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unwiderstehlich etc. etc. ad infinitum. Ist aber die Lucca „schlecht aufgelegt“, dann mag sie allerdings denen, die ihr in die Quere kommen, nicht graciös und liebenswürdig erscheinen und ihrem schönen Munde mögen, wenn sie in Zorn geräth, Donnerworte entrollen, die mitunter an die mythischen Traditionen des Wiener „Schanzl“ erinnern.[1] Sie ist eben ein Unicum, und als solches muß man sie gelten lassen.

H. Ehrlich.




Die Geschichte des Kladderadatsch.


Alle Geschichte beginnt bekanntlich mit Mythenbildung und hüllt sich in ein gewisses feierliches Dunkel. So ergeht es auch dem bekannten Witzblatt „Kladderadatsch“, da schon heute die Sage seinen Ursprung mit ihren bunten Fabeln schmückt. Bald läßt ihn dieselbe aus dem sogenannten „Rütli“, einer zwanglosen Gesellschaft witziger Literaten und geistreicher Lebemänner in Berlin, hervorgehen, bald gleich der bewaffneten Minerva aus Einem Haupte, aus dem Kopf eines speculativen Buchhändlers oder Humoristen entspringen.

Ein glücklicher Zufall gestattet uns, die Geschichte des Kladderadatsch von allem mythischen Beiwerk zu reinigen und der Wahrheit gemäß darzustellen. Unsere Quelle ist ein bisher unbenutztes Actenstück von fast amtlichem Charakter. Der Urheber desselben war ein bekannter, talentvoller Publicist, der unter Hinckeldey’s Herrschaft eine einflußreiche Stellung in dem sogenannten „Druckschriften-Bureau“ bekleidete und in dieser Eigenschaft vielfach mit dem Kladderadatsch in Berührung kam. Nicht nur ein officielles, sondern weit mehr noch ein persönliches Interesse fesselte ihn seit dem Beginn an das witzige Blatt, dem er bis zu seinem Tode ein Freund und Gönner blieb. Dieses Verhältniß mochte ihn wohl veranlaßt haben, ein eigenes Tagebuch über Entstehung, Schicksale und Verbreitung des Kladderadatsch zu führen, worin er die wichtigsten Momente mit historischer Treue verzeichnet hat. Seine durchaus glaubwürdigen Angaben liegen den folgenden Mittheilungen zu Grunde und werden nur hier und da aus anderen Quellen ihre Ergänzung finden, wo dies nöthig scheinen sollte.

Im Monat Mai des Jahres 1848 entstand Kladderadatsch in dem Kopfe des bekannten humoristischen Schriftstellers und Possendichters David Kalisch. Die Idee lag gleichsam auf der Straße, der Stoff in der Luft. Die März-Revolution hatte das alte System gestürzt. Die ganze bürgerliche Ordnung, der Staat, die Gesellschaft befand sich in einem Stadium der Zersetzung und Neubildung. In den Straßen herrschte die Anarchie, in den Fürstenschlössern die Furcht, in den Ministerhotels Zweifel und Rathlosigkeit, in den politischen Clubs und Volksversammlungen die geschwollene, inhaltsleere Phrase.

Eine zersetzende Kritik, das Kind Hegel’scher Sophistik und Heine’scher Frivolität, vereinigte sich mit dem kecken Berliner Witz und schuf eine neue Literatur, welche bald als „Placat“ an den Straßenecken prangte, bald von fliegenden Buchhandlern geschäftig colportirt wurde und unter dem Schutze der eben erst errungenen Preßfreiheit mit gleicher Rücksichtslosigkeit Personen und Zustände geißelte. Der Gedanke lag wohl nahe, diese zerstreuten Stimmen zu einem Chor, die zerstiebenden Witzstrahlen in einen Brennspiegel zu vereinigen, und David Kalisch, der bereits vor den Märztagen in seinen „Hunderttausend Thalern“ die politische Satire und das Couplet mit Erfolg auf die Bühne gebracht hatte, war auch ganz der geeignete Mann dazu.

Ein längerer Aufenthalt in Paris, wo er mit Heine und Proudhon persönlich in Berührung kam, mit den Socialisten Marx, Wolf, Karl Grün und mit dem Dichter Herwegh verkehrte, trug dazu bei, seinen politischen und socialen Gesichtskreis zu erweitern, während das Leben, die Theater, die Gesellschaft und die Literatur des modernen Babel einen nachhaltigen Einfluß auf ihn übten, ihn geeignet machten, die französische Leichtigkeit, Schlagfertigkeit, den Esprit und vor Allem das Couplet mit dessen scharfen Pointen und Spitzen in sich aufzunehmen und mit angeborenem Talent auf unsere deutschen Zustände zu übertragen. Dazu kam noch später in Berlin seine Bekanntschaft mit Bruno Bauer und der sogenannten Hippel’schen Clique, den letzten Ausläufern des Hegel’schen Systems und einer die Welt verachtenden Kritik. So waren ihm die Elemente und zum Theil auch die Form gegeben, die er noch mit geschickter Benutzung seiner Vorgänger, besonders der „Narrhalla“, einer von dem talentvollen Ludwig Kalisch, welcher nicht mit ihm verwechselt werden darf, in Mainz herausgegebenen Carnevals-Zeitung, zu ergänzen und zu erweitern suchte.

Mit dem vollständigen Manuscript der ersten Nummer und mit dem Titel „Kladderadatsch“, was so viel als allgemeine Auflösung oder Bankrott bedeutet, trat Kalisch eines Tages in das Geschäftslocal des Buchhändlers Albert Hofmann, der damals vorzugsweise humoristische Literatur verlegte, und bot demselben das neue Unternehmen an. Dieser schwankte und forderte einige Tage Bedenkzeit. Nach Ablauf der Frist entschloß er sich, das projectirte Blatt in Commission zu nehmen, wenn der Autor sich verpflichten wollte, die Kosten für Druck und Papier zu tragen. Das Honorar wurde vorläufig auf einen Friedrichsd’or für die Nummer festgesetzt. In den nächsten Tagen riefen die fliegenden Buchhändler zum ersten Mal in den Straßen von Berlin: „Kladderadatsch, Kladderadatsch!“ Das Publicum kaufte aus Neugierde das neue Blatt, las, lachte über den witzigen Leitartikel, amüsirte sich besonders mit der Novelle „Elwine“, welche in pikanter Form die Abenteuer einer damals vielgenannten Schauspielerin erzählte. Mit jeder Nummer stieg der Beifall, wuchs die Zahl der Freunde, aber auch der Gegner, da Kladderadatsch nach allen Seiten unparteiisch seine Hiebe austheilte.

Die Kühnheit, womit er Alles angriff, bedrohte schon in den ersten Tagen seines Daseins die fernere Existenz des kaum geborenen Kindes und dessen junges Leben schwebte in ernstlicher Gefahr. Ein Witz auf die Berliner Bürgerwehr reizte das bewaffnete Philisterthum eben so sehr, wie den wüthenden Stier der Anblick eines rothen Lappens. Eine Anzahl ergrimmter Bürgerwehrmänner drang in die Wohnung des Buchhändlers Hofmann und wußte diesen durch Drohungen zu der Erklärung zu bestimmen, den Debit des Kladderadatsch aufzugeben und sich von dem ganzen Unternehmen zurückzuziehen. Vergebens suchte Kalisch nach einem andern Verleger, Niemand wollte das Wagstück unternehmen und sich der Gefahr aussetzen, bis sich Hofmann durch wiederholte Bitten endlich bewegen ließ, noch einen Versuch zu machen.

Von dieser gefährlichen Krisis erholte sich Kladderadatsch in kurzer Zeit und wuchs an Geist und Körper, indem er, an Witz und Abonnenten zunehmend, außerdem eine frische, bedeutende Kraft an dem Zeichner Wilhelm Scholz gewann. Dieser war ein echtes Berliner Kind und hatte sich bereits als Mitglied des „Rütli“ in der von dieser Gesellschaft herausgegebenen Privat-Zeitung und durch die im Verein mit Kossak veröffentlichte humoristische Beschreibung der letzten Kunstausstellung einen Namen erworben. Ursprünglich zum Maler bestimmt und Schüler des eleganten Hofmalers, Professor Wach, zeigte er ein größeres Talent für die komische, als für die ernste Seite seiner Kunst, indem er statt schwindsüchtiger Märtyrer und langweiliger Ritter derbe Caricaturen und ausgelassene Chargen lieferte. Es war daher die glücklichste Wahl, ein wirklich kühner und gelungener


  1. „Am Schanzl“ ist der Platz zwischen der ehemaligen Rothenthurmbastei und dem an der Kettenbrücke gelegenen Theile des Donauarmes, der die Leopoldstadt und Jägerzeile von der innern Stadt trennt. Wahrscheinlich stand dort einst eine kleine Schanze, wie das Diminutivum „Schanzl“ schließen läßt. Dort war in früheren Zeiten ein Obstmarkt, dort thronten auf hohen Hökerstühlen die hehren Dryaden, die als „Schanzelweiber“ gleich den „Müttern“ des Faust schon durch ihren Namen heilige Scheu einflößten. Dort wirkte noch vor fünfundzwanzig Jahren die in ihrer Art unerreichte „Zweschzenliesel“, von der die Sage erzählt, sie habe dem Kaiser Franz, dem Großvater des jetzigen, als er in seinem schlichten Civilrocke – er trug nie einen andern – unerkannt bei ihr „Plutzerbirn“ kaufen wollte und sie fragte: „Wern’s denn auch gut sein?“ im junonischen Zorne über diesen leisen Zweifel in ihre Waare die Antwort entgegengeschleudert: „Schmeck’s, Kropfeter!“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_203.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2017)