Seite:Die Gartenlaube (1867) 176.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Nun drehte sich die Unterhaltung um die uns bekannten Familien jener Stadt, was dem liebenswürdigen Ehepaare viel Vergnügen zu machen schien, bis andere Personen eintraten, darunter der damalige Minister des Auswärtigen, Don Melchor Ocampo, der Gouverneur von Veracruz, Don Manuel Zamora, und Don Francisco Zarrate, der Gouverneur des Castells San Juan de Ulloa, wodurch die Unterhaltung auf andere Gegenstände überging.

Es ist schwer das Alter Juarez’ nach seinem Aussehen zu bestimmen, da bekanntlich die Indianer spät altern; aber nach seinen Aeußerungen und andern Umständen zu schließen mag er jetzt über die Mitte der Fünfzig hinaus sein.

Man hat ihn den Lincoln Mexico’s genannt und wirklich bieten sich manche Analogien zwischen Beiden dar, doch darf man sicher Juarez das Prioritätsrecht hinsichtlich der Befreiung seines Vaterlandes von der Schmach geistiger Sclaverei vindiciren; denn die dazu führenden Reformgesetze gab er bereits während seiner Dictatur 1859 bis 1861. Sie sind sein und seiner Freunde Werk, er gab sie während des Bürgerkrieges, und der Congreß von 1861, der seine Regierungsacte zu prüfen hatte, sanctionirte sie ohne Veränderung und fast ohne Debatte. Sie bestehen im Wesentlichen in der Einführung der Religions- und Cultusfreiheit, Nationalisirung der Kirchengüter, Aufhebung der Klöster, vollkommener Trennung der Kirche von Staat und Schule, Einführung der Civilehe und der Lehrfreiheit, Uebertragung der Kirchhöfe an die Civilbehörden, Verbot der Erwerbung und des Besitzes von Grundeigenthum für kirchliche Körperschaften, des Tragens aller klerikalen Abzeichen, der Processionen und des Viaticums auf den Straßen, Abschaffung des politischen und gerichtlichen Eides, sowie des Paßwesens und der Sicherheitskarten der Fremden mit ihren lästigen Anhängseln. Alle diese Gesetze, obgleich implicite in der Constitution von 1857 enthalten und logische Folgen derselben, wären schwerlich so bald durch einen Congreß zu Stande gekommen; aber da sie nur auf dictatorischem, legalem Wege gegeben waren, sanctionirte sie der Congreß ohne Weiteres. Juarez ist freilich nicht ermordet wie Lincoln, oft genug jedoch ist er in drohendster Lebensgefahr gewesen, gegen die er sich nicht durch die geringste äußere Schutzwehr gesichert hat. In seiner bescheidenen Privatwohnung in der Hauptstadt hatte er nicht einmal eine Schildwache an der Hausthür. Das Pfaffenthum im Verbande mit dem stehenden Heere zu besiegen und deren innerste Verschanzungen, d. i. ihre Privilegien und Prärogativen, von Grund aus zu zerstören, war in Mexico kein leichteres Werk, als die Aufhebung der Sclaverei in den Südstaaten der nordamerikanischen Union, und die unparteiische Geschichte wird Juarez den verdienten Platz unter den hervorragenden Männern dieses Jahrhunderts anweisen; jedenfalls steht er Lincoln an Verdienst um sein Vaterland und die Würde der Menschheit nicht nach.

Kann es Wunder nehmen, daß Beide die Feindschaft des französischen Kaisers genossen, der in Mexico und in Rom das Pfaffenthum, in Nordamerika die Sclavenjunker unterstützte? Diese Sünde an der geistigen und körperlichen Freiheit wird sich schwer rächen.

Als Puebla von den Franzosen belagert wurde, sagte mir Juarez eines Tages: „Sie werden Puebla nehmen, sie werden Mexico nehmen, sie werden die meisten Städte im Lande besetzen, aber sie werden das Land nicht haben und am Ende werden wir siegen. Dieses Attentat gegen die Republik kann Napoleon theuer zu stehen kommen, denn die Franzosen können es nie gutheißen.“

Ein großer Theil dieser Prophezeiung hat sich bereits erfüllt; in der Zukunft liegt das Uebrige.

G. Pinto.




Blätter und Blüthen.


Gefunden. In den ersten Tagen und Wochen nach der Schlacht bei Langensalza waren die vielen Lazarethe der Stadt, sowie die Gräber der Todten von Fremden förmlich belagert. Unter den zahlreichen Besuchern befanden sich häufig Freunde und Verwandte der Verwundeten und Gefallenen, nicht selten aus großer Ferne herbeigekommen, die Leidens- und Ruhestätten ihrer Angehörigen aufzusuchen. Um ihre Nachforschungen nach den Verwundeten zu erleichtern, hatte die Militärbehörde an den Außenthüren der Lazarethe Listen mit den Namen der Inwohner anschlagen lassen.

Ueber die Todten gab es leider keinen gewissen Nachweis; denn die nothwendige große Eile der Beerdigungen, die Unmöglichkeit, ihre große Anzahl gehörig zu regeln und zu überwachen, die in der entsetzlichen Hitze schnell vorschreitende Verwesung veranlaßten, daß die Sicherstellung der Namen, der Identität der Personen bei einem großen Theil der Gefallenen unterblieb.

Als mich in diesen Zeiten ein Geschäft in die Mitte der Stadt führte, begegneten mir zwei fremde Herren, augenscheinlich von Stande, aber beide in Trauerkleidern, mit schwarzbeflorten Hüten, tiefbekümmerten Mienen. Der ältere grüßte bei meiner Annäherung auf das Höflichste und bat um Auskunft über die Wohnung eines hiesigen Bürgers. „Wenn Sie mir folgen wollen,“ sprach ich, „so kann ich selbst Sie begleiten; mein Gang führt mich ebenfalls dorthin.“ Dankbar nahmen die Fremden meine Dienste an und so gingen wir nach dem Markte, wo der Gesuchte wohnte.

Bei unserem Eintritt sprach der Aeltere zu dem Hausherrn: „Mein verehrter Herr, wir sind Rheinländer, geborene Aachener, und suchen hier zwei Opfer der Schlacht; dieser Herr hier, mein Neffe, einen verwundeten Bruder, und ich,“ setzte er mit zitternder Stimme hinzu, „das Grab meines einzigen Sohnes. Die Verlustliste nennt den Einen schwerverwundet, den Andern gefallen. Ihr Herr Bruder in Aachen, unser Freund, hat uns ausdrücklich an Sie verwiesen. Wollen Sie also die Freiheit unseres Eintritts und die Bitte um Ihre Unterstützung bei Aufsuchung von Bruder und Sohn gütig verzeihen.“ Herr A., der also Gebetene, ließ uns in sein Familienzimmer treten, – ich sage uns, denn ich mußte bei den Fremden bleiben, da ich ihnen auf dem Wege meine Begleitung noch weiter zugesagt – und bat um die Namen der Gesuchten.

Als die Herren die Namen genannt, sah ich Herrn A.’s Augen freudig aufleuchten. „Einen Augenblick, nur einen Augenblick erlauben Sie,“ rief er. „Oben wohnen zwei fremde Herren, ebenfalls Rheinländer, ich eile hinauf; vielleicht wissen sie etwas von Ihren Angehörigen.“ Bei diesen Worten war er auch schon zur offenen Zimmerthür hinaus und zur Treppe hinaufgesprungen. Erst nach geraumer Zeit trat er wieder ein und sprach: „Es ist so, wie ich vermuthete; bemühen Sie sich hinauf und hören Sie selbst die Herren.“

Er schritt den Fremden voran und öffnete oben die Stubenthür. Plötzlich hörte ich einen lauten Freudenschrei: „Eduard, Bruder Eduard!“ – „Peter, mein theurer Sohn Peter!“ Eine freudige Ahnung stieg in mir auf; ich konnte meiner tiefen Erregung nicht widerstehen, trat selbst auf die Treppe und sah durch die offenstehende Thür die beiden Fremden – Vater und Bruder – in der zärtlichsten Umarmung zweier Verwundeten: des schmerzlich Vermißten, des Todtgeglaubten.

Im Hintergrunde stand der treue Pfleger, der barmherzige Samariter, und empfing in den Freudenthränen der Wiedervereinigten seinen schönsten Lohn. Wollt Ihr seinen Namen wissen, so fragt nur seine beiden Pfleglinge aus der Krönungsstadt im schönen Rheinlande, die werden seine Opferfreudigkeit, seinen unerschöpflichen Humor nimmer vergessen.


Abgeleugnete Documente. Unsere Leser erinnern sich des Artikels „Eine deutsche Klage“ in Nr. 45 des Jahrgangs 1866 der Gartenlaube. Wir stellten darin das Verfahren der englischen Admiralität gegen den wahren Erfinder der Schiffsschraube, Joseph Ressel, an das Licht. Um die bedeutende Summe, welche die englische Regierung für die wichtige Erfindung als Belohnung ausgesetzt hatte, nicht einem Deutschen zukommen zu lassen, hatte man sogar den Empfang der Ressel’schen Documente (Erfindungspatent und österreichische Regierungszeugnisse) abgeleugnet, die man nach den emsigsten Nachforschungen nicht habe finden können. Fünf Engländer theilten sich in die zwanzigtausend Pfund Sterling und ein sechster, Smith, erhielt eine Nationalbelohnung. Ressel starb 1857 unbelohnt und arm, und sein Sohn drang vergeblich bei der englischen Admiralität auf die Herausgabe der Documente: sie waren – nie vorhanden gewesen, oder verloren. Da sendet uns in diesen Tagen ein deutscher Landsmann aus Glasgow die englische Zeitschrift „Engineering“ (Ingenieurwesen) vom 4. Januar 1867, in welcher der Redacteur Zerah Colburn, derselbe, welcher früher als leitender Theilhaber des „Engineer“ sich so lebhaft für Smith’s Anrecht auf die Erfindung der Schiffsschraube ausgesprochen, das Hauptstück der so lange vermißten Ressel’schen Documente, das Patentgesuch vom 28. November 1826 mit Ressel’s ausführlicher Beschreibung der Schiffsschraube sammt allen Zeichnungen veröffentlicht. Er dankt in ein paar einleitenden Worten für diese interessante Mittheilung Herrn Bennet Woodcroft – „of the Great Seal Patent Office.“

Nach vierzehn Jahren der Einsendung, nach zwölf Jahren der ungerechten Preisvertheilung und im zehnten Jahre nach Ressel’s Tode – wagt sich das Recht der Priorität des Deutschen in der Erfindung der Propellerschraube sogar in England an das Licht. Die von den höchsten englischen Behörden abgeleugneten Documente sind da, – nur die zwanzigtausend Pfund Sterling sind fort und der, dem sie allein gebührt hätten, modert im Grabe und ist trotz seines Wiener Erzdenkmals schon so vergessen, daß die gesammte deutsche Tagespresse im vorigen Jahre nichts mehr von ihm gewußt hat.

Trotz alledem theilen wir diese Nachricht unseren Lesern mit. Vielleicht kommt dieses Blatt Mitgliedern des „Nordamerikanischen Ressel-Comité“ in New-York und durch sie des unglücklichen Erfinders Sohn, Heinrich Ressel, in die Hand, und vielleicht giebt es noch Mittel und Wege für die Bürger der Union, das am Vater begangenene schwere und schmähliche Unrecht am Sohne und der Familie wieder gut zu machen.

F. H.




Inhalt: Die Herrin von Dernot. Novelle von Edmund Hoefer. – Die Schutzpatrone und Orakel der Bauern. 1. In Altbaiern. Mit Illustrationen. – Meine Flucht von Dresden nach New-York im Jahre 1849. Von Karl Munde. (Schluß.) – Eine Freistätte des Glaubens. Von M. von Humbracht. Mit Abbildung. – Der Lincoln Mexicos. Von G. Pinto. – Blätter und Blüthen: Gefunden. – Abgeleugnete Documente.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_176.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)