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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

zufällig, ebenso wie den Kopf des Kladderadatsch, den ein junger Kaufmann gezeichnet, in einem Leipziger Verlag im Holzschnitt fand und so glücklich war, für den Kladderadatsch zu acquiriren. Er hat ferner den Quartaner „Karlchen Mießnik“ geschaffen und liefert außerdem fast sämmtliche prosaische Artikel im Berliner Dialekt, Parodien, travestirte Novellen und die „Sprüche der Weisheit“, für die sein Vorgänger und Namensvetter Ludwig Kalisch ihm die Form und das Muster gab. Auch hat er den „Kladderadatsch-Kalender“ in’s Leben gerufen, den „Kladderadatsch zur Industrie-Ausstellung in London“, so wie die ersten Bände von „Schulze’s und Müller’s Reisen am Rhein und im Harz“ geschrieben.

Dagegen ist Rudolph Löwenstein der Poet des Blattes; der sinnige Dichter der Kinderlieder versteht nicht nur zu scherzen, sondern auch zu rühren. Mit der Pritsche und Schellenkappe verbindet er ein tieferes Gefühl, selbst eine gewisse schwärmerische Weichheit. Er ist Meister der Form und handhabt den Reim mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit. „Prudelwitz und Strudelwitz“, die beiden Typen eines bornirt blasirten Junkerthums, sind seine Geschöpfe, und nebenbei giebt er häufig die Idee zu den Illustrationen an. Ernst Dohm aber führt die Redaction mit jenem feinen Tact und einer universellen Bildung, denen der Kladderadatsch hauptsächlich seine allgemeine Verbreitung und Bedeutung verdankt. Seine Kenntnisse, seine classische Erziehung und die kritische Schärfe seines Geistes stellen ihn naturgemäß an die Spitze des Blattes und verleihen seinen Arbeiten, selbst dem kleinsten Gedicht, einen eigenthümlichen Reiz. Die meisten seiner Leistungen besitzen einen dauernden Werth und seine Poesien sind Gelegenheitsgedichte im Sinne Goethe’s, „Stimmungslieder der Zeit“ in vollendeter Form, reich an Gedanken und geistsprühenden Pointen. Er ist, wenn auch nicht der originellste, doch wohl der gelehrteste unter den Gelehrten des Kladderadatsch.

Zu diesen gesellt sich noch Wilhelm Scholz mit seinem Talent als Zeichner. Seine meist nur flüchtig hingeworfenen Skizzen bekunden eine unerschöpfliche Fülle von komischen Einfällen und witzigen Motiven. Mit scharfem Blick faßt der Künstler das Lächerliche der Personen und Zustände so sicher auf, daß nur wenige Striche genügen, um stets das Charakteristische, den humoristischen Kern darzustellen. Selbst in seinen übermüthigen Chargen und Caricaturen verleugnet er nie die Natur und sogar aus der lustigen Maske blickt uns die Wahrheit entgegen. Seine angeborene Liebenswürdigkeit im Leben weiß er auch auf seine Illustrationen zu übertragen, so daß seine kecksten Bilder uns nicht so leicht verletzen. Andere Zeichner sind gewiß freier, vollendeter in der Ausführung, tiefer und gediegener in der ganzen Conception, aber nur wenige werden sich mit Scholz an Geist, Frische und ursprünglichem Humor messen können.

Das sind die Gelehrten des Kladderadatsch, dessen Geschichte eine culturhistorische Bedeutung hat, trotzdem wir auch die Schattenseiten des Blattes nicht verkennen. Daß ein so erfolgreiches Blatt wie der Kladderadatsch vielfache Nachahmungen hervorgerufen hat, ist natürlich; unter allen diesen Nachahmungen hat sich indeß bis jetzt nur eine lebenskräftig gezeigt – es sind die in Hamburg erscheinenden „Wespen“.




Die Fortschrittspartei auf dem Katheder.
1. Ein Jubilar.


Durch die Straßen von Berlin leuchtete ein glänzender Fackelzug der studirenden Jugend und erhellte die dunkle Nacht am 15. März 1867. Kopf an Kopf gedrängt wogte ein Menschenmeer vor dem Hause des Mannes, dem das seltene Glück zu Theil geworden, das sechszigjährige Doctor-Jubiläum zu feiern. Im Kreise seiner Familie und seiner Freunde, zu denen die Elite der Wissenschaft zählt, stand der würdige Greis und blickte freudig und gerührt auf das großartige Schauspiel, womit seine Schüler und Mitbürger ihn und sich selbst ehrten. Der Fackelzug gewann eine symbolische Bedeutung, denn sein Geist hatte diese strebsame Jugend entzündet und ein helles Licht war von ihm zu allen Zeiten ausgegangen, das Licht der Wissenschaft, der Humanität und der Freiheit. Deshalb war diese Feier eine so allgemeine, ein wahres Volksfest im schönsten und besten Sinne. Nicht nur die Universität und die Akademie, sondern ganz Berlin brachte dem würdigen Jubilar die wohlverdienten Huldigungen dar. Vom König auf seinem Thron bis zum jüngsten Studenten wurde an diesem Tage der Name August Böckh mit der höchsten Achtung und Anerkennung genannt.

Wenige Gelehrte haben aber auch einen ähnlichen Standpunkt als Mensch und Bürger eingenommen, wenige wie Böckh mit der Wissenschaft den lebendigen Geist des Fortschrittes, den unbestechlichen Sinn für Wahrheit, den unerschrockenen Muth der inneren Ueberzeugung zu vereinen gewußt. Seine Studien und Forschungen im Gebiete der Philologie beschränken sich nicht auf noch so werthvolle Entdeckungen in den alten Sprachen, auf Herausgabe ihrer classischen Schriftsteller, auf den gelehrten Apparat, sondern sie drangen in die Tiefe, in den Geist des Alterthums, in das innerste Leben einer großen Vergangenheit. In ihr suchte und fand er die herrlichsten Schätze für die Gegenwart, sprechende Zeugen und Urkunden, erhabene Beispiele, anschauungswerthe Institutionen, die Grundbedingungen für das Gedeihen und die Wohlfahrt der Staaten und der Völker unserer und aller Zeiten.

Und was er hier gefunden, verbarg er nicht aus Furcht vor den Mächtigen; aus irgend einer menschlichen Schwäche verhüllte er nicht vor profanen Blicken, sondern er zeigte der ganzen Welt, vor allem Volke, das von ihm aus dem Schutte von Jahrhunderten herausgegrabene, mit unsäglicher Mühe von Moder und Wust gereinigte Bild eines durch die Freiheit blühenden Staatswesens, einer echten und wahren Demokratie. In seinem „Staatshaushalt der Athener“ führt er uns in die Volksversammlung, zu der jeder Bürger freien Zutritt hatte, in die Berathungen der Staatsmänner, deren Beredsamkeit uns mit Bewunderung erfüllt, in den Gerichtshof, wo das ganze Volk Theil nahm und seine höchsten Beamten und Würdenträger zur Verantwortung zog, in das kriegerische Lager, wo Greise und Jünglinge, die Vornehmsten und Geringsten für das Vaterland zu kämpfen und zu sterben bereit waren. Mit bewunderungswürdigem Scharfsinn deckt er die Quellen des Nationalwohlstandes der Athenienser auf, giebt er uns ein anschauliches Bild von Handel und Wandel, von Maß und Gewicht, der Besteuerung und der Steuervertheilung dieser alten Republik, welche in vielen Beziehungen noch heute uns zum Muster dienen kann.

Aber die innige Berührung mit dem Alterthum hat Böckh keineswegs seiner eigenen Zeit entfremdet, sondern ihm nur die Bürgertugenden und humanen Anschauungen der antiken Welt für die Gegenwart verliehen, ihn im eigentlichen Sinne zum Bürger zweier Welten gemacht, dessen Geist in den schönen Gefilden Griechenlands, dessen Herz in unserer Mitte weilt, an unserem Kämpfen und Streben den lebendigsten Antheil nimmt und mächtig für das Wohl und Wehe des Vaterlandes schlägt. Wie seine erhabenen Vorbilder ist er vor Allem Mensch und Bürger seiner Stadt und des Staates, übt er jede Pflicht, dünkt er sich weder zu vornehm, noch zu hoch, um sich mit gelehrtem Dünkel über die Parteien zu stellen und sich von der Welt und ihren Forderungen abzuschließen; Meister des Wortes, mit dem reichsten Wissen und der classischen Form begabt, hat er seine Stellung als Professor der Beredsamkeit an der Universität oft dazu benutzt, um ohne Menschenscheu furchtlos seine Meinung auszusprechen und vor Allem für die Freiheit der Wissenschaft sein gewichtiges Wort in die Wagschale zu legen, selbst zu einer Zeit, wo ihre „Umkehr“ von maßgebender Stelle dringend gefordert wurde. Darin steht der Gefeierte gleich groß als Gelehrter und Bürger da, darum ist sein Jubiläum ein Fest nicht nur für die Universität und gelehrte Welt, sondern für das ganze Volk, nicht nur für Berlin, sondern für das gesammte Deutschland, darum darf die Geschichte seines Lebens und seiner geistigen Entwickelung auf die Theilnahme aller Gebildeten Anspruch machen.

Es kann indeß nicht Aufgabe der Gartenlaube sein, noch eine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_206.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2017)