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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und sie zwangen Einen wie den Andern den kleinen Raub wieder herauszugeben. Jeder von den Knaben hatte ein paar Cents entwendet. Geradezu strahlend von innerer Genugthuung brachte sie mir am nächsten Morgen das entwendete Geld: „Wir Mädchen haben Alles von den Buben herausgekriegt. Nur fünf Cents fehlten, die hat meine Mutter zugelegt!“

Von jetzt an glaubte ich an die mir von Washington aus verbürgte Mittheilung. Ich bin fest überzeugt, daß, was hier im Kleinen geschehen ist, auch im Großen eintreten werde, wenn die Frauen einmal ihre Hand mit in der Verwaltung unserer öffentlichen Angelegenheiten haben. Die Frauen werden die Männer zwingen, rechtschaffener zu sein. Es ist eine Thatsache, daß bis vor wenigen Jahren unter vielen hundert Sträflingen in unserem Zuchthause in Missouri auch nicht ein einziges Frauenzimmer saß. Erinnere ich mich recht, so war es im Jahr 1858, als eine Frau aus St. Louis zu mehreren Jahren Gefängniß verurtheilt wurde, weil sie aus Eifersucht ihren Geliebten erschossen hatte. Der damalige Gouverneur des Staats entließ die Frau augenblicklich in die Freiheit: „Im Zuchthause zu Jefferson City sei keine comfortable Einrichtung für Frauen!“ Daß dabei die allgemein herrschende Scheu der Männer zu Grunde liegt, eine Frau oder ein Mädchen zu verklagen, und der Gerichte, sie zu verurtheilen, ist freilich richtig. Aber es ist nicht weniger richtig, daß die amerikanischen Frauen in Bezug auf Rechtschaffenheit ein unendlich empfindlicheres Gewissen haben, als die Männer. Wenn beide Geschlechter einander gleichgestellt werden, wird das Niveau der öffentlichen Rechtschaffenheit ein höheres sein. Gewiß ist, daß die Frauen nach und nach von den laxen Begriffen der Männer angesteckt werden; sobald aber das Gleichgewicht hergestellt ist, wird ohne Zweifel die öffentliche Moral im Ganzen bedeutend gewonnen haben.

Auf der andern Seite dagegen begehen unsere Frauen Irrthümer und haben sie schlechte Seiten, über die frei von der Leber weg man erst dann wird sprechen dürfen, wenn sie vollkommen emancipirt sind. Unter diesen hebe ich zwei hervor, die eng mit einander zusammenhängen. Den ersten haben sie wohl mit der größten Anzahl ihrer Schwestern, wenn auch vielleicht nicht in gleich hohem Grade, gemein, während der zweite außer den Vereinigten Staaten nur in den allerhöchsten Regionen der englischen und französischen haute volée zu Hause ist, hier aber leider nicht nur in der älteren Bevölkerung der Städte angelsächsischen Ursprungs allgemein herrscht, sondern auch schon dergestalt die neue Einwanderung ergriffen hat, daß, wenn die Frauenemancipation sie nicht davon heilt, die zweiten und dritten Generationen der neu eingewanderten Frauen gerade so sehr davon befleckt sein werden, wie die ältere Frauenwelt.

Eine der besondern schlimmen Eigenthümlichkeiten der Amerikanerinnen ist ihr Auffassen des Lebens von der alleräußerlichsten Seite. Ihre Putz- und Genußsucht kennt in der Regel keine andere Grenze, als die der vollkommensten Ermüdung. Zwar ist in allerneuester Zeit eine gewisse prätentiöse Einfachheit unter den Frauen reicher Familien älteren Datums als Unterscheidungsmerkmal von dem pfauenartigen Auftreten der hier „Shoddies“ genannten Emporkömmlinge Mode geworden, aber man kann nicht sagen, daß diese reflectirte Einfachheit jener Frauen inneren Gründen entsprungen wäre und deshalb ihr Leben auch innerlicher gemacht hätte. Bei Weitem die größte Mehrzahl der Frauen und Mädchen in den höheren oder, besser gesagt, reicheren Classen bringen ihre ganze Zeit mit Vorbereitungen ihrer Toilette zu Gesellschaften, Concerten und Theatern zu. Tausende von Familien werden dadurch alljährlich ruinirt und andere Tausende würden ruinirt werden, wenn nicht die unglaubliche Energie der Männer und Hülfsquellen, von denen man anderwärts sich kaum einen Begriff machen kann, die Mittel zur beständigen Erneuerung dieser glänzenden Flitterwelt wieder beschafften. Mit diesem großen Leiden hängt aber ein anderes zusammen, das nicht nur die Frauenwelt im Allerinnersten demoralisirt, sondern durch das auch unser herrliches Land sehr bald entvölkert würde, wenn ihm nicht die stets wachsende Einwanderung eine neue Menschensaat zuführte. Es ist dies der ausgesprochene und allgemein ausgeführte Entschluß unserer Frauenwelt, so wenig Kinder als nur immer möglich aufzuziehen. Ich lasse das Wie mit einem dichten Schleier bedeckt. Die Thatsache selbst aber ist gerade in diesen Tagen durch statistische Aufstellungen im Staate Massachusetts und durch eine gründliche Ausführung eines Doctor Allen in Lowell dergestalt an’s Licht gezogen und in ihrer ganzen erschreckenden Wahrhaftigkeit dargestellt worden, daß an ein Verschweigen oder Beschönigen nicht mehr gedacht werden kann. Es hat sich nämlich in Massachusetts herausgestellt, daß unter der angelsächsischen Bevölkerung die Zahl der Geburten in je einer Generation von mehr als siebenhundert vor etwa zweihundert Jahren heute auf circa hundertundvierzig herabgesunken ist, und daß die neueingewanderten Familien ungefähr fünfmal so viel Kinder haben, als die der älteren Einwohnerschaft. In dürren Worten schreibt Dr. Allen dieses entsetzliche Verhältniß der physischen Verderbniß und Schwäche der Frauen der älteren Bevölkerung und ihrem Entschlusse zu, gar keine oder nur äußerst wenige Kinder aufzuziehen.

Jeder vernünftige und sittliche Mensch wird uns zugeben müssen, daß der bloße Comfort und die länger erhaltene Schönheit der Mütter ungenügende Gründe für eine so weitgehende Abweichung von den natürlichen Gesetzen und den bisher unter guten Menschen gültig gewesenen Grundsätzen der Sittlichkeit sind. Alles Raffinement der Sitten, die höchste Eleganz, der zierlichste Körperbau, so hoch wir sie auch anschlagen, erscheinen uns als ein armseliger Preis für einen geschwächten Körper und für ein vom Wurme des Vorwurfs angenagtes Gemüth. Schon sind es die Städte nicht mehr allein, die dieses Leiden heimsucht, denn allerwärts breitet es sich mit der Bildung auf dem Lande aus. Schon sind es nicht mehr die alten angelsächsischen Familien, in denen die schreckliche Sitte herrscht, sondern sie greift bereits tief hinein in die neue Bevölkerung. Was Malthus zum Glück umsonst den Oekonomisten gepredigt, das ist der Hoffahrt gelungen. Möge dagegen, wie ich’s mit Sicherheit hoffe, die Emancipation der Frauen ein wirksames Mittel sein.

Ich nannte Raffinement feiner Sitten, höchste Eleganz und zierlichen Körperbau einen armseligen Preis für geschwächte Gesundheit und ein nagendes Gewissen, und ich setze hinzu, daß, sofern es das äußerliche Leben betrifft, die amerikanischen Frauen aller Wahrscheinlichkeit nach den höchsten Rang unter ihren Schwestern anderer Nationen einnehmen. Alle ohne Ausnahme wissen sich mit Sicherheit, Grazie und Urbanität in jedem Cirkel zu bewegen; Alle ohne Ausnahme verstehen es, ihre Toilette mit ihrer Individualität in die kleidsamste Harmonie zu bringen; Alle ohne Ausnahme schreiben eine elegante Handschrift und concipiren fehlerfrei und zierlich stylisirte Briefe und Alle führen auch eine verbreitete Correspondenz. Ja, mehr als das, Alle wissen sich mit wunderbarer Geschicklichkeit in die hier so häufigen Wechsel des Glückes zu schicken, und unter den allergewöhnlichsten Arbeiten versteht es die zurückgezogene Amerikanerin, die Eleganz ihrer Sitten zu bewahren und ihre Bildung hoch oben zu erhalten über der ihr aufgedrungenen äußeren Lebenslage. Aber sie haben weder die Tiefe des Gemüthes der deutschen Frau, noch den sprudelnden Geist der Französin. Sie sind kalte, oberflächliche, durch Eleganz und stereotype Behandlung der Männer in Decorationen verwandelte Geschöpfe, aus denen die ganze, unverkürzte Freiheit erst wieder rechte Weiber machen muß. Freilich darf man bei der Beurtheilung der amerikanischen Frauenwelt nicht unberücksichtigt lassen, daß der demokratische Zug, welcher durch die ganze Union geht, auch auf die Frauen seinen mächtigen nivellirenden Einfluß ausübt und daß damit in engem Zusammenhange stehend, nirgends in der Welt die Tyrannei der Mode unwiderstehlicher ist, als in Amerika.

Mit Blitzesschnelle, möchte man sagen, dringen bei der fortwährenden Völkerwanderung, die von Süden nach Norden und zurück, mehr aber noch von Osten nach Westen stattfindet, die absurdesten Moden in die entferntesten Winkel des Landes, und kaum sind die ersten falschen Waden auf dem Broadway in New-York erschienen, so werden auch schon ungeheuere Ladungen des wunderlichen Artikels nach dem fernsten Westen geschafft. Eine neue Agriculturmaschine, ein neuer Roman, ein neues Kleidungsstück, eine verbesserte Pumpe, eine neue Sorte von Mützen oder Clen ist im Osten eingeführt worden, und nach sechs bis acht Wochen kann man die Neuigkeit in Nebraska, ja sogar in Neumexico in allen Kaufläden finden. Werden Bärte in Boston getragen, so läßt der letzte Hinterwäldler alsbald seinen Bart stehen; finden es die Yankee-Damen für gut, nur zwei Kinder zu bekommen, so bestrebt sich die ganze Frauenwelt im ganzen Lande, dem östlichen Vorbild nachzukommen. Kaum eine Familie in Städten und auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_223.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2017)