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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und Blutlachen erfüllt war, brachen die Banden, von keiner deutschen Macht gehindert, herüber in die Fluten des rechten Rheinufers, um in gleicher Weise auch hier die königliche Wüste zu vollenden. Schon lagen Mannheim, Oppenheim und Ladenburg, Weinheim, Heppenheim und Durlach, Bruchsal, Rastadt und Germersheim, Baden, Bretten, Pforzheim und Heidelberg in Asche, und noch zeigten die Franzosen ein Verzeichniß von mehr als zwölfhundert Städten und Ortschaften auf, die, zu gleichem Schicksal bestimmt waren. Ja, so hatte die Feuerwuth diese Menschen ergriffen, daß sich Banden, mit oder ohne königlichen Auftrag, bis nach Franken und selbst nach Böhmen wagten, nur um die schönsten Städte des Reichs in Flammen aufgehen zu lassen. Selbst in Prag ergriff man Mordbrenner, die von französischen Emissären dorthin gesandt waren und dort vierhundert Häuser in Asche gelegt hatten.

Aus der Pfalz brachen die französischen Brand- und Raub-Colonnen in Schwaben ein. Der schwäbische Kreis, die schwäbischen Bestandtheile des jetzigen Baden, Würtemberg, Hohenzollern und Baiern umfassend, bestand damals aus etwa neunundneunzig souveränen Herrschaften, darunter das geistliche Fürstenthum Constanz als südliche, das Herzogthum Würtemberg als nördliche Großmacht und dazwischen Fürstenthümer, Markgraf- und Grafschaften, Prälaturen, Ritterschaften und Republiken von der mächtigen freien Reichsstadt Augsburg bis zum Freireichsstädtchen Bopfingen, und alle diese, selbst in äußerster Gefahr, unter einen Hut zu bringen, gelang weder den kreisausschreibenden beiden Großmächten, noch dem Kaiser. Jeder Einzelne dieser Kleinmächtigen unterhandelte lieber mit dem Feinde, während er den Nachbar verderben ließ, als daß alle sich zu gemeinsamem Widerstand aufgerafft hätten.

Leider allen voran ging darin die Würtembergische Regierung, die damals, weil der Landesfürst noch unmündig war, unter einem Administrator stand, dem Herzog Friedrich Karl, den der Kaiser selbst erst noch vor der Zeit mündig sprechen mußte. So regierten denn die Räthe und die Weiber, und diese gaben, um das geliebte Stuttgart zu retten, nicht nur den Hohenasperg mit seinen reichen Waffen, sondern Stadt um Stadt den Franzosen preis, überall erschienen die herzoglichen Commissäre als Unterhändler mit den Franzosen, und zwar trotz des Willens der Bürger und Bauern, Hab und Gut, Freiheit und Ehre mit dem Schwert zu vertheidigen, bis endlich Stuttgart selbst dem allgemeinen französischen Lug und Verrath zum Opfer fiel. Und dieser Zeit gehört die That an, zu deren Erzählung wir theilweise die vortrefflichen „Bilder aus der Geschichte Schwabens“ von Hermann Kurz zu Grunde legen.

Ganz Nordschwaben war in französischer Gewalt, nur die freundliche Stadt und gute Festung Schorndorf im Remsthale hielt sich noch. Sie galt als ein Kleinod Würtembergs, und die Bürger von Schorndorf wußten das und fühlten ihren Werth. In diesem Augenblick, im December 1688, mußte auf sie das völlig unterjochte Würtemberg seine letzte Hoffnung setzen, denn Schorndorf beherrschte nicht nur das Ulmer Thal, sondern auch den ersten Paß an der Donau, woher das endlich rüstende Reich dem Lande allein Hülfe bringen konnte.

Die französischen Heerführer saßen im goldnen Adler zu Eßlingen und schrieben bereits die Winterquartiere in ganz Würtemberg aus, denn sie waren versichert, daß die herzoglichen Commissäre vom Stuttgarter Geheimrath ihnen die Thore von Schorndorf auf dieselbe höfliche Weise öffnen würden, wie sie dies, Alles um Stuttgart zu retten, im übrigen Lande gethan.

Da trat ihnen Zweierlei entgegen: ein ganzer Mann und eine ganze Frau.

Der ganze Mann war der Festungscommandant Oberst Peter Krummhaar. Obwohl vom Herzog-Administrator, der zu Regensburg verweilte, ihm der Befehl zugegangen war: „zwar den Posten nicht gleich zu übergeben, doch auf die Extrema es auch nicht ankommen zu lassen, sondern auf den Nothfall sich mit der Auswahl aus der Stadt in das Schloß zu ziehen, wo er endlich capituliren könnte,“ – so hielt er doch seine Ehre höher, als des schwachen Herrn Befehl. Um so weniger konnten die zwei herzoglichen Commissäre, welche die von den Franzosen hart bedrängten Geheimenräthe von Stuttgart nach Schorndorf zur Betreibung der Uebergabe entsendeten, seinen festen Sinn ändern.

Freitag, den 14. December, so erzählt Kurz, erschienen nämlich der würtembergische Hofjunker von Hoff und der Kriegs- und Kirchenrath Tobias Heller bei dem Commandanten und dem Magistrat, um über einen Gegenstand zu verhandeln, der vor der Bürgerschaft geheim gehalten werden sollte. Sie stellten Beiden vor, daß die Franzosen gedroht hätten, Stuttgart „aus dem Sarge heraus“ zu verbrennen, wenn Schorndorf nicht übergeben würde. Ihnen antwortete Krummhaar: „Laßt sie immerhin brennen und plündern, wenn sie es mit gutem Gewissen thun können. Ich kann um dieser Drohung willen noch lang nicht diese Festung so liederlich übergeben.“ – Wie er bei Melac’s erstem Herannahen entschlossen die Thore gesperrt, so hatte er klugerweise sich bei Zeiten mit ausreichender Mannschaft versehen, indem er aus der Stadt und aus den umliegenden Ortschriften, die „ihr Armüthlein hinein geflehnet“, die tüchtigen Leute an sich zog. Es wird berichtet, daß er und seine Schaar einander feierlich zugeschworen, bis auf den letzten Blutstropfen beisammen auszuhalten.

Dennoch sah es mißlich für das tapfere Häuflein aus. Wie erbittert auch im Allgemeinen das schwäbische Volk gegen die Feinde und gegen die eigenen Regierungen war, die ihm Höflichkeit gegen die Franzosen vorschrieben, obwohl man längst aus der Erfahrung der Nachbarn wußte, „daß alle erwiesene Höflichkeit an ihnen vergeblich gewesen“, – so äußerte doch in jeder Stadt auch eine Unterwerfungspartei ihren Einfluß und sammelte die schwachen Gemüther oft zum großen Haufen um sich. Der eigenen Regierung in diesem Fall unterthänigst zu Willen, suchten namentlich die Hochmögenden und Reichen den Sturm von außen ohne Widerstand über sich hinüber gehen zu lassen, und dieses Unheil drohte auch in Schorndorf die Kraft des Commandanten zu lähmen. Hatten doch „Untervogt, Burgermeister und Gericht allda“ hinter Krummhaar’s Rücken auf Melac’sche Brandordres geheime Lieferungen nach Eßlingen abgehen lassen.

Nur ein einmüthiges Beitreten der Bürgerschaft konnte den braven Commandanten aus dieser Lage befreien, – hierzu mußte die Bürgerschaft den Sammelpunkt in ihrer eigenen Mitte finden, – und sie fand ihn in der ganzen Frau, die plötzlich zu dem ganzen Manne trat: in der Frau des Bürgermeisters selbst, der die geheimen Lieferungen mit besorgt und den Stuttgarter Commissären ein nur allzu williges Ohr geliehen hatte.

Frau Künkele oder Künkelin wird von den Zeitgenossen als eine nicht allzugroße, dabei äußerst thätige, muthvolle, gescheide und zugleich reiche und angesehene Person geschildert. Sie stand damals in ihrem fünfzigsten Jahr. In jenen Zeiten besaß eine Bürgermeisterin einen ganz anderen Einfluß, als jetzt, und wo eine Frau von solchem Gewicht, dazu noch reich und brav, sich an die Spitze stellte, ging eine Sache durch. Frau Künkelin aber sprach: „Ich nicht bin der Meinung, daß man dem liederlichen Trüpplein Franzosen nur so ohne Weiteres das gute Heu, den schönen Hafer liefere oder gar die stolzen Festungswerke, die so viel Geld gekostet, zur Demolirung übergebe und die raubhahnischen Umschweifer in’s Quartier aufnehme. Die Stuttgarter Herren sollen nicht glauben, daß es ihnen mit Schorndorf durchgehen werde, wie mit dem Asperg und mit Tübingen!“

Die Commandanten dieser beiden festen Schlösser hatten die Commissäre durch Gewaltbefehle zur Uebergabe derselben gezwungen; an Peter Krummhaar soll Melac sogar das Anerbieten gewagt haben, gegen zweitausend Dublonen Raison anzunehmen. Gewiß war, daß der Commandant von den Commissären in großem Zorn geschieden und allein auf den Wall gegangen war.

Nun sah man die Stuttgarter Herren nach dem Rathhaus schreiten, und alsbald flogen die Stadtknechte umher, um den Bürgermeister und die Richter dorthin zu berufen. Der Bürgermeister erhob sich zum Gehen, und seine Frau sah ihm kopfschüttelnd nach, denn aus allerlei Aeußerungen und halben Beichtworten „ihres Künkele“ hatte sie gemerkt, daß es auf dem Rathhaus „wackele“. Darum benutzte sie die Zeit seiner Abwesenheit zu einem raschen Entschluß. Sie schickte zu ihrer besten und gleichgesinnten Freundin, der Frau des Hirschwirthes und Gerichtsältesten Katzenstein, der ebenfalls zur Sitzung gegangen war; diese kam sogleich, und – so erzählt nun Kurz weiter – jetzt saßen die Frau Künkelin und die Frau Katzensteinin beieinander und hielten einen Staatsrath, der bald ein Kriegsrath wurde, denn sie kamen ohne viel Federlesen zu dem Schluß, es müsse auf der Stelle losgeschlagen werden, anders gehe es nicht. Und zwar, wenn die „Mannen“ nicht dran wollen, so müßten’s die Weiber thun.

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