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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

unsern Hof halten,“ fiel sie ihm munter, ja fast ein wenig spöttisch in’s Wort. „Ich verheiße Ihnen die wunderbarsten Ueberraschungen und Unterhaltungen, und nehme keine Weigerung an! Gelt, Papa, Sie sind doch ein galanter Mann? Sie müssen Ihrem Schloßengel guten Tag sagen, und dürfen – ich erlaube Ihnen das! – meiner Cousine den Hof machen – sie wird fügsamer und sanfter sein als in Heitersberg; Heimlingen steht Ihnen hier nicht im Wege, und überdies schmachtet sie nach ein wenig Adoration –“

„Aber mein theures Kind!“ suchte Herr von Brose diesen Redefluß zu unterbrechen.

„Ja, nicht wahr, ich verdiene wirklich einen freundlichen Blick? Aussichten, wie sie gar nicht schöner gedacht werden können und nicht leicht wiederkehren möchten! Aber ich habe noch mehr! Sie wollen doch gewiß auch meinem armen verbannten Bruder einmal die Hand –“

Er starrte sie weit geöffneten Auges an. „Ihr Bruder, mein theures Kind –?“

„Ja, denken Sie, ich entdeckte hier meinen Bruder Leopold, den Verbannten, und fühle mich ganz glücklich, ihm bei mir ein Asyl bieten zu dürfen. Apropos, Papa Brose,“ setzte sie stets in gleichem Tone hinzu, aber ihr Auge ruhte mit eigenthümlicher Festigkeit auf ihm, „davon wissen Sie sicher auch mehr als ich und müssen mir erzählen – Sie sehen, wie nothwendig wir noch hier bleiben müssen! Daheim fänden wir nimmer Zeit und Gelegenheit zu all solchen Mittheilungen. Und wenn Sie nun endlich dazu rechnen, daß sich hier auch noch etwas gegen uns vorbereitet oder gar schon vorbereitet hat und vielleicht demnächst ausbricht, so müssen Sie selber gestehen, daß Ihnen selten Gelegenheit geboten wurde, all Ihre Vorzüge als Cavalier und galanter Herr, als alter gewiegter Hofmann und Diplomat, als ebenso alter Freund des Hauses, als Versöhner der beiden so traurig Entzweiten, als Ritter der Damen und Schützer des zarten Geschlechts, so in das allerglänzendste Licht zu stellen. Gelt, Papa Brose, ich dächte, das Alles kann Ihnen die Wahl zwischen dem momentanen Zürnen Seiner Excellenz und der ewigen Gnade seiner Tochter nicht schwer machen. Da, seien Sie entzückt und küssen Sie meine Hand!“ schloß sie mit einem von Schelmerei leuchtenden Blick und reichte ihm die feinen Finger mit einer, man durfte sagen, fürstlichen Bewegung. „Fidèle et sans reproche – erster Ritter der Dame von Dernot!“

Man konnte es dem armen Kammerherrn nicht verdenken, daß Wesen und Worte des jungen, in diesem Moment obendrein strahlend schönen Mädchens ihn um seine ganze erprobte Haltung brachten und ihn von der ersten Bestürzung zur Bewunderung und von dieser zu einer Verblüfftheit fortrissen, welche beinah zu einer vollständigen Confusion wurde. Herr von Brose war allerdings ein alter Freund des Barons Treuenstein und, abgesehen von den früheren, nur ihnen Beiden bekannten Beziehungen und gemeinsamen Erlebnissen, auch als solcher mit dem Staatsmann und dessen Familie stets in Verbindung geblieben. Esperance hatte er bereits als kleines Kind kennen gelernt und sie seitdem mehr als einmal wiedergesehen, wenn sie auf den Reisen, welche der Vater selten ohne sie und ihre Cousine machte, an den Hof gelangte, bei dem Brose angestellt war, und gewöhnlich daselbst mit den Ihren einige Zeit zu verweilen pflegte.

Er hätte also Gelegenheit genug gehabt, das junge Mädchen in seiner Eigenartigkeit zu beobachten und sich von Jahr zu Jahr mehr entwickeln zu sehen. Allein die Begegnungen waren trotzdem nur flüchtige gewesen und die Beobachtungen – ganz abgesehen davon, daß Esperance doch immer noch ein freilich reizendes und reichbegabtes Kind und daß der Kammerherr überhaupt nicht der Mann des Nachdenkens war – vereinzelte und ziemlich oberflächliche geblieben, und seit Brose die Freunde zum letztenmal gesehen, war überdies eine mehrjährige Pause eingetreten. In dieser Pause reifte das Mädchen zur Jungfrau, und der Kammerherr war, da er neulich auf Schloß Heitersberg mit ihr zusammentraf, nicht wenig durch das überrascht gewesen, was aus der Kleinen geworden. Aber auch hier waren es endlich doch nur ein paar Stunden gewesen, da Esperance schon am nächsten Morgen zu ihrer wunderlichen Reise aufbrach, und er hatte sie jetzt im Grunde zuerst und so zu sagen funkelnagelneu vor sich. Was er nun wirklich begriff und erkannte, war, daß er seinen ersten Operationsplan, nach dem er es je nach Umständen mit sanfter Ueberredung oder mit Berufung auf die Autorität und das Zürnen des Vaters versuchen wollte, für jetzt aufgeben müsse. Und zugleich dankte er Gott, daß der Minister nicht selber im einsamen Schloß und vor der eigensinnigen Tochter stehe – wir wissen freilich nicht, ob blos aus Schonung und Theilnahme für den alten Freund.

Also temporisiren und beobachten – auch die Anderen, welche dem jungen Mädchen hier nahestanden, und besser und vorsichtiger, als er es bisher für nöthig gehalten. Und wenn denn die Reise auch noch um einen oder zwei Tage verschoben werden mußte – was that’s am Ende? Der Vater drüben in der Residenz würde sich nun, da er den Aufenthalt der Kinder und sie obendrein unter Aufsicht und Schutz des Freundes wußte, schon zur Ruhe geben. Er hatte, wie Brose gut genug bemerkt, so viel und so Unlustiges zu thun, daß er alles Uebrige, was nicht dringend nothwendig, sich gern aus dem Wege geräumt sehen dürfte.

Nicht nur Joseph, sondern auch Eugenie, und zwar diese zumeist, hatten übrigens längst erkannt, daß in und mit Esperance neuerdings eine große Veränderung vorgegangen war, und Beide ließen sich keinen Augenblick durch die Lust und den gelegentlichen Uebermuth täuschen, welche während der letzten blauen Tage das Mädchen ganz in der alten Weise zu beherrschen schienen. Hatte doch selbst Leopold, der die Schwester jetzt erst kennen lernte, schon aus manchen, wenn auch noch so leisen, doch immerdar eigenthümlich widersprechenden Zügen schließen müssen, daß sich in dem jungen Wesen trotz all der anscheinenden Offenheit und Sorglosigkeit etwas verberge, das ihre Natur zu Zeiten tief niederdrückte. Von einer Erklärung war um so weniger die Rede, als Esperance alle dahin zielenden verblümten oder offenen Fragen und Versuche entweder gar nicht zu verstehen schien oder mit der größten Unbefangenheit verspottete. Nur daß es mit Dernot zusammenhing, meinte Eugenie annehmen zu dürfen. „Denn wenn ich recht darüber nachdenke,“ sagte sie zu Leopold einmal in diesen Tagen, „bin nicht ich die Anstifterin dieser Reise, sondern Esperance selber ist’s. Sie hat von Dernot und Allem, was dazu gehört, zuerst und so oft geredet, daß ich nach und nach wohl auf den Einfall kommen mußte, uns dies einmal selber anzusehen.“

„Ja, ja,“ hatte der ernste Mann kopfschüttelnd erwidert, „ich begreife am Ende die Neugier oder das Verlangen, das so ein junges, lustiges, übermüthiges und vor Allem niemals an Beschränkung gewöhntes Menschenkind nach etwas spürt, das ihm gehören soll und ihm bisher dennoch, dazu mit allerlei geheimnißvollen Nebenumständen, entzogen blieb. Ich verstehe auch von zwei solchen Strudelköpfen, wie die Euren, den lustigen Einfall und diesen Ausflug auf eigene Hand. Aber dem Verlangen ist jetzt genug geschehen. Was fesselt sie noch an dies traurige alte Haus? Was läßt ihr dies einfache, abwechslungslose Leben nicht langweilig werden? Wie kann selbst meine Gegenwart und die Liebe zu mir sie so lange fest halten, bis ihr Vater mit Recht zürnt und sie zur Rückkehr zwingt? – Sie giebt mir auf das Alles leider ebenso wenig Antwort als Ihnen, Cousine, oder versteht mich vielmehr gar nicht. Ist es am Ende dennoch eine bloße Laune?“

Eugenie schüttelte den Kopf. „Wie Sie eben sagten, Cousin: es müßte hier doch irgend etwas geben, was auch nur eine solche so zu sagen im Gang erhalten könnte. Aber ich weiß nichts dergleichen. Denn“ – und die Dame erröthete ein wenig und ihr Blick wurde eigenthümlich kalt – „das Interesse für diesen Herrn Burgsheim, das Joseph entdeckt haben will –“

Leopold machte eine abweichende Bewegung, lächelte jedoch nur dazu, ohne sich auf eine andere Erwiderung einzulassen.

Am heutigen Abend aber sollte er plötzlich die stets vergeblich gesuchte Erklärung erhalten und zwar von der Schwester selbst. Als Leopold den Kreis der Anderen schon eine Weile verlassen hatte und, über seine Begegnung mit dem ihm von früher wohl bekannten Brose nachdenkend, in seinem Zimmer auf- und abging, öffnete sich, ohne daß er einen nahenden Schritt vernommen hätte, geräuschlos seine Thür und Esperance stand vor ihm.

„Hör’ an,“ sagte sie ohne ein erklärendes Wort, ihr Auge blickte dunkel, und der schimmernden Röthe auf ihren Wangen entsprach der rasche und bewegte Ton, „unterbrich mich nicht, antworte auch nicht, sondern höre nur, denn ich habe mich drüben mit dem Vorgeben entfernt, daß ich müde sei und in’s Bett wolle,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_228.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)