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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 12.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Die Herrin von Dernot.


Von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung.)

Ueber einen Scherz ging der seltsame Fall aber immer weiter hinaus, als Mittags der Kutscher mit dem leeren Wagen zurückkam und berichtete, daß er die Damen durch die Residenz bis zu einem jenseits gelegenen ärmlichen Dorfe habe fahren müssen; Fräulein Eugenie habe ihm den Namen genannt und Richtung und Wege angegeben. Dort seien sie abgestiegen, er habe den Koffer absetzen müssen und dann Befehl erhalten, zurückzufahren und in der Residenz zu füttern. Seine bescheidenen Vorstellungen seien kurz abgewiesen worden, und nicht anders sei es der Zofe ergangen, welche sehr unruhig gewesen und verweinte Augen gehabt habe.

Auf diese Nachrichten rang Tante Kunigunde die Hände, verfiel der Kammerherr in ein mißbilligendes Erstaunen und faltete selbst der Baron seine Stirn. „Das geht allerdings über den erlaubten Uebermuth hinaus,“ sagte er. „Es wohnt meines Wissens dort Niemand von unseren Bekannten. Was können sie vorhaben? Und – hm, was mir einfällt! – Beide haben sich neulich ihr Nadelgeld[WS 1] auf ein Vierteljahr vorauszahlen lassen!“

Tante Kunigunde stieß einen hellen Schrei aus. „O Bruder, sie sind verloren! Und wir – wir unglücklich für’s ganze Leben!“ jammerte sie.

„Freund, da muß man wahrhaftig Anstalt machen – die unglücklichen Kinder!“ sagte der Kammerherr.

„Geduld, Geduld!“ sprach der Baron schon wieder mit der gewöhnlichen ruhigen Fassung. „Ich erwarte heut’ noch meinen Neffen Joseph, Eugeniens Bruder, der soll ihnen nach. Es macht weniger Aufsehen, woran uns um ihret- und unsretwillen gelegen sein muß. Käme er nicht – nun, dann würde ich selbst morgen früh fahren und ein Exempel statuiren. Aber es kommt nicht dazu, hoffe ich. Es wäre ja mehr als Tollheit!“

„Ja, die Eugenie!“ stöhnte die Tante beinahe weinend. „Ach, Esperance, mein Kind, daß Du Dich so verführen lassen kannst!“

Der Tag war dem Baron nicht günstig, auch seine letzte Berechnung traf nicht zu. Der Wagen, den man dem Neffen in die Residenz geschickt, kam leer zurück, und der Brief, den die Posttasche von dem Erwarteten brachte, war auch nicht geeignet, des Barons Stimmung zu verbessern. Joseph war auf der Rückkehr aus der Schweiz in Mannheim mit Bekannten zusammengetroffen und hatte sich von ihnen bereden lassen, in ihrer Gesellschaft noch eine Rheinfahrt bis Köln zu machen. Das Vergnügen gönnte der Onkel dem Neffen gern, allein wann kam derselbe nun zurück? Und der Gedanke, nun wirklich selber den Entflohenen nachreisen zu müssen, wodurch die „Dummheit“, wie er es jetzt zürnend hieß, nur immer bekannter wurde, erregte den alten Herrn so sehr, daß selbst Tante Kunigunde von ihrem Jammer schwieg und den Bruder zu beruhigen suchte. Sie wußte am besten, wie sehr man sich mit ihm in Acht nehmen mußte, wenn man die gewöhnliche Ruhe und Fassung nicht auch jetzt noch einmal plötzlich in das gerade Gegentheil umschlagen sehen wollte. Es gab, wenn auch seltene Beispiele, die erschreckend genug bewiesen hatten, daß der alte Dämon noch immer nicht ganz besiegt und ausgetrieben sei. Er schlummerte nur, und es bedurfte zuweilen sehr wenig, ihn erwachen und sich finster aufbäumen zu lassen. Davon sollte man, trotz Kunigundens Vorsicht und des Kammerherrn ihr bereitwillig geleisteter Hülfe, noch heut’ eine Probe erhalten.

Gegen Abend, als die drei alten Leute im kleinen Salon mißmuthig beieinander waren und das Schweigen gar zu drückend wurde, sagte der Kammerherr, der bisher, zuweilen mit verhaltenem Gähnen, in den Zeitungen geblättert hatte, plötzlich lebhafter: „Ei, ei, Baron, wir haben ja noch gar nicht darüber gesprochen! Was sagen Sie denn zu diesen Vorgängen in Berlin, dem vereinigten Landtag mit all’ seinen Rednern und Reden, und –“

„Sie sprechen es aus, Brose: Redner und Reden,“ warf der Baron hin, ohne seine Promenade durch das Gemach zu unterbrechen; aus seinem Tone schon konnte man abnehmen, wie verstimmt er war. „Oder allenfalls, wie jenes Witzwort es bezeichnete: eine Examinationscommission für die Herren Minister, die schlecht genug bestanden.“

„Unser Allergnädigster meinte einmal: diese – diese Zustände erinnerten ihn ganz seltsam an jene Notabeln von Anno siebenundachtzig,“ bemerkte Brose nach einer Weile nachdenklich.

„Notabeln – Anno siebenundachtzig – in Deutschland, Preußen – bah!“ erwiderte Treuenstein wegwerfend. „Sturm in einem Glase Wasser! – Man gießt es aus, da ist’s vorbei.“

Tante Kunigunde winkte dem Kammerherrn mit den Augen zu. Der Ton, in dem der Bruder das sagte, und noch mehr die aus seinen Worten hervorbrechende verächtliche Zurückweisung eines in seinen guten Stunden von ihm selbst für nothwendig und billig erkannten Nachgebens und Fortschreitens erschreckten die würdige Dame nicht wenig, es mußte bös in dem Baron aussehen! und sie athmete ordentlich erleichtert auf, als in diesem Moment die Thür geöffnet wurde und Herr von Heimlingen hereintrat. Der junge Nachbar war, wie verhältnißmäßig kühl Treuenstein

Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe dazu Nadelgeld
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_177.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)