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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 16.   1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.      Vierteljährlich 15 Ngr.      Monatshefte à 5 Ngr.


Die Herrin von Dernot.
Von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung.)


Der Bruder unterbrach die Erzählerin. „Du irrst Dich, „sagte er, „es stand dort doch wohl: ‚machen wolle‘.“

Esperance schüttelte den Kopf. „Nicht doch,“ erwiderte sie, „‚gemacht habe‘, hieß es, ich weiß das bestimmt, denn er fügte hinzu: er habe seinem armen Jungen Ehre und Recht vor der Welt nach Kräften sichern wollen, und wenn sein Bruder, wie er hoffe, seinen unbrüderlichen Widerstand aufgebe und ihm zur Seite stehe, so könne die Einwilligung des Fürsten nicht ausbleiben. Deussingen falle als altes Treuenstein’sches Gut an die Hauptlinie zurück; Dernot aber mit dem, was ihr Vater und er, August, dazu erwarben, bilde fortan den unveräußerlichen und untheilbaren Besitz der Familie Treuenstein-Dernot. Er werde die Documente und die Karten in einigen Wochen, sobald die Ernte vollendet, selber in die Residenz bringen.

Das war das zweite Stück,“ fuhr das junge Mädchen mit bewegter Stimme fort. „Das dritte, das ich nun schon mit bebender Hand aufnahm, war in einem Couvert und adressirt an die Baronin Karoline von Treuenstein – an Deine Mutter, Leopold! – in Paris. Als ich es herauszog, las ich in den obersten Zeilen die Worte: ‚ob Sie nach einer solchen‘ – – dann, da das Papier nach dem Couvert gefaltet war: ‚begangenen Treulosigkeit‘ – und endlich: ‚Liebe und Treue bewahren.‘ Weiter kam ich nicht, ich hatte das Papier nicht einmal völlig aus dem Couvert gezogen. Ich hörte die Stimme des Vaters draußen auf der Terrasse, schob den Brief zurück, warf ihn neben den beiden anderen wieder in die Schublade und entfloh.

Ich habe mich zusammen genommen, wie ich vermochte, allein wenn die Anderen nicht grade an diesem und dem folgenden Tage durch zahlreichen Besuch zerstreut worden wären, so hätten sie meine Verstörung merken müssen. Ich habe meinen Vater unmenschlich lieb,“ fügte das junge Mädchen mit glühenden Wangen hinzu, ihre Augen blickten finster und die Lippen öffneten sich kaum weit genug, die Worte durchzulassen; „aber darum thut’s mir nun auch furchtbar weh, daß ich an ihm ein Unrecht, wo nicht noch viel mehr, finden soll. Ich kann ihm und mir nicht helfen: hier ist nicht bloß vom Großvater irgend eine Sünde begangen, sondern auch von ihm selbst, dieser Haß gegen Dernot beweist mir das. Und ich glaube noch heut, wie in jenem ersten Augenblick, daß, was ich gelesen, sich alles auf Dernot bezieht und genau zusammenhängt. Unser Recht auf Dernot ist ein schwaches, wo es überhaupt eins ist.

Und dennoch, Bruder, dennoch hat er grade mich zu seiner Herrin bestimmt,“ brach sie ab, und die jungen Augen blickten noch finsterer und die Worte klangen bitter, „mich, sein geliebtes Kind, wie er mich heißt. Ich soll das Erbtheil der alten ‚von der Not‘ auf mich nehmen, das nimmer ruhende Leid, den niemals endenden Schmerz. Und ich will das auch, aber nur wenn es sein und mein Recht ist, – was Gott mir auferlegt, will ich treulich tragen. Allein eines Anderen Recht schädige ich nicht, nicht um mein höchstes Glück, nicht um allen Glanz und alles Ansehen der Welt! Und siehst Du, Bruder, das will und muß ich erfahren. Darauf hab’ ich gesonnen, seitdem ich jene böse Entdeckung machte; und seit der Vater auf meine vorsichtige Frage nach Dernot und meinen Wunsch, dasselbe kennen zu lernen, noch heftiger wurde als gewöhnlich, seitdem war ich entschlossen, selbst herzugehen und zu erkunden, was sich uns verbirgt. Was ich bisher entdeckte – ihr weicht mir ja alle aus! – ist mir nicht genug. Ich sehe wohl, daß der alte Müller unser Feind, und dieser Burgsheim mit seiner ungewöhnlichen Bildung in diesem Erdwinkel, mit seiner Verwandtschaft mit Augustin, mit seiner – ich sehe das ja selbst! – eigenthümlichen Aehnlichkeit – hängt er damit zusammen? –

Ich weiß das alles nicht, aber ich will es wissen, bevor ich von hier fortgehe. Brose bringt mich nicht fort – richte Dich danach, Bruder,“ redete sie in einem beinah harten Ton weiter; „quäle mich nicht, sondern hilf mir, wenn Du mich lieb hast. Ich will Klarheit. Ich will wissen, ob Dernot uns, mir gehört oder nicht; ich will das Recht und nicht das Unrecht. Eines nimmt man mir nicht – das alte Erbe der ‚von der Not‘, das sie mit der armen Euphemia nicht ins Grab gelegt haben. Das ist mein und bleibt mein. Das hab’ ich gefühlt seit jener Entdeckung, obgleich ich von diesem Erbe nichts wußte. Das hab’ ich gespürt, da selbst die Freude über Dich den bösen Zauber nur auf Augenblicke zu brechen vermochte. Ich mag nicht mehr heucheln, wie seither. Ich will rasch vorwärts. Hilfst Du mir?“

Leopold hatte, ohne aufzublicken, die Mittheilung der Schwester regungslos angehört. Jetzt erhob er den Kopf vom untergestützten Arm und sagte mit schwachem Lächeln und in hörbar bewegtem Ton: „Phantastischer Kopf, was hast Du Dir da für Noth gemacht! Was hilft es Dir, wenn Du vom alten Unrecht erfährst und nun auch unter ihm leidest? Und wenn alles auch nach Deinem Willen geht – kannst Du dem Vater trotzen?“

„Hier – ja!“ versetzte sie. „Phantastisch oder nicht, ich will wissentlich nicht Theil haben am Unrecht der Andern. – Ueberleg Dir’s, Leopold. Muß ich allein handeln, oder stehst Du zu mir,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_241.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)