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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Eugenie, deren blaues Auge gleichfalls bei weitem heiterer und klarer blickte, als am Nachmittag, deutete ohne ein Wort gegen das Fenster, an dessen Scheiben der Regen schlug, und Joseph fügte lachend hinzu: „Wahrhaftig, Gebieterin, das heißt man eine demonstratio ad hominem oder auch ad absurdum geführt – beides! Ich habe von Deinem ‚Blau‘ noch nichts zu sehen bekommen, conträr, gerade seit wir in Deiner Terminei sind –“

„Haben wir alle geschmollt und verdrießliche Augen gemacht,“ unterbrach sie ihn lustig. „Wir verdienten gar keine guten Tage. Selinde würde sagen: ‚Unseren Seufzern antworteten die Thränen des Himmels!‘ Jetzt wird’s besser werden. Der hier,“ und ihr Auge blickte glänzend in das des Bruders, „bringt uns blaue, lustige Tage! Jetzt erst beginnt unser fröhlich Regiment. Gebt nur acht!“

Es war der erste Abend, an dem man wieder Esperance’s glockenhelles Lachen vernahm und auch Eugenie – man möchte sagen – aufleben sah; Die kostbare Stunde der Nachttoilette, welche in den vergangenen Tagen so rasch wie möglich und unter seriösem Schweigen absolvirt worden, war heute voll Lust und Plaudern, voll Neckereien und übermüthigen Einfällen, und noch aus den Betten flog ein paar Mal ein Scherzwort durch das dunkle, stille Gemach. Hatte doch selbst Selinde heute nicht einmal geseufzt, sondern nur ihre tiefste Befriedigung kundgegeben, daß sie Zeugin so romantischer Ereignisse und Auflösungen sein dürfe.

Und am nächsten Morgen war es wirklich nicht mehr der trübe, mühsam sich aus der Dämmerung ringende Tag, der in verdrossene oder schwermüthige Augen blickte; über den Bergen drüben, wo damals das Gewitter aufgestiegen und von denen seitdem all die schwer schattenden Wolken daher trieben, da breitete sich heute ein leuchtendes Blau aus und rückte höher und höher.

Es hatte Alles ein anderes Ansehen gewonnen, die Menschen, das alte Haus mit seinen öden Räumen, und Frau Katharina hatte doch nicht Recht gehabt, als sie meinte, heiter sei Dernot niemals. Das sah man heute wohl, wo ein Sonnenstrahl sich selbst in den dämmigen Corridor hineinwagte und die schweren Vorhänge sich behaglich in der prachtvollen Luft und dem hellen Licht wiegten, welche durch die geöffneten Fenster erquickend hereindrangen, und wo sogar der Schloßhof hell wurde bis auf den Grund.

Aber auch an den Menschen fand sich, wie gesagt, diese Wandlung wieder. Die jungen Leute schienen erst jetzt ihre rechte gewohnte Weise wiedergefunden zu haben, Joseph war ein munterer, neckischer Gesell und Eugenie rechtfertigte das Urtheil der Tante über sie mehr als einmal durch die übermüthigsten Einfälle. Aber auch Frau Katharine blickte heut ganz anders, freundlich und vertrauensvoll darein, und Meister Tobias war ohne Widerrede der Glücklichste von Allen. Der kleine dicke Mann war kaum wieder zu erkennen, so lief, ja tanzte er beinah umher, so zutraulich war er, so strahlte sein gutes altes, ein wenig kupferiges Gesicht vom innerlichsten Behagen. „O lieber Gott, ja,“ gab er lustig zu, „ich könnte immer singen und tanzen, wenn ich die gnädige Herrschaft so einträchtig bei einander sehe. Es war diese Tage auch gar zu unplaisirlich!“

„Eure Schuld, Meister,“ erwiderte Esperance, welche durch ihre Neckerei diese Entgegnung veranlaßt hatte. „Eigentlich sollte ich es Euch und der Dame Katharine nicht so hingehen lassen, daß Ihr solches Mißtrauen gegen mich hegtet. Ja, ich glaube beinah,“ fügte sie mit einem munteren Blick auf die Matrone am Spinnrade hinzu, „Ihr, Mutter, habt noch mehr verbrochen – Eure traurigen Geschichten sollten mich am Ende blos fortjagen?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Fräulein, Sie haben es selber gewollt und nicht ich,“ sagte sie ruhig. „Mir war das Herz schwer genug um den armen Herrn, der nun doch vielleicht vor Ihnen weichen mußte – wie konnt’ ich’s anders glauben? – und auch um Sie selbst. Sie sah ich, wie’s von den alten Dernotern heißt: die blickten, jung und alt, nur ernst in’s Leben oder traurig. Und wenn es hier anders werden soll, muß die Herrin von Dernot ein fröhlich Herz haben und helle, vertrauende Augen, – so, wie heut die Ihren. Das ist mein Glaube.“ – –

„Hieltest denn auch Du es für möglich, daß ich Dir feindlich gegenüberstehen könnte?“ fragte Esperance später den Bruder. Es war nicht die erste Frage dieser Art, aber er schien sie bisher überhört zu haben.

Jetzt zuckte der ernste Mann – denn wie sichtbar ihn die heitere, zärtliche Schwester auch beglückte, selbst munter und sorglos gleich den Uebrigen blickte er darum nicht – die Achseln und versetzte: „Kind, wie konnte ich darüber ein Urtheil haben? Was wußte ich von daheim, von Dir? Und wenn nicht an mich, mußte ich nicht an Dich denken, was die Begegnung mit mir für Folgen haben könnte für Dich? – Aber laß uns schweigen von diesen traurigen Zuständen.“

„Nicht doch,“ rief sie und zog seinen Arm fester an sich. „Du wichst mir seither aus – ich merkt’ es wohl! Nun aber, sprich – von Dir, von dem Vater. Was –“

„Kein Wort davon,“ unterbrach er sie lebhaft. „Ich klage nicht an, ich vertheidige nicht. Vielleicht ist der Vater, wie er Alles ansehen muß, im vollen Recht, aber auch ich vermag mich nicht im Unrecht zu sehen, – das ist heute, wie damals, als wir schieden. Das muß Dir genügen. Die Einzelnheiten sind nicht für Dich. Lasse uns an einander froh sein. Wer weiß, wie bald diese freundlichen Stunden enden und das Scheiden kommt.“

„O, in Dernot sucht man uns nicht,“ lachte sie ein wenig gezwungen. „Der Vater hört ja nicht einmal den Namen gern.“ Und zu ihm aufblickend fügte sie in einem gewissen leichten Tone hinzu: „Kennst Du den Grund dieser Antipathie?“

„Nein,“ erwiderte er kurz, und erst nach einigen weiteren Schritten fragte er mit einem schwachen Lächeln: „Sage Du mir lieber, wie Ihr auf diese wunderliche Reise gekommen seid.“

Ihr Auge erhob sich rasch und doch ernst zu ihm und ihre Lippen öffneten sich bereits, als wollten sie ihm schnell – vielleicht etwas Unerwartetes – antworten. Im nächsten Moment aber wechselte der Ausdruck ihres Gesichts wieder, und als sie nach einer Pause sprach, war es ihr gewöhnlicher, munterer, fast ein wenig schalkhafter Ton, in dem sie sagte: „Ja, gelt, unsere Geheimnisse wollt Ihr uns entlocken und die Euren darf Niemand erfahren! – Aber in Gottes Namen,“ fuhr sie lächelnd fort, „es ist einfach genug. Eugenie und ich waren neugierig auf dies – verbotene Dernot und fanden einen Incognito-Ausflug unter Joseph’s Schutz entzückend. Und da wir uns daheim langweilten und Tante Kunigunde sich auf das Heirathsstiften legte, so verschrieben wir uns Joseph und gingen auf und davon. Mit dem Incognito ward es freilich nichts,“ schloß sie. „Der grobe Müller erkannte mich gleich. – Bin ich denn dem Vater wirklich so ähnlich?“

„Das wird er wohl kaum gemeint haben,“ entgegnete Leopold; „die Aehnlichkeit überspringt, wie man sagt, nicht selten eine Generation, und so weit ich mich der Bilder entsinne, gleichst Du allerdings dem Großvater, besonders aber dem Großonkel August, dem Besitzer Dernots, auffallend, – mit einem Wort, Du hast die Dernoter Züge. Es hing vordem im Zimmer meiner Mutter neben dem Bilde des Großonkels auch das der armen Euphemia – so hieß Deine Vorgängerin, die ‚Herrin von Dernot‘, die Letzte dieses Hauses. Sie war die Großmutter August’s und hatte dem Enkel ihre Züge hinterlassen. Und als ich Dich gestern Abend in der Nähe sah,“ schloß er freundlich sie anblickend, „fand ich diese, wie gesagt, auch an Dir wieder.“

Sie sah zerstreut den Pfad entlang, der sich anmuthig, an jungen Ansamungen vorüber und über kleine, üppig grünende Blößen, dem über die ganze Westseite des Thales ausgebreiteten prachtvollen Hochwalde entgegenschlängelte. Und erst nach einer Weile versetzte sie gedämpft: „Von ihr erzählte Katharina mir gestern Abend, auch von dem Bilde, aber von der Aehnlichkeit sagte sie nichts. Es ist doch seltsam,“ setzte sie, zu ihrem Begleiter aufblickend, nach einer kleinen Pause hinzu, „daß ich die beiden Bilder gar nicht kenne. Warum sind sie nicht bei den anderen, oder wo überhaupt sind sie?“

„Der Vater liebte sie, wie ich glaube, nicht,“ entgegnete Leopold ruhig. „Ich erinnere mich zufällig, daß er einmal, da er in’s Zimmer meiner Mutter kam – oft geschah das nicht, Kind, die Eltern sahen sich meistens nur Mittags bei Tisch oder vielleicht Abends, eine derartige Bemerkung über die Bilder machte und sich verdrießlich abwandte.“

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_212.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)