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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

der nöthigsten Bedürfnisse ihrer Mitglieder für gemeinsame Rechnung vorzubereiten, indem sie obenein, sobald sie die angemessene Ausbreitung gewonnen haben, solchen Geschäften in ihren Mitgliedern einen sichern Kundenkreis mitbringen. In denjenigen Geschäftszweigen aber, wo eine solche Vorbereitung nicht thunlich erscheint, wird ein Sparverein am Platze sein, der außer der Capitalansammlung seinen Mitgliedern zugleich in Buchführung und Cassenwesen, überhaupt in gemeinsamer Geschäftsbehandlung praktische Anleitung giebt.

Und so ist es unter Leitung des Verfassers in Deutschland gehalten worden, und wenn die Zahl der Productivassociationen deshalb noch keine große bei uns ist, so sind wir auch, wo nach diesen Anleitungen verfahren wurde, mit wenigen Ausnahmen vor dem Mißlingen bewahrt geblieben, welches unter den in Frankreich in Menge auftauchenden derartigen Unternehmungen in den Jahren 1849, 1850 u. f. epidemisch war. Von den im Jahresbericht pro 1865 aufgezählten sechsundzwanzig Productivassociationen (sie sind unter den hundertneunundneunzig Genossenschaften in einzelnen Gewerken inbegriffen) ist nur eine nach hoffnungsvollen Anfängen in Folge unsoliden Geschäftsbetriebs, namentlich zu großer Ausbeutung des ihr gewordenen Credits, zu Grunde gegangen, worüber das Nähere im Bericht beigebracht ist. Die übrigen dagegen arbeiten sich langsam aus kleinen und schweren Anfängen empor und haben die Verkehrsstörungen des letzten Krieges glücklich überwunden. Besonders bemerkenswerth sind die Productivgenossenschaften der Lampenmacher, Wagenbauer und Buchdrucker in Berlin, der Uhrmacher (Regulatorenfabrik) in Freiburg in Schlesien, der Maschinenbauer in Chemnitz, Danzig und in Berlin, der Nähmaschinenmacher in Bielefeld u. a., sämmtlich von Arbeitern begründet, von denen im nächsten Jahresbericht für 1866 voraussichtlich recht befriedigende Abschlüsse mitgetheilt werden können. Die genannte Uhrmachergenossenschaft – Firma Endler u. Comp. – hatte bereits im ersten Betriebsjahre vom 1. April 1865 bis dahin 1866 bei vierzehn Mitgliedern 1182 Thaler Capital als deren Geschäftsantheile angesammelt und 1030 Thlr. baar in Anleihen aufgenommen, außer 523 Thlr. Credit bei Bezug von Rohstoffen, und war dadurch in den Stand gesetzt, im Laufe des Jahres für 3972 Thlr. Rohstoffe zu beziehen, davon für 3346 Thlr. zu verarbeiten und 4270 Thlr. Arbeitslöhne nebst 1766 Thlr. Geschäftsspesen und 54 Thlr. Zinsen an die Gläubiger zu zahlen.

Verkauft wurden für 9164 Thlr. gefertigte Waaren – Regulator-Uhren – und für 2771 Thlr. (Kostenpreis) waren am Jahresschlusse auf Lager. Der Reingewinn betrug 726 Thlr., welcher jedoch nicht an die Mitglieder ausgezahlt, sondern deren Geschäftsantheilen zugeschlagen wurde, die sich dadurch auf 1894 Thlr. erhöhten.

Den bereits bestehenden Productivgenossenschaften treten nun in nächster Zeit manche hinzu, die noch mit den Vorbereitungen zu thun haben, und so darf man auch bei dieser Genossenschaftsform um so mehr eine gedeihliche Entwickelung in unserm Vaterlande erwarten, als es bisher meist gelungen ist, dieselbe auf wirthschaftlich richtigen Bahnen zu erhalten. Der Verfasser aber, dem es vergönnt war, bei Gründung derselben mit wenigen Ausnahmen rathend und helfend einzugreifen, meint der Sache den besten Dienst zu thun, wenn er nach wie vor ernstlich vor allem übereilten Vorgehen dabei warnt, unbeirrt von dem Geschrei solcher klugen Leute, welche in allen Dingen am liebsten mit dem Ende anfangen und da ernten möchten, wo sie nicht gesäet haben. Nicht gegen Productivassociationen an sich, wohl aber gegen alle haltlosen und leichtsinnigen Unternehmungen dieser Art kämpft der Verfasser, weil sie unermeßliches Elend über die Betheiligten bringen und die Sache der Genossenschaft überhaupt in ganzen Bevölkerungskreisen auf lange hinaus discreditiren.

Zuletzt wenden wir uns der Organisation des Genossenschaftswesens zu, welche zu den günstigen Resultaten desselben ganz besonders beigetragen und sich bei uns ganz naturwüchsig von unten herauf entwickelt hat, wie dies in keinem andern Lande geschehen. Nachdem der Verfasser durch die seit Ende 1849 zunächst in seinem Heimathkreise von ihm in das Leben gerufenen Associationen und seine Schriften die Anregung zu gleichen Unternehmungen nach allen Seiten hin gegeben, gestaltete es sich von selbst, daß ihm thatsächlich die Leitung der Bewegung blieb und er bei Errichtung neuer Vereine, wie bei sonstigen wichtigen oder bedenklichen Vorfällen regelmäßig um Rath und Beihülfe angegangen wurde, namentlich den vielfachen Eingriffen der Behörden gegenüber, womit man die neuen Schöpfungen verfolgte. Dieses lediglich auf freies Vertrauen gegründete Verhältniß bestand fast ein Jahrzehnt hindurch, bis auf das Dringen einer Anzahl von Vorschußvereinen in der Pfingstwoche 1859 zu Weimar die erste Versammlung von Deputirten der Vereine abgehalten wurde, welche zunächst ein Correspondenzbureau als Centralstelle einsetzte, woraus sich in den nächsten Jahren der allgemeine Verband der deutschen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften herausbildete, der durch das auf dem Vereinstage zu Mainz im August 1864 angenommene „Organische Statut“ seine jetzige Gestalt erhielt. Der Verband beschickt einen jährlich stattfindenden allgemeinen Vereinstag durch Deputirte der dazu gehörigen Vereine, welcher als oberste Instanz, ohne irgend in die Selbstständigkeit der einzelnen Vereine in deren speciellen Angelegenheiten einzugreifen, die gemeinsamen Angelegenheiten ordnet. Die Geschäfte des Verbandes führt ein besoldeter Anwalt mit förmlich eingerichtetem Bureau, welche Stelle bisher der Verfasser eingenommen hat. Als Zwischenglieder zwischen diesen Centralorganen und den einzelnen über ganz Deutschland verbreiteten Vereinen sind sogenannte Unter-, d. h. Provincial- oder engere Landesverbände, gebildet aus den Genossenschaften einzelner deutscher Länder, Provinzen oder auch gemeinsamer Gewerbsbranchen, welche die Wahrnehmung der Sonderinteressen und den engeren Verkehr der einbezirkten Vereine, sowie die Vermittelung mit den Centralstellen zum Zwecke haben. Indem sie dem allgemeinen Vereinstage durch besondere Versammlungen, die Unterverbandstage, vorarbeiten und ihre Erfahrungen austauschen, geben sie zugleich dem Anwalt Gelegenheit, sich durch den Besuch derselben von den Bedürfnissen dieser engeren Genossenschaftskreise zu unterrichten und in gegenseitiger persönlicher Verständigung den Zusammenhang mit der Gesammtbewegung aufrecht zu erhalten. Bereits sind einundzwanzig solcher Unterverbände durch ganz Deutschland (mit Ausnahme Oesterreichs) gebildet und greifen lebendig in den Organismus ein. Die von ihnen gewählten Vorstände bilden als engerer Ausschuß eine Körperschaft, welche dem Anwalt zur Seite steht, um bei wichtigeren Vorkommnissen zugezogen zu werden und besonders die Finanzen des Verbandes zu überwachen.

Die Functionen des Anwaltes bestehen in:

a) Vertretung des Genossenschaftswesens im Allgemeinen vor dem Publicum, namentlich der Gesetzgebung und den Behörden gegenüber;

b) Förderung der einzelnen Genossenschaften mit Rath und That, durch Belehrung, Auskunftsertheilung, Entwerfung und Revision ihrer Statuten, so wie Vermittelung des Geschäftsverkehrs und der Capitalsaushülfe zwischen ihnen;

c) Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse des allgemeinen Vereinstages;

d) Aufstellung einer möglichst genauen Statistik über die Resultate der Genossenschaften zum Behufe des Vergleichs der gemachten Erfahrungen und Einrichtungen;

e) Redaction und Herausgabe eines besonderen Organs für das Genossenschaftswesen in der Tagespresse.

Auf diese Weise ist, ohne die freie Bewegung der einzelnen Vereine im Mindesten zu hemmen, ein Ganzes, ein Mittelpunkt geschaffen zum Austausch der gemachten Erfahrungen, zur Kritik der getroffenen Einrichtungen, zu Rath und Hülfe gegen jeden Angriff, jede Verlegenheit der einzelnen Glieder, zu machtvollem Zusammenfassen der Einzelkräfte endlich, behufs Wahrnehmung gemeinsamer Interessen, wie zu geschlossenem Zusammenstehen drohenden Lagen und Gefahren gegenüber. Und hat sich auch im Augenblicke nur erst die kleinere Hälfte der deutschen Genossenschaften – sechshundert und zwölf – dem Verbande angeschlossen, seine Wirksamkeit kommt doch, bei ihrer vollen Oeffentlichkeit, allen zu statten und ist der hauptsächlichste Hebel gewesen, mittels dessen das Genossenschaftswesen bei uns die Entwickelung und Bedeutung erlangt hat, deren es sich gegenwärtig erfreut.

Abgesehen davon, daß es dem Verfasser ohne den Verband nicht möglich geworden wäre, seine ganze Zeit und Kraft der Genossenschaftssache zu widmen, würde z. B. die Gründung und Erhaltung eines besonderen Fachblattes, wie wir es in den von dem Verfasser gegründeten „Blättern für Genossenschaftswesen“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_186.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)