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fettes Schaf geschlachtet und zubereitet, dann gemeinschaftlich verzehrt. Zum Nachtisch folgt Thee in chinesischem Porcellan, dazu getrocknete Aprikosen und Rosinen, aus den südlichern Ländern zugeführt. Der Sultan nimmt seinen Thron ein, ein kostbares Möbel aus schönem Holz und Elfenbein geschnitzt und mit edlen Metallen geziert, von Urväter Zeiten herstammend. Bei der Wanderung des Auls wird dies wichtige Kleinod von einem besondern Kameele getragen. Leitet der Besitzer seine Abstammung von Dschingiskhan, dem bekannten großen Eroberer, her, so zieren den Thron und die Pelzkappen der Sultansfamilie Eulenfedern, – führt das Herrschergeschlecht seinen Stammbaum bis auf Timur Tamerlan zurück, so treten Pfauenfedern an jene Stelle. In der Nacht, wenn das Lagerfeuer einen matten, düsterrothen Schein verbreitet und malerisch die ringsum lagernden Nomaden beleuchtet, ergreift wohl der Barde des Auls, der Hofsänger des Sultans, die Balaleika und besingt aus dem Stegreif Leben und Poesie der Steppe in milden, weichen Weisen.

Gewiß, die Steppe hat ihre Reize, das Leben der Nomaden hat seine Poesie und seine Herrlichkeiten, – doch besehen wir uns jetzt auch die dunkele Kehrseite des patriarchalischen Zustandes. Tritt man am Abend hinein in die gastliche Jurte, in der man zu übernachten beabsichtigt, so darf man nicht zartnervig sein, sonst ist man verloren. Etwa ein Dutzend Menschen hocken im Innern des schwarzen Filzzeltes am Boden beisammen; der Regen hat sie zuvor durchnäßt, er sickert noch nachträglich zwischen den Filzdecken hindurch. Ein paar Ziegenlämmchen und einige Hunde liegen zwischen den Menschen und helfen durch ihre Ausdünstung die Luft noch dicker machen, als sie ohnedem schon ist. Die Zeltklappe in der Spitze ist geschlossen, die Thür durch dicke Filze verhängt, um den Wind abzuhalten. Die Umgegend bietet keine Spur von Holz, denn die Steppe hat keine Bäume, nur stellenweise einiges niedrige Gestrüpp. Kameeldünger, von den Kirgisenfrauen zu Kuchen geknetet, dient als hauptsächlichstes Brennmaterial.

Wir wollen nicht vorwitzig sein, nicht in die Geschirre schauen, welche zur Aufbewahrung und Herstellung der Speisen gebraucht werden. Es muß ein sehr beherzter Mann sein, der seine Nase zum zweiten Male einem der ledernen Melkeimer nähert. Auswaschen schadet dem Wohlstande! gilt als Hauptregel der Wirthschaft. Wasser ist in der Steppe oft ein seltener, höchst kostbarer Artikel, Leibwäsche ein unbekanntes Ding. Jeder Rock des Kirgisen hat zwei Seiten; ist die eine zu schmutzig und abgetragen, so wird das Kleid umgewendet, bis beide verbraucht sind. Ungeziefer gehört mit zur Familie. Niemand wird sich Gesicht oder Hände mit Wasser benetzen, schlimm genug, wenn der Regen so rücksichtslos ist es zu thun. Die eigentliche Farbe des Teints ist deshalb bei den kirgisischen Schönen schwierig zu beurtheilen. Kleinere Kinder laufen völlig nackt umher oder behängen sich nothdürftig mit den Fetzen eines Schaffelles. Nachts lagern sie sich in die warme Asche; als Schutzmittel gegen die Mücken nehmen sie auch wohl ein Schlammbad wie die Neger am weißen Nil.

So glühend heiß im Sommer die Steppen sind, so bitter kalt sind sie im Winter. Der Buran, der furchtbare Schneesturm, wirbelt Sand- und Schneemassen daher und droht Tod und Verderben. Die Heerden werden scheu; die Thiere rennen wild schnaubend mit dem Winde davon, wenn es den Hirten nicht gelingt, sie in einem geschützten Thale zum Stehen zu bringen. Sie sinken endlich ermattet nieder und kommen um oder sie stürzen in halbverschneite Klüfte. Nicht selten faßt der jähe Windstoß eine Filzjurte, stürzt sie um und zerstreut ihren Inhalt. In der Finsterniß der Nacht ist Hülfe kaum möglich, manches Kind wird buchstäblich davon gerollt; nach Tagen erst findet man es unter dem Schnee erstarrt als Leiche wieder. Die Horden der Nomaden halten sich wie die Stämme der amerikanischen Rothhäute immer auf einer mäßigen Kopfzahl. Die Sterblichkeit der Kinder ist außerordentlich groß; sie wird herbeigeführt durch die Mühseligkeiten des Wanderlebens.

Folgen sich mehrere günstige Jahre mit verhältnißmäßig milden Wintern, so nehmen die Heerden und mit ihnen der Wohlstand der Nomaden bedeutend zu. Es können ansehnliche Mengen Vieh sowohl nördlich an die Russen, wie auch an die südlichen Nachbarn verkauft werden. Ein einziger harter Winter dagegen bringt sie nicht selten wieder an den Rand des Verderbens. Der Kirgise kennt keinen Ackerbau und keine Wiesencultur. Er bezieht sein Mehl und seine Hirse von den Nachbarn. Er baut keine Futterkräuter und sammelt kein Heu für sein Vieh. Sogar bei hohem Schneefall überläßt er es den Thieren, sich selbst die dürftigen Kräuter unter der gefrorenen Kruste hervor zu scharren. Dann schmilzt freilich nicht selten eine Roßheerde von Tausenden auf wenige Häupter zusammen. Haufen von Rinderleichen und Schafcadavern bezeichnen im Frühjahr die Lagerstätten.

In den Schluchten der südlichen Gebirge ist während des Winters der Aufenthalt mit den Heerden unmöglich. Nicht nur, daß dort der Schnee viel früher sich aufhäuft und später wegthaut, hier verfangen sich die von der Steppe hereinbrausenden Stürme in einer wahrhaft grauenvollen Weise. Sie wüthen dort so arg, daß die Nomaden allen Ernstes behaupten: die Dämonen der Steppe verbündeten sich mit Schaitan (Satan), dem Teufel der Kirgisen, und führten Krieg mit den Gespenstern der Gebirge. Das Heulen des Sturmes ist zu Zeiten grausig; stellenweise trifft man ganze Waldungen von Pichta- und Arvenkiefern in den oberen Gebirgsthälern zerbrochen und zusammengestürzt. Man vermuthet, daß die Baumlosigkeit der weiten Steppe durch jene Orkane herbeigeführt sei.

So grauenvoll aber die Unbilden der Witterung für die wandernden Hirten auch sind, die keinen andern Schutz haben als das Filzzelt, so sind sie doch nicht das schlimmste der Uebel. Auch die Wölfe sind es nicht, die in Rudeln herumschweifen, auch nicht die Tiger, die einzeln selbst bis zum Irtisch vordringen. Das größte Unglück für jene Völker sind ihre eigenen Sitten, vorzüglich die Raubzüge (Barantas), die gleich einem Krebsschaden von einer Generation auf die andere vererbten und durch die Macht der Gewohnheit leider in den Augen der halbwilden Reiter selbst zu einer Ehrensache geworden sind. Das junge Geschlecht wird durch die Lust an Abenteuern dazu veranlaßt. An Ursachen zu Händeln fehlt es nicht. Verlaufenes Vieh, streitige Weideplätze, eine entführte Geliebte, für welche dem Schwiegervater der Kalym, das mitunter sehr hohe Brautgeld, nicht bezahlt ist, eine Viehseuche oder ein harter Winter, welche die eigenen Heerden so herunter gebracht haben, daß sie nicht mehr zur Existenz der Leute ausreichen, u. dgl. geben den ersten Anstoß dazu, einen andern Aul zu überfallen und – ein wenig Vieh wegzutreiben. Mord wird nicht beabsichtigt, kommt aber gar zu leicht vor, wenn die Angegriffenen, wie natürlich, ihr Eigenthum vertheidigen. Blut kann nur durch Blut gesühnt werden; es entspinnen sich hieraus Kämpfe zwischen benachbarten Horden, die sich von einer Generation auf die andere vererben und nicht selten entweder erst mit der Vernichtung des einen Stammes oder mit der völligen Erschöpfung beider endigen. Jeder Begegnende, Jeder, der sich einem Aul naht, gilt zunächst als Feind. Keine Nacht darf man sich unbesorgt einem sichern Schlafe überlassen. Ein permanenter Kriegszustand Aller gegen Alle ist so ziemlich die Regel.

Bekanntlich theilen sich die Kirgisen in die kleine, mittlere und große Horde, von denen die beiden ersten in den russischen Steppen umherschweifen, die letztere frei in Turkestan lebte. Zwischen den Gebieten der großen und mittlern Horde befand sich ein Landstrich, der zum Zankapfel zwischen beiden Kirgisenstämmen ward. Die Russen wurden zu Schiedsrichtern angerufen, machten zum Schein einen Versöhnungsversuch, der ohne Erfolg blieb, und errichteten bei dieser Gelegenheit dort das Fort Kopalsk, das sie mit einer Batterie armirten. Zu spät erkannten die Kirgisen den politischen Fehler, den sie gemacht hatten. Sechs- bis siebentausend Reiter der großen Horde griffen in zwei Abtheilungen nach Art ihrer Barantas den kleinen Kosakenposten an, allein eine gutgezielte Kartätschenladung und dann als Abschiedsgruß noch einige Vollkugeln beendigten den ganzen Kampf. Die Karakirgisen (die Schwarzen) in den Gebirgen, langjährige Feinde der großen Horde, begrüßten die Russen als Freunde, verbündeten sich mit ihnen und riefen nachher den Schutz derselben gegen den Herrscher von Taschkend und Kokand an. Hierdurch wurden die ernsteren Kämpfe herbeigeführt, welche im verflossenen Sommer die Herrschaft der Russen bis zum Syr Darja ausdehnten.

Schon in den wenigen Jahren, in denen die Russen am Balkasch und Issik-kul, am Alatau und Karatau ihre Macht befestigten, haben sich die oben geschilderten wirren Verhältnisses bedeutend gebessert. Die Nomaden haben sich theilweise schon bewegen lassen, feste Wohnungen zu bauen, Bewässerungen der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_199.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2017)