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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Bernhard, auf dem deutschen Patrioten und Dichterfreund Karl August – aber wir schreiben hier keine Geschichte. Nur ein einfach Rautenblättlein haben wir pflücken wollen auf der Höhe, wo vor Zeiten die Burg stand, welcher die Sachsenherrscher entstammen. Daß für ihre Restauration nichts geschieht, darf nicht befremden, es ist nichts mehr da zu erhalten und zu pflegen. Für die Kirche auf dem Petersberg, wo seine Ahnen ruhen, that König Johann von Sachsen viel.

Einförmig ist die Aussicht von der Höhe des sächsischen Stammschlosses. Ueberall wirbeln qualmende Rauchsäulen empor, die Atmosphäre hat den eigenthümlichen brenzlichen Geruch der ganzen Provinz Sachsen; die Industrie vereinigt sich hier mit der Landwirthschaft zum Todtschlag aller Romantik. Und dennoch knüpfen sich merkwürdige Gedanken, Ideenverbindungen hier oben zusammen. Jenseits des Flusses steigen in der Abenddämmerung Thürme auf – dort ward geboren und starb der Bergmannssohn, der das verschüttete Gold des deutschen Geistes muthig hervorholte aus dem tiefen Schachte, den grimmige Gnomen und Kobolde hüteten – ganz nahe standen sich die Wiege Martin Luther’s und die Wiege des Hauses Wettin!




Blätter und Blüthen.


Erzherzog Stephan und der Kreishauptmann. In den vierziger Jahren, zur Zeit da Erzherzog Stephan als Statthalter in Prag fungirte, lebte in einer Kreisstadt Böhmens ein Kreishauptmann (Kreisvorsteher), der nur wenig an seinen Beruf, destomehr aber an seine Bequemlichkeit dachte und diese allmählich so weit trieb, daß er nicht nur nie vor zwei Uhr Nachmittags im Amte erschien, sondern auch den strengen Befehl ergehen ließ, ihn unter keinem Vorwande in seiner Morgen- und Mittagsruhe zu stören. Eine Folge davon war, daß die in den entfernteren Gegenden des Kreises ansässigen Leute, welche die Schlichtung ihrer Angelegenheiten auf das Kreisamt rief, sich wegen des späten Erscheinens des Amtsvorstehers gewöhnlich in der unangenehmen Lage befanden, am nämlichen Tage nicht mehr in ihren Heimathsort rückkehren zu können, und so nebst der Zeitversäumniß auch noch ein mehr oder minder kostspieliges Nachtquartier der Laune des Kreishauptmanns als Opfer bringen zu müssen.

Als endlich Beschwerden darüber bis an das Ohr des Statthalters gelangten, beschloß dieser sogleich, sich selbst von der Grundhaltigkeit dieser Angaben Ueberzeugung zu schaffen. Frühmorgens, ohne daß ein Nichteingeweihter etwas davon gewahrte, wurden zwei seiner besten Pferde in einen unscheinbaren Wagen gespannt, und fort ging’s gegen die Kreisstadt, wo der Prinz gegen Abend anlangte, unerkannt in einem Gasthofe abstieg und sich daselbst beim Nachtmahl in das heitere Gespräch der Stammgäste mengte. Hier gab er vor, ein Prager Industrieller zu sein, am nächsten Morgen den Kreisvorsteher sprechen, jedoch frühzeitig wieder abreisen zu müssen, um Prag noch vor Nacht erreichen zu können.

Allgemeine Heiterkeit folgte auf diese in entschiedenem Tone ausgesprochene Willensäußerung, und dem sich erstaunt stellenden Prinzen wurde dieselbe damit erklärt, daß es leichter sei, den Mond mittels eines Luftballons, als eine Audienz beim Kreishauptmann vor zwei Uhr Nachmittags zu erreichen.

„Nun, wir werden sehen,“ entgegnete der vermeintliche Industrielle und brach von diesem Gegenstande ab.

Am nächsten Vormittage erschien er auf dem Kreisamte und begehrte den Amtsvorsteher zu sprechen, worauf ihm der Bescheid: „Kommen Sie nach zwei Uhr wieder,“ und über sein weiteres Dringen nur ein bedeutungsvolles Achselzucken der Beamten als Antwort zu Theil wurde.

„Versuchen wir einen anderen Weg,“ dachte sich der Prinz, wendete sich an den Amtsdiener und bat denselben, ihn beim Amtsvorsteher zu melden.

„Na, da bekäm’ ich einen schönen ‚Putzer‘,“ erwiderte dieser; „den will ich nicht riskiren.“

„Auch nicht für diese Fünf-Gulden-Note?“ bemerkte der Prinz, seine Brieftasche hervorziehend und die Note dem Amtsdiener in die Hand drückend.

„Ich will’s versuchen, aber Sie werden sehen, es wird nichts nützen,“ entgegnete der Letzter, verschwand sodann, erschien jedoch sogleich wieder mit der Antwort: „Meinen ‚Putzer‘ hab’ ich, aber ausgerichtet hab’ ich nix.“

„Nun, lieber Freund, so übergeben Sie diese Karte dem Herrn Kreishauptmann, wenn er um zwei Uhr im Bureau erscheint.“

Einige Minuten später befand sich der Erzherzog in seinem schnell dahin fliegenden Wagen auf der Rückreise nach Prag.

Wer schildert den Schrecken und Jammer des bisher so unbeugsamen Kreisoberhauptes, als ihm um zwei Uhr die Karte mit dem ihm wohlbekannten Namenszuge des Erzherzogs vom Amtsdiener überreicht wurde! Seine Entlassung mit all’ ihren grauenhaften Consequenzen, Schande, Spott, Armuth etc. trat ihm wie ein riesiges Gespenst vor die Seele. Der Prinz war fort; was nun thun? Noch ein letzter Hoffnungsschimmer blieb übrig, nämlich schleunigst nach Prag zu eilen und die Gnade des Prinzen zu erflehen.

Der nächste Postzug entführte auch richtig der Kreisstadt ihr weltliches Oberhaupt. In Prag zur Audienz sich meldend, wurde er auf den nächsten Tag beschieden, und als er zur bestimmten Stunde sich wieder einfand, hieß es: „Se. kaiserliche Hoheit haben heute keine Zeit, kommen Sie morgen.“ Und so ging’s fort, von einem Tag zum andern, eine volle Woche hindurch, bis er, der Verzweiflung bereits nahe stehend, endlich vom Erzherzog empfangen wurde. Stammelnd vor Bangigkeit, brachte er die Bitte vor, Se. Hoheit möge in Berücksichtigung seiner armen Familie statt der verdienten Entlassung wenigstens die Pensionirung mit der ohnedies karg bemessenen Gebühr in Gnaden über ihn verhängen.

„Für diesmal,“ antwortete ihm der Prinz gutmüthig, „lassen wir es beim bloßen Schrecken bewenden, aber hüten Sie sich ein zweites Mal Anlaß zu einer Klage zu geben.“

Mit frohem Herzen kehrte der Kreishauptmann in seine Heimath zurück. Ob diese herbe Lection ihre Wirkung verfehlt hat, ist weiter nicht bekannt geworden.




Jesuitenwechsel. Als die Jesuiten, nachdem Maria Theresia in ihre Vertreibung gewilligt hatte, aus Wien eilig abgezogen waren und man ihre ehemalige Wohnung betrat, fand man bei zufälligem Umherstöbern in einem vergessenen Winkel eines vergessenen Kämmerchens eine Kiste, angefüllt bis obenhin mit lauter weißen Papierschnitzelchen, die in einzelnen Fächern sorgfältig vertheilt waren. Es konnten das unmöglich dorthin zusammengeworfene Abfälle sein, denn dem widersprach die Art der Aufbewahrung wie namentlich der Umstand, daß jedes Fach nur Schnitzel von ganz bestimmter Form enthielt; es konnten auch keine Schriftstücke sein, denn als man sie mit Chemikalien behandelte, um zu sehen, ob sie nicht etwa mit sogenannter unsichtbarer Schrift bedeckt seien, ergab sich, daß sie ganz rein und weiß waren – aber was war es denn? Es waren, wie man später erfuhr, Wechsel, vollständige Wechsel.

Hatte nämlich irgend ein Kaufmann, der auf eine entfernte Messe reisen wollte, dort größere Baarsummen auszuzahlen, deren Mitsichschleppen bei der großen Unsicherheit mancher Landstraßen, wenn nicht geradezu thöricht, doch immer gefährlich gewesen sein würde, so wandte er sich an den Rector der Jesuiten seines oder des nächsten Ortes, der ihm dann folgendermaßen – freilich nur in dem Fall, daß der Kaufmann gut empfohlen oder doch sonst Grund vorhanden war, ihn sich durch harmlose kleine Gefälligkeiten zu verpflichten – aus der Verlegenheit half. Er gab ihm, nachdem der Kaufmann ihm selbst die betreffende Summe ausgezahlt hatte, ein solches auf der Reise leicht zu transportierendes und leicht zu versteckendes Papierchen, das, je nach der Größe der Summe, die es bedeuten sollte, verschieden zugeschnitten war, und händigte dabei dem Wechselnden die genaue Adresse des Jesuiten jenes Ortes, den der Kaufmann besuchen wollte, ein. Kam dieser nun hier an, so ging er zu dem ihm Angewiesenen und präsentirte ihm sich und das Blättchen. Der Jesuit holte dann aus besonderen Fächern mehrere Häufchen auch von Schnitzeln und suchte so lange darin herum, bis er ein dem mitgebrachten Stückchen vollkommen ähnliches Duplicat fand, aus welches hin er nach sorgfältigster Vergleichung dem Kaufmann die ganze eingezahlte Summe ohne irgend einen Abzug von Discontokosten einhändigte. Es war dies die einfachste und auch häufigste, weil gesuchteste Art des Jesuitenwechsels, von welchem es außerdem aber noch eine Menge von Anwendungen gab.

Obwohl man gar nichts Näheres über die Vertheilungsart der Zettel und die Mittheilung ihres Werthes für die entferntesten Orte weiß, so ist doch das Verfahren insoweit von höchstem Interesse, als sich auch daraus der Schluß ziehen läßt, wie fest und ineinander greifend die Organisation der Jesuiten schon zu einer Zeit gewesen sein muß, zu der sie noch die Welt beherrschten und nicht, wie heute, wo der heilige Geist siegreich gegen alle Dunkelmänner stürmt, sich genöthigt sahen, Carré zu formiren.




Kleiner Briefkasten.

A. S. in Berlin. Sie irren nicht, wenn Sie vermuthen, daß der Titel unseres neulichen Artikels: „Das Wiener Chormadel“ nicht von dem Verfasser desselben herrührt. Es ist vielmehr unser Werk, wir glauben aber die Bedeutung der großen Künstlerin nicht besser charakterisiren und würdigen zu können, als indem wir die kleinen Anfänge betonen, aus denen sie sich durch eigene Kraft zu ihrer derzeitigen Stellung in der Künstlerwelt emporgearbeitet hat, und halten den gewählten Titel für das größte Compliment, das wir ihr zu machen im Stande sind.

G. Fr. in St. Geduld bis zur nächsten Nummer, in welcher das große Bild aus dem Berliner Reichstage erscheint.




Inhalt: Die Herrin von Dernot. Novelle von Edmund Hoefer. (Fortsetzung.) – Ein alter Liebling der deutschen Jugend. Von Friedrich Hofmann. Mit Illustration. – Photographien aus dem Reichstag. II. – Ein Bauer als Dichter. Von Dr. Rud. Hildebrand. – Eine Fürstenwiege. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Erzherzog Stephan und der Kreishauptmann. – Jesuitenwechsel. – Kleiner Briefkasten.




Die Deutschen Blätter, Literarisch-politische Feuilleton-Beilage zur Gartenlaube. Nr. 14 enthalten: Gespenster-Humbug der Gegenwart. – Umschau: Luxemburg. – Scandalöse Buchhändler-Speculation. – Fünfundzwanzig neue Heilige. – Heinrich Beta. – Vor der Eröffnung. – Zur Erinnerung an eine trübe Zeit. – Eine Encyklopädie der Frauenarbeit.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_240.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2017)