auch wehe, wenn die Axt des Holzhauers dort die Stämme der schlanken Buchen trifft, wenn der Hochwald niedergehauen wird und jetzt das zarte Waldmeisterlein mit seinen Gefährten ohne Schutz und Schirm dasteht auf dem sonnigen schattenlosen Boden des Holzschlages! Es will ihm jetzt nur gar schlecht gefallen inmitten dieser durch den Menschen herbeigeführten gräulichen Verwüstung; seine Blättersterne bleichen und wandeln ihr frisches helles Grün in ein fahles kränkelndes Gelb um; er vermag es jetzt auch nimmermehr zum Blühen zu bringen und in dauernd schattenlosem Boden würde er wohl über kurz oder lang auch sicherlich ganz zu Grunde gehen. Hohe Disteln und Reitgräser, Tollkirschen und anderes buntes Pflanzenvolk drängt sich jetzt auf dem sonnigen, früher so einsamen und stillen Waldesboden; vom nahen Waldrand her hat der Wind Tausende ihrer Samen auf den durch die Holzschlagsarbeiten theilweise aufgewühlten Waldgrund herbeigeführt, und aus der durch das Buchenlaub reichlich gedüngten schwarzen Erde keimen und sprossen jetzt tausend mannshohe Stauden in größter Ueppigkeit empor. Disteln und Nesseln, Weideriche und Himmelskerzen, Brombeeren und Himbeeren kämpfen da um den Besitz des Bodens und kaum vermögen wir dort noch den armen Waldmeister tief unten versteckt, erdrückt, vergilbt und verkümmert zwischen dem massigen Laubwerk der hochaufgeschossenen Stauden des Holzschlages herauszufinden. In der Natur aber giebt es keinen Stillstand, sondern nur „ein ewig Kommen und ein ewig Gehen“, und die hohen Stauden, die jetzt auf kurze Zeit den Waldgrund bevölkerten und das Pflanzenvolk unterdrückten, das sie dort bei ihrer Invasion antrafen, unterliegen schon nach wenigen Jahren selbst wieder den inzwischen höher heranwachsenden jungen Buchenbäumen. Immer höher und höher streben die zwischen den Stauden aufgekeimten jungen Bäumchen empor und in dem allmählich dichter und dichter werdenden Schatten erstirbt eine Holzschlagpflanze nach der andern, eine Distel und ein Reitgras nach dem andern. Abgefallenes Buchenlaub deckt wieder den Boden und der Waldmeister, welcher bisher nur kümmerlich sein Leben gefristet hatte, athmet jetzt wieder auf unter dem Schirme seiner mächtigen Schützerin, der Buche; wie in den alten Zeiten sproßt und treibt er wieder zwischen dem fahlgelben Laubwerk seine grünen Stengel empor und wie in den alten Zeiten entfaltet er wieder im halbdunklen Waldesschatten seine duftenden weißen Blumen zur Freude der Besucher des Waldes und zur Freude der Freunde des Maitrankes.

„Ja, des Maitrankes!

„Deutscher Waldmeister,
Du Kraut des Mai, zum Maitrank gieß ich Wein auf,
Daß deinen Duft befrei’n des Weines Geister,“

ruft uns Schimper in einem Ritornell entgegen, und

„Schütte den perlenden Wein
Auf das Waldmeisterlein“

klingt es in einem Liede, welches den duftenden Maiwein verherrlicht und damit zugleich das sehr einfache Recept zur Bereitung des Maitrankes kundgiebt.

Der Maiwein ist vor Allem als ein auf deutschem Boden erfundenes und besungenes und dort auch vorzüglich beliebtes Getränk zu bezeichnen. Wie lange man aber in deutschen Landen bereits Maiwein braut und trinkt, dürfte schwer zu ermitteln sein; nur so viel ist gewiß, daß man ihn schon vor vierhundert Jahren zu bereiten verstand und daß er wahrscheinlich am Ufergelände der Mosel erfunden wurde. Wohl eignet sich auch zur Bereitung des Maitrankes kein Wein so vorzüglich wie jener, den die Ufer der Mosel reifen, und am duftigsten wird das mit Moselwein bereitete Getränk unstreitig dann, wenn man einzig und allein das Kraut des Waldmeisters mit dem kalten Weine übergießt und alle mitunter noch verwendeten anderen Ingredienzen, wie namentlich die Blätter der schwarzen Johannisbeere, das Kraut der Minze und Melisse oder gar die Schalen von Orangen und Citronen, deren ätherisches Oel den Duft des Waldmeisters ganz in den Hintergrund drängt, vermeidet. Wichtig ist auch bei der Bereitung des Maitranks, daß man das Kraut des Waldmeisters, ehe es mit Wein übergossen wird, einige Zeit an der Luft liegen und welken läßt, weil erst dann der eigenthümliche Geruch recht hervortritt und in den Wein übergeht.

Die Verbindung, welche den eigenthümlichen Duft des welkenden Waldmeisterkrautes bedingt, wurde von den Chemikern Kumarin genannt. Sie gehört in die Abtheilung der riechenden Aldehyde (Alkohol mit Wasserstoff), findet sich auch noch in den Blüthen mehrerer Gräser und Honigkleearten vor und bedingt zum größten Theil den angenehmen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_246.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)