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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

was sie jetzt sahen und hörten, wenn es ihnen zum Theil auch unverständlich blieb, – das ließ sie die große Wandlung, die hier vorgegangen war, mit Ueberraschung, ja mit Schrecken erkennen – Eugenie nannte ihr Gefühl dabei freilich nur Verdruß. „Es ist ja wieder nur Caprice und Einfall, wie sie jedermann zuweilen damit zu quälen versteht,“ sagte sie verstimmt zu ihrem Bruder, mit dem sie an das andere Fenster getreten war. „Aber so unleidlich sah ich sie noch nie. Und damit dringt sie bei dem Onkel nicht durch.“

Der Name war wie eine Beschwörung gewesen, denn in dem Augenblick ging die Thür auf, welche von hier durch ein kleines Vorzimmer in den Saal führte, und der Baron erschien auf der Schwelle. Sein Blick, der das Gemach und die jungen Leute überflog, war weniger finster und streng als am Morgen, aber desto sorgenvoller.

„Sieh da, Joseph,“ sprach er, dem herantretenden Neffen zuwinkend, „Du bist also wirklich da, und die dummen Mädchen sind daher doch nicht ganz herrenlos gewesen. So mag der Streich im allgemeinen jetzt verziehen sein; zur näheren Abrechnung kommen wir später – mit euch allen, denn ganz frei gehst auch Du nicht aus.“

„Papa, wenn von Strafe die Rede ist, so muß ich sie tragen. Und ich bin neugierig, wie weit Du sie gegen mich über das Herz bringst,“ sagte Esperance, und wie sie das sprach und neben dem Vater stand und zu ihm aufblickte mit dem trotzigen und doch schalkhaften Blick, mit dem eigenthümlich festen Zug um den kleinen Mund, während auch hier in den Grübchen die Schelmerei lauschte – es überraschte die Andern, aber es beruhigte sie auch, da sie die schöne eigensinnige Verwandte oft genug in gleicher Weise neben dem Vater gesehen und seine Verstimmung hatten besiegen, sein Nachgeben ertrotzen hören. „Du bist zwar heut Morgen recht abscheulich gegen mich gewesen,“ fuhr sie jetzt fort, „tyrannisch und rauh, so daß ich fast zu glauben anfing, die Leute hätten doch Recht, wenn sie von Dir –“

Die Stirn des Barons, die sich bei ihren ersten Worten wirklich ein wenig erheitert hatte, faltete sich von neuem. „Du stockst,“ redete er, „weßhalb? Was sagten der Tochter die Leute von ihrem Vater?“

„Sie sagten mir –“ ihr Auge, das fest auf ihm ruhte, lächelte wohl noch leise, und auch in ihrer Stimme klang etwas Scherzhaftes, allein es war daneben dennoch in dem einen, wie in der anderen etwas, das die Zuhörer für das trotzige oder kühne Kind erschreckte, – „sie sagten mir, Papa, daß Du, wenn Dich der Zorn packt, gar kein Mensch und nicht menschlich bist, ganz gleichgültig, wen es trifft. Ist’s meine Schuld, Papa, wenn ich beinah daran glaubte?“ redete sie weiter, da er noch immer schwieg; „habe ich heut Morgen nicht selbst eine Probe erhalten, ich, die Esperance, Deine Herrin von Dernot –“

„Esperance!“ hauchte Eugenie bebend; sie wurde durch die immer tiefer sich faltende Stirn des Oheims und durch seinen immer drohenderen Blick ernstlich erschreckt.

„Sprich nur, sprich!“ sagte der Baron mit finsterem Lächeln; „ich möchte doch gern Urtheil und Ansicht meiner Tochter kennen lernen.“

„Die sind wieder freundlicher geworden, Papa,“ sprach das Mädchen unverändert, „und sie werden es bleiben, wenn Du mich vollends überzeugst, daß die Leute gelogen haben und daß Du mir Deine Liebe und mein Recht lassen willst. Hier steht auf alle Fälle die Probe,“ fügte sie, sich gegen die Fensternische wendend, in welcher ihr Bruder sich bisher schweigend zurückgehalten, hinzu. „Den da, sagen sie, habest Du wegen eines Knabenstreiches von Dir gewiesen und verstoßen! Sag’ mir, daß es nicht wahr ist, Papa! Sag’ mir, daß Du Dich über ihn freust, wie ich mich freue, daß ich ihn fand und Dir bringen kann, Deinen Sohn, meinen Bruder! O Papa, schiltst Du noch auf unsere Reise nach Dernot?“

Leopold war hervorgetreten und stand neben der Schwester. „Vater,“ sagte er mit hörbar tief bewegter Stimme, „es sind wieder sieben Jahre! Gönnen Sie mir endlich – endlich Ihre Verzeihung! Auch das Letzte, was Ihren Zorn erregte, ist fortgenommen: – mein Weib ist todt.“

Der Baron hatte seit Esperancens Worten und seit Leopold sich ihm genaht, regungslos gestanden, die große, volle Gestalt starr aufgerichtet, den Kopf mit dem dichten, kurzen weißen Haar aber ein wenig nach vorn geneigt, als wolle er besser sehen, wer der Gerufene sei, jede Muskel gestrafft und jede Falte des Gesichts erstarrt, und die Augen voll eines düsteren, unheimlichen Drohens. – Es war nach Leopold’s letzten Worten eine erdrückende Pause.

Und nun mit einem Mal hob sich die Brust des Barons zu einem tiefen Athemzuge, aus den Augen brach ein blitzender Blick, seine Finger zogen sich wie im Krampf zusammen, und tief grollend drängten sich jetzt die Worte hervor: „Also hier – hier – der hier! Ha, ich versteh’s! Darum also –!“ Und zum furchtbarsten Zorn übergehend, rief er mit einer wilden Handbewegung: „Aus meinen Augen, Mensch, bevor ich die letzte Rücksicht vergesse! Du gehörst nicht zu uns, wehe Dir, wenn ich das Dir und der Welt beweisen muß! – Und Du,“ fuhr er mit unvermindertem Grimme sich gegen Esperance wendend fort, seine Augen glühten und er schüttelte die erhobene Faust, „Du Ungerathene, Wahnsinnige – was bist Du? – zwinge mich nicht, auch an Dir zu zeigen, daß –“

Man durfte es wohl ein Glück heißen, daß die Worte, welche noch auf seiner Lippe schweben mochten, in diesem Augenblick durch den Eintritt des Kammerherrn zurückgehalten wurden; denn es schien einer von jenen Momenten gekommen, deren wir vordem einmal gedachten, wo Herr von Treuenstein’s Jähzorn alle Schranken umwarf und des von ihm Betroffenen und nicht selten auch sein eigenes Glück auf lange Jahre hinaus vernichtete.

„Aber mein lieber Baron, was –“ sagte der Kammerherr im Eintreten und brach ab und zuckte zurück bei dem Anblick der Gruppe vor ihm – die dunkle Zornesgluth in dem Gesicht des Barons und seine ganze Haltung waren nicht minder erschreckend, als die Leichenblässe, welche Esperancens Züge bedeckte, während ihre Augen mit einem unmöglich zu bestimmenden Ausdruck, wie gebannt und verzaubert auf dem Vater ruhten.

Ein paar Secunden lang war Herr von Brose völlig consternirt, dann aber gewann es die Gewandtheit des alten Hofmanns über das Entsetzen des nicht gerade übermüthigen Menschen, und indem er herantrat und mit wohlwollendem Lächeln auf Esperance blickte, sagte er: „Nun, nun, Kindchen, arg gemacht haben Sie’s und verdienen schon ein bischen gezankt zu werden. Allzu tragisch müßt Ihr das Ding aber auch nicht nehmen, alter Freund,“ wandte er sich an den Baron, „und vor allem – alles zur rechten Zeit! Der rechte Verbrecher, der Eure Donner verdient, steckt da im Salon – Monsieur Augustin Besseling, freier Herr der Dernoter Mühle, steht dort und wünscht Eure Gegenwart, widrigenfalls – und so weiter, mein Lieber! Also geschwinde; wir, der Justizrath und ich, bändigen ihn nicht.“

Schon der Eintritt des Freundes hatte die Heftigkeit gebrochen, und wie er nun sprach, hatte er den Herrn völlig die Fassung wieder gewinnen lassen; vielleicht wirkte dazu auch die von ihm gebrachte Nachricht mit. Er strich sich über die Stirn. „Es ist gut, ich komme,“ sagte er, und sich gegen die Anderen zurückwendend, sprach er düsteren Blicks weiter: „Du – verlässest Dernot noch heut. Ich will mit Demagogen und Intriganten nichts zu thun haben. Du, mein Kind, bleibst hier in diesem Zimmer bis zur Abreise. Ich hoffe Dich gehorsam zu finden. Nur dann darfst Du auf allmähliches Vergeben und Vergessen rechnen.“

„Du wirst gewiß meinen Wunsch erfüllen und mich bei Deinem Gespräch mit dem Müller zugegen sein lassen,“ versetzte sie in einem eigenthümlichen – sagen wir, gefaßten Tone. Sie war noch bleich wie vorhin. „Ich muß annehmen, daß auch unser Recht auf Dernot dabei zur Sprache kommt –“

Der Baron zuckte zusammen. Aber er sagte nichts. Und nach einer Pause sich abwendend, winkte er Brose zu und verließ mit ihm das Zimmer. Der Schlüssel wurde draußen im Schloß zweimal umgedreht.

„Es ist ein Glück, daß es noch mehr Thüren und einen Weg in den Saal giebt, den sie uns nicht verschließen werden,“ sagte Esperance mit finsterem Spott. „Komm, Leopold, ich –“

„Aber um Gotteswillen, Esperance!“ bat Eugenie ganz entsetzt, und auch Joseph fügte hinzu: „Cousine, ich bitte Dich, was ist in Dich gefahren? Du erzürnst Deinen Vater unheilbar und machst Dich unglücklich für Dein ganzes Leben –“

„Drum bin ich eine Dernot,“ unterbrach sie ihn noch einmal in jenem finster spottenden Ton. „Kommst Du mit mir, Leopold?“

(Fortsetzung folgt.)
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