Seite:Die Gartenlaube (1867) 232.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

gespielt,‘ erwiderte Musäus, ‚durch Goethe ist natürlich das Alles erst in höheren Flor gekommen, wie ich ganz genau weiß, denn ich spiele sehr häufig selbst mit.‘

‚Jawohl, und man giebt ihm immer solche Rollen, die dem Charakter seines alten grauen Rockes entsprechen –‘ fügte die Frau Professorin hinzu, erntete dafür aber einen so komischen strafenden Blick des Gemahls, daß sie ihm begütigend die Wangen streichelte und, wie um aus der Schußlinie seiner Antwort zu kommen, den Knaben einen Stuhl zum Fenster rückte, wo sie, nach der Mahlzeit, sich an der Ausschau erlustirten. – Musäus hatte währenddeß die Gläser frisch gefüllt und stieß mit mir an auf sein liebes Jena. Damit erwachten viele schöne Erinnerungen an seine Studentenjahre, die er so ergötzlich erzählte, daß ich in dieser Stunde meiner eigenen Jugend froher ward, als ich’s meine ganze Zeit in Jena gewesen. Und wie freute sich die Frau Professorin über jede Lust, die ihr lieber Mann genossen! Das gefiel mir besonders wohl. Da erschallte plötzlich mitten in unserer Unterhaltung Karl’s Stimmchen zum Fenster hinaus: ‚Rippler, Rippler, rau, rau, rau!‘

‚Oho, mein alter Tambour, mein Märchenerzähler geht vorüber,‘ rief Musäus. ‚Und Du, Karlchen, verspottest ihn auch, wie die bösen Jungen auf der Gasse? Ei, ei! Geschwind trage ihm einen Groschen hinunter! Dem Mann bin ich viel Dank schuldig, er hat mir manchen guten Stoff für meine Volksmärchen geliefert, nicht wahr, liebe Frau?‘

‚Ja, Herr, das muß wahr sein. Freilich hat er mir manchmal die Stube arg verpestet mit seinem schlechten Tabak, aber seitdem mein Musäus seine Volksmärchen schreibt, ist’s um Vieles besser mit uns geworden. Winke mir nur nicht ab, jetzt bin ich daran. Ja, lieber Herr, Sie glauben nicht, wie mein Musäus und ich uns einschränken und abplagen mußten in unserer ersten Zeit. Wie manche liebe Nacht arbeitete mein armer Mann an Gelegenheitsgedichten herum und gab Unterrichtsstunden, so viel nur der Tag Zeit dazu ließ, um dem Haushalt aufzuhelfen, und ich arbeitete fast nicht weniger, um von Kostgängern einen kleinen Gewinn zu ziehen und damit der Schmalhans nicht allein Küchenmeister bei uns würde. Fast alle seine Reisen nach Jena und Gotha und selbst noch weiter hat damals mein Musäus zu Fuße machen müssen, weil ihm das Fahren zu theuer war; und von Gotha hat er sogar dem Karlchen ein Steckenpferd mit heimgetragen den langen Weg bis Weimar. Und Kleider und Leibwäsche wollten auch besorgt sein, besonders wegen der Hoffestlichkeiten. Wie manchmal kamen wir von dem Glanz und der Herrlichkeit des fürstlichen Privattheaters von Tieffurt oder Ettersburg, und fanden daheim die liebe Noth, wenn es auf das Monatsende losging oder alle Gröschlein für den Hauszins gespart werden mußten. Laß mich nur gar ausplaudern, lieber Musäus, die Wahrheit macht uns keine Schande. Ja, seitdem mein Mann die Volksmärchen zu schreiben angefangen, ist auch das äußere Glück bei uns eingekehrt. Anfangs verstand ich’s freilich nicht und war manchmal ärgerlich, wenn er oft Kinder von der Straße und alte Weiber mit nach Hause brachte, die ihm Märchen erzählen mußten, und er bezahlte jedes Märchen mit einem Dreier.[1] Wie aber das erste Bändchen gedruckt war, ging mir erst ein Licht über die Sache auf. Denken Sie nur, drüben im Gärtchen auf dem Tisch lagen schon einmal achtundsechszig harte Thaler Honorar auf einmal von dem Herrn Commissionsrath Ettinger in Gotha, und ein andermal siebenzehn und ein halber Louisd’or vom schönsten Gold, und wieder einmal kommt der Herr Commissionsrath da zur Thür herein und sagt: ‚Frau Professorin, bringen Sie mir einen Topf aus der Küche, er braucht nicht ganz klein zu sein.‘ Ich wundere mich zwar über den Einfall, stelle ihm aber doch ungefähr ein Zweimaßtöpflein auf den Tisch. Er aber zieht nun aus allen Taschen so viel silberne Münzen hervor, daß der Topf beinahe voll geworden wäre. Und das Alles hatte mein braver Musäus mit seinem Fleiß verdient! Sie glauben nicht, wie das eine Frau glücklich macht!‘

Und dabei reichte sie ihrem Gatten die Hand hin. Aus Musäus’ Augen schimmerte es wie emporquellende Rührung. ‚Jetzt ist’s die schönste Zeit, daß Du gehst,‘ dachte ich da, erhob mich rasch, ließ mich auch durch kein Bitten rühren, auch nicht durch die Einladung für den Nachmittag in den Garten binden, und ging als ein Mensch, der um eine schöne Erinnerung für sein ganzes Leben reicher geworden, nach Jena wieder hinüber.

Wenige Jahre später las ich die Nachricht vom allzufrühen Tod des herrlichen Mannes. Als ich später sein Bild bekam, hatte ich zwei stille Festtage im Jahre mehr. Jeden 29. März, dem Tage, wo er 1735 in Jena geboren war, erhält das Bild seinen grünen Kranz, und jeden 28. October, wo er 1787 in Weimar starb, seinen schwarzen Flor. Wenn ich einmal sterbe, so vermache ich Dir, Fritz, das Bild, dazu aber auch die Verpflichtung, es, wie ich, zur stillen Familienfeier eines der edelsten Familienmenschen mit Kranz und Flor zu schmücken.“

Das ist des Großvaters Erzählung. Er ist nun auch schon lange todt, aber sein Vermächtniß wird noch heute in Ehren gehalten.

Friedrich Hofmann.




Photographien aus dem Reichstag.
II.


Im Weißen Saale des Königsschlosses spielte sich nur die effectvolle Eröffnungsscene des Norddeutschen Reichstages ab, der eigentliche Schauplatz von dessen Wirksamkeit liegt anderswo. Dahin wenden wir uns jetzt. Da Ihr eigentlicher Reichstagsschilderer noch immer durch seine Parlamentsgeschäfte in der Fortsetzung der begonnenen Skizzen verhindert wird, so gestatten Sie mir wohl, daß ich einstweilen Ihre Leser in das „Haus“ einführe.

Mit einem Gefühl, welches mit gewöhnlicher Neugierde nichts zu thun hat, interessiren wir uns für die Männer, in deren Händen das Geschick Deutschlands liegt, und betreten die Räume, in denen das Norddeutsche Parlament seine so bedeutungsvollen Sitzungen hält. Das stattliche Gebäude in der Leipziger Straße Nummer drei, wohin wir uns begeben, entspricht nicht ganz den Vorstellungen eines Versammlungshauses für die Vertreter des deutschen Volkes, da es nur provisorisch zu diesem Zweck benutzt wird. Die äußere Façade erinnert an die überwundene Zopfperiode, obgleich die Geschmacklosigkeiten derselben entweder glücklich vermieden, oder durch spätere Restauration beseitigt worden sind. In den innern Räumen befinden sich die verschiedenen Bureaux und der mäßig große Sitzungssaal, in dem bis vor Kurzem das preußische Herrenhaus getagt oder vielmehr – genachtet hat.

Die Wände sind schmucklos, pompejanisch-roth gestrichen, die Decke ist in Felder getheilt, mit einfachen Rosetten von Stuck geziert, der Raum beschränkt, die Beleuchtung gerade ausreichend, dagegen die Ventilation mangelhaft, so daß bald eine drückende Schwüle, bald eine rheumaerzeugende Zugluft herrscht. An drei Seiten befinden sich die Tribünen für das Publicum und die Logen für den Hof und die Diplomatie. Einige niedrige Stufen führen zu einer Nische, die von einem gewölbten Bogen gebildet wird und gleichsam wie in der Kirche das Allerheiligste repräsentirt. Hier befindet sich der Präsidentenstuhl und das Bureau für die Beisitzer, die sehr beschränkte und darum unbequeme Rednerbühne, daneben der Tisch für die Stenographen. Zu beiden Seiten sitzen auf erhöhten Stühlen die Bundes-Commissarien an grünen Tischen. Der ganze übrige Saal wird von den Reichstagsmitgliedern eingenommen und zwar in der gewohnten Weise, daß die conservative Partei die rechten, die liberale mit ihren verschiedenen Fractionen die linken Bänke behauptet, während die Annectirten und Bundesgenossen sich auf den hintersten Plätzen niederlassen.

Bevor die Sitzung beginnt, sind bereits die Tribünen für das Publicum dermaßen überfüllt, daß man nur mit größter Mühe einen Platz erhalten kann. Die Mehrzahl muß den Verhandlungen stehend beiwohnen, da der Raum nicht auf eine so große Zuhörermenge berechnet ist. Die Debatten des sonst hier ansässigen Herrenhauses waren so wenig verlockend und so selten


  1. Eine solche Scene stellt unsere Illustration vor.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)