Seite:Die Gartenlaube (1867) 242.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

wie es dem Sohn und dereinstigen Haupt unseres Hauses gebührt? Denn das nimmt Dir kein väterliches Zürnen.“

Er schüttelte den Kopf; erst nach einer Pause sprach er: „Du wirst schon mit Brose nicht fertig. Er kommt mit dem Befehl des Vaters.“

Sie machte eine wegwerfende Bewegung. „Stört er mich, so sperr’ ich ihn ein oder lass’ ihn auf den Wagen setzen und fortbringen. Ich brauche nur ein paar Tage. Also bis morgen früh. Gute Nacht, Leopold.“ Und bevor er etwas einwenden konnte, war sie aus der Thür.

Er saß noch lange, das Haupt gesenkt und die Arme über die Brust gekreuzt, in finsterem Sinnen.




7. Die rauhe Wirklichkeit.

Als der alte Leibjäger, der gewohnt war, sein Lager frühzeitig zu verlassen, und dies auch heute gethan hatte, obgleich er mit Bruder und Schwägerin bis tief in die Nacht hinein geredet, am Fenster stand und sich, wie er es hieß, den Schlaf aus den Augen wusch, hielt er in diesem Geschäft inne und schaute, den Flügel aufreißend und sich vorbeugend, mit zusammengezogenen Brauen ins Thal hinab. Es war schon hell genug, um ihn einen Wagen bemerken zu lassen, der im schärfsten Trabe auf der Landstraße herankam; die bunte Jacke des Postillons war wohl erkennbar. Im nächsten Augenblick verschwand das Gefährt unter der Höhe.

Der Alte gab sich nicht die Mühe, das Fenster wieder zu schließen, sondern warf sich mit wunderbarer Hast in die Kleider und fuhr darauf mit einer Eile aus dem Gemach und von dannen, die einem zufälligen Beobachter um so mehr aufgefallen sein würde, als der zwar stark gebaute, aber hochbejahrte Mann so leicht durch den Corridor glitt und die Treppen hinab stieg, daß von seinem Schritt kaum ein Geräusch vernehmbar wurde.

Drunten in der großen, jetzt noch tief dämmerigen Halle trat Frau Katharine grade aus der Thür ihres Gemachs und stutzte beim Anblick des eiligen Schwagers. Der Jäger ließ ihr aber keine Zeit zu irgend einer Bemerkung, sondern war im nächsten Augenblick mit einem halblauten: „Das trifft sich gut!“ an ihrer Seite, neigte, obgleich man den Grund dieser Heimlichkeit in dem todtenstillen, einsamen Raum nicht wohl begreifen mochte, den Kopf zu ihrem Ohr und flüsterte ihr hastig einige Worte zu.

Die Matrone zuckte sichtbar zusammen. „Wenn Ihr Euch nicht irrt, Schwager –“ sagte sie.

„Ich irre mich ganz gewiß nicht,“ fiel er ein, kaum lauter als bisher. „Ich kenne die gelbe Chaise auf eine Meile weit, ich glaube selbst bei Nacht. Habe mich genug über sie geärgert.“

„Das Fräulein muß es wissen,“ sprach sie, „und der gnädige Herr –“

„Das ist’s eben,“ unterbrach er sie von neuem. „Die dürfen sich nicht treffen. Und ich meine, es sei überhaupt am besten, wenn wir alle aus dem Wege gehen. Ist die kleine Pforte in der Südmauer noch da?“

„Die Schlüssel hängen drinnen bei den anderen,“ sagte sie verdüstert. „Geöffnet ist sie seit jenen traurigen Tagen nicht mehr worden, Jonas, als –“

„Holt die Schlüssel, holt die Schlüssel und steckt sie in’s Schloß,“ fiel er ein, „ich wecke das Fräulein. Laßt nur den Schwachkopf drinnen keine dummen Streiche machen.“

Er wandte sich, und während sie in’s Zimmer zurückeilte, stieg er mit der früheren Schnelle und Leichtigkeit die Treppe wieder hinauf und stand gleich danach vor dem Schlafzimmer der beiden jungen Mädchen. Da klopfte er an und vernahm unmittelbar die antwortende helle Stimme Esperancens: „Wer ist da? Was giebt’s?“

„Jonas,“ sagte er nicht laut, „Sie müssen eilen, es pressirt, Fräulein.“

Die Thür ging auf. Sie stand vor ihm, die schlanke Gestalt in einen Shawl gehüllt; das lange dunkle Haar umwallte, zum Theil noch aufgelöst, den kleinen Kopf. Ihr Auge blickte ihn hell an: „Jonas, was giebt’s? Brennt’s oder ist Revolution, oder ist der Kammerherr verschwunden? Du siehst ja ganz verzweifelt darein!“

„Fräulein, unsere alte gelbe Chaise fuhr eben durch’s Thal dem Dorf zu. Die nimmt sich keiner mehr als der Herr Baron selber.“

Sie erhob, wie bestürzt, rasch den Kopf, im nächsten Augenblick jedoch sagte sie spottend: „Dernot steckt an, Jonas, Du siehst Gespenster. Der Vater hat drüben genug zu thun, sagt Brose. Und überdies zur Nacht! Bah! Es giebt viele gelbe Chaisen.“

„So keine, Fräulein. – Sie wissen’s jetzt. Wollen Sie ihm aus dem Wege – und Sie sollten’s thun, er war fuchsteufelswild! – so hat die Katharine die Hinterpforte in der Südmauer geöffnet. Ich will den jungen Herrn avertiren.“

Sie schaute ihn eine Secunde lang finster nachdenklich an. „Thu’s,“ sagte sie dann. „Denkt er aber wie ich, so bleibt er da und nimmt mit mir zugleich den Kampf auf – wenn es einen solchen giebt.“

Die Thür schloß sich, der alte Diener wandte sich nach einem langen – man hätte sagen mögen, traurigen Blick in den Corridor zurück und schritt dem wüsten Flügel zu. „Na, hart gegen hart, hat der Teufel gesagt, setzt sich auf’n Stein!“ murmelte der Alte kopfschüttelnd vor sich hin. „Und wär’s der junge Herr, so wär’s recht. Aber das Kind wird mit ihm nicht fertig, und am Ende – lieber Gott, ’s giebt eben kein Glück in Dernot. Der Baron weiß es.“ – –

Jonas hatte recht gesehen und vermuthet: es war wirklich die alte, schwere, gelbe Chaise gewesen, in welcher Baron Treuenstein vordem mehr als eine seiner diplomatischen Fahrten gemacht und die er am liebsten zu jeder längeren Reise wählte, wenn er diese nicht in zu zahlreicher Gesellschaft antrat, und in dem Fuhrwerk hatte sich der Baron mit einem Herrn befunden, in welchem der Leibjäger hernach den Geschäftsführer der Familie erkannte. Denn wenn auch Esperance keinen Gebrauch hatte von der Hinterpforte machen wollen, war der alte Gesell selber doch anfangs dem anlangenden Gebieter weislich aus dem Wege geblieben.

Des Barons Auftreten rechtfertigte diese Vorsicht. Meister Tobias war, als er, ohne durch seine Frau von dem Kommenden unterrichtet zu sein, noch während seiner Toilette den Posthornklang vernommen und, schon durch diese ungewöhnlichen Töne zu solcher Stunde ernstlich bestürzt, zum Thor eilte und die schweren Flügel nicht rascher öffnete als sonst, von dem Herrn im Wagen wegen dieses Zögerns auf das Barscheste angefahren worden. Ja, die Ausdrücke waren so hart gewesen, daß selbst Tobias’ „timides“ Blut dadurch in einige Aufregung kam und er schon etwas von „weiß gar nicht“ und „keine Herberge“ auf der Zunge hatte, als der rasch zufahrende Wagen ihn eilig auf die Seite zu weichen zwang. – „Dummkopf, willst Du uns den Eingang wehren?“ rief der Barsche ihm zornig zu, und aus dem haltenden Wagen springend, fügte er, gegen den bebenden Verwalter gewendet, heftig hinzu: „Fräulein von Treuenstein hier? Der Kammerherr angekommen? Abfahrt schon bestimmt?“ – Und da Tobias jetzt zu consternirt war, als daß er sogleich hätte eine Antwort finden sollen, folgte ein noch zornigeres: „Ist der Kerl denn taub oder stumm?“ – Da war glücklicherweise der Begleiter des Herrn mit einem beschwichtigenden „aber Excellenz, der Mann kennt Sie augenscheinlich gar nicht!“ dazwischen getreten, und dann hatte der Herr, indem ein verdrießliches Lächeln durch sein finsteres Gesicht glitt, achselzuckend gesagt: „Sie haben Recht, Justizrath; ich bin seit vierzig Jahren nicht in das verwünschte Nest gekommen. Ich bin der Baron Treuenstein, Euer Herr – und nun, wie heißt Ihr? – macht, daß wir ein Zimmer und Frühstück erhalten. Bringt die Pferde unter; sie bleiben da.“

Tobias erzählte nachher seinem Bruder, ihm sei zu Muth gewesen, als sei der Erdboden unter ihm offen und er schon bis an den Hals darin versunken. Er sah wie durch einen Nebel den Herrn in’s Haus treten, und hörte wie im Traum den Ausruf: „Ei, das muß ja der Schloßengel sein!“ Er sah seine Gattin mit dem Baron reden und dann mit den beiden Ankömmlingen treppaufwärts verschwinden. Da erst fühlte der arme Mann sich langsam, langsam wieder aus der Versenkung heraufsteigen und begann ein wenig freier zu athmen. Aber im Kopf wirbelte es ihm noch, und mit der Anweisung des Stalls hätte es übel ausgesehen, wäre der Postillon nicht ein alter gedienter Mensch gewesen, der mit dem Instinct und der Erfahrung solcher Leute schon selber den richtigen Platz zu finden wußte.

Allein auch die Matrone, die, wie wir wissen, sonst nicht leicht aus ihrer ernst-ruhigen Haltung zu bringen war und den

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_242.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)