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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 14.   1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.      Vierteljährlich 15 Ngr.      Monatshefte à 5 Ngr.


Die Herrin von Dernot.
Von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung.)


„Ganz richtig, Schwester,“ versetzte Joseph unverändert. „Er – denn ein Er war’s! – nahm die Lampe, die, wo der Corridor in den wüsten Flügel biegt, vernünftigerweise aufgestellt war, mit sich und verschwand richtig – um die Ecke. Nun frage ich aber ernstlich,“ fuhr er fort, „was heißt das? Wer hat zu dieser Stunde hier etwas zu thun? Wer war es? Von den uns bekannten Hausgenossen schien es keiner. Soll das nur für uns ein Geheimniß sein, oder ist’s auch eines für Meister Tobias und Dame Katharina?“

„Nun, Gott gnade uns, wenn auch Du anfängst zu phantasiren, denn was wär’ es sonst?“ fragte Eugenie mit einem fast etwas verdrießlichen Lachen. „Als ob’s hier nicht auch ohne Gespenster langweilig genug wäre!“

„Herrin von Dernot – hört Ihr das und laßt es Euch gefallen?“ rief er munter aus und wandte sich zu der Genannten, die während des mitgetheilten Gesprächs in der tiefen Fensternische gelehnt hatte und schweigend in den trüben Tag hinein sah – wir hätten vielmehr Abend sagen sollen; denn obgleich es noch nicht die Stunde war, schien die Dämmerung doch schon zu kommen, so tief hingen die Wolken auf das Thal herab und so fest verschleierte der einförmig fallende Regen jede Aussicht. – „Herrin, was beschließet Ihr über Euch und Eure Getreuen? Bleiben wir und fangen Gespenster, oder – fliegen wir in’s väterliche Nest zurück und sagen demüthig pater peccavi?“

Durch die stillen Züge und das träumende Auge des schönen Mädchens flog ein leises Lächeln. „Spottet Ihr nur!“ sagte sie dann, einen scherzhaften Ton versuchend. „Ich lasse mich nicht irre machen. Papa soll sehen, daß ich es ernst nehme mit meinem Besitz. Ich will ihn auch in schlimmen Tagen kennen und lieben lernen.“ Der Scherz hatte nicht Stich gehalten, die letzten Worte klangen schon wieder aus dem wunderbaren Ernst hervor, der plötzlich über das ewig heitere, neckische, ausgelassene Kind gekommen war. Und ohne weiter etwas hinzuzufügen, verließ sie jetzt das Gemach.

„Verstehst Du das? Was um Gotteswillen ist mit ihr?“ fragte Joseph, der ihr nachgeschaut hatte, erst nach einer langen Pause und mit forschendem Blick auf die unruhig auf und abgehende Schwester.

„Da frage nicht mich,“ erwiderte sie ungeduldig. „Sie hat einmal wieder ihren Kopf aufgesetzt – und dann wird niemand aus ihr klug. Vielleicht haben es ihr die Gespensteraugen der alten Katharina angethan. Aber gleichviel, ich verwünsche den Einfall, Tante Kunigunden und Herrn von Heimlingen durch- und dem Onkel zum Trotz gerade nach Dernot zu gehen. Wer weiß, wann wir sie wieder fortbringen!“

Inzwischen war Esperance durch den Corridor und über die dunkle Treppe in’s untere Geschoß gegangen und in das Wohnzimmer des Verwalters getreten, wo sie um diese Stunde ziemlich sicher sein konnte, Frau Katharina zu treffen. Die Matrone saß auch wirklich an ihrem Spinnrad in der Nähe des Fensters, durch welches man auf den Hof und gegen das alte Thor schaute. Und da das Mädchen eintrat, erhob sie das Auge von ihrem Geschäft und ein langer, tiefer, fast zärtlicher Blick begrüßte die junge Gebieterin. Es hatte sich in diesen wenigen Tagen zwischen Beiden ein gar eigenes Verhältniß gebildet – durch die Worte, die sie mit einander wechselten, erfuhr man’s kaum; aber der Ton derselben und wie die alte, stille Frau und das lebhafte schöne Kind so gern bei einander weilten, wie sie einander anschauten, und wie sich der Ernst und die Stille der Einen leise, leise in den Jugendglanz und die Jugendlust der Anderen drängte, das zeigte wohl, wie tief die beiden anscheinend so verschiedenen Naturen einander verstanden und sich immer fester anzugehören begannen.

„Laßt Euch nicht stören, Mutter,“ sagte Esperance, da die Frau bei ihrem Eintritt den Fuß auf dem Trittbret ruhen ließ, – mit der Anrede hatte das Mädchen die Alte schon am ersten Abend begrüßt, obgleich sie auch in diesem Augenblick noch nicht wußte, ob die Verwalterin jemals Kinder gehabt hatte. „Ich komme nur ein wenig zu Euch,“ fuhr sie fort, sich auf den Stuhl in der Fensternische setzend, „weil mir die Anderen oben Dernot immer entleiden wollen. Ihr aber habt es lieb, und ich liebe es auch schon und möchte gar nicht wieder fort.“ Und nachdem sie das dunkele Köpfchen stützend einen Augenblick auf den dämmernden, todtenstillen Hof mit seinen dunklen alten Gebäuden hinausgesehen, fügte sie leise hinzu: „Lustig und heiter wird’s hier freilich auch wohl nicht, wenn die Sonne hereinblickt – man muß, es lieb haben, wie es ist.“

Zwischen dem Summen des Spinnrades versetzte die Matrone gedämpft: „Das ist recht, Fräulein. Da sind Sie eine echte Dernot. Freude und Lust darf man hier nicht suchen, aber das thut nichts. Die hierher gehören, haben doch ihr Herz nicht abwenden können.“

Esperance’s Augen ruhten ein paar Secunden lang träumerisch auf der alten Frau, bis sie leise und fast ein wenig bewegt sagte: „Mutter, das klingt beinah, wie der alte unfreundliche Müller zu mir sprach – es that mir weh, und ich bringe es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_209.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)