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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

ihm seine liberalen Gesinnungen zum Verbrechen machen, offen anerkennen.

Als er seine Studien beendet hatte, widmete er sich neben seinem Lehramte der Advocatur, wozu er durch die erworbene Würde eines Licentiaten berechtigt war, und erwarb sich bald durch seine Kenntnisse, Eifer und strenge Rechtlichkeit großen Ruf nicht allein in der Stadt Oajaca, sondern auch in weitern Kreisen. Durch seine festen und wohldurchdachten Principien ward er der liberalen Partei ein werthes und wichtiges Mitglied, weshalb er denn auch zum Gouverneur des Staates Oajaca gewählt ward. Sein Ansehen und guter Ruf bewirkten, daß er sich mit Donna Margarita Mazo, einer Creolin aus einer der alten Familien, verheirathen konnte, die es sonst unter ihrer Würde hielten, ihre Töchter an Indianer zu geben. Nie ist der Staat Oajaca besser verwaltet worden, als durch Juarez; überall wurden Mißbräuche abgeschafft, die Rechtspflege gebessert, der Gewerbfleiß geweckt und befördert, Wege gebaut, so daß man nun mit Wagen fahren konnte, wo früher nur Maulthiere mit großer Gefahr zu passiren vermochten; die Finanzen wurden geordnet, die Beamten regelmäßig bezahlt und zu ihren Pflichten streng angehalten etc.

Es konnte demnach nicht fehlen, daß Juarez im ganzen Lande bekannt und geachtet wurde, weshalb er denn auch, der Constitution von 1857 gemäß, zum Präsidenten des höchsten Nationalgerichtshofes durch directe Wahl gewählt ward, während Don Ignacio Commonfort die Stimme sofort für die Präsidentur der Republik erhielt. Dieser ernannte Juarez zu seinem Justizminister, und als solcher sollte er bald eine glänzende Probe seiner politischen Grundsätze und seiner Achtung vor dem Gesetze ablegen. Als Commonfort nämlich im December 1858 seinen unglücklichen Staatsstreich machte, der die Constitution aufhob, trat ihm sein Minister Juarez derart entgegen, daß er denselben gefangen setzte. Nach kurzer Zeit aber ward er gewahr, daß er von der liberalen Partei ganz verlassen wurde, die Klerikalen sich der Situation zu bemächtigen drohten und daß er einen groben Fehler mit seinem Verbrechen begangen hatte. Er entließ Juarez nicht allein seiner Haft, sondern übergab ihm als dem Präsidenten des höchsten Tribunals die Präsidentschaft, wie es die Constitution vorschrieb, die er wieder herstellte, und ging außer Landes mit dem traurigen Bewußtsein, sein Vaterland in einen neuen blutigen Bürgerkrieg verwickelt zu haben. Seitdem ist Juarez Präsident der Republik, zuerst interimistischer und vom Jahre 1862 gewählter, constitutioneller.

Selten hat ein Staatsoberhaupt die Regierung unter schwierigern und unglücklicheren Verhältnissen übernommen, nie so vielem Unglücke die Spitze bieten müssen, keiner seinem Vaterlande so treu seine Kräfte und seine Ruhe, mit Gefahr seines Lebens gewidmet wie Juarez. Es ist nicht unsere Absicht hier seine Geschichte als Präsident der Republik Mexico zu schreiben, sondern nur eine Skizze seiner Persönlichkeit zu entwerfen. Er ist etwas unter mittlerer Größe, wie Alle seiner Race proportionirt gebaut, etwas zum Embonpoint geneigt. Die Hautfarbe ist die seines Stammes, heller als die anderer Indianer, sein Gesicht hat den Typus der Zapoteken, schmale Stirn, starke Backenknochen, scharfe gebogene unten breite Nase, etwas großen, mit schönen Zähnen versehenen Mund, um den ein freundlicher Zug gelagert ist, der ihn selbst bei den ernstesten Geschäften nicht verläßt. Das Auge zeigt viel Intelligenz, ist außerordentlich lebhaft und sprechend, schwarz unter schwarzen Brauen. Das glänzend schwarze, schlichte Haar ist mit nur wenigem Weiß untermischt. Seine Stimme hat etwas Weiches, fast Klagendes, ist aber klangvoll und wohltönend; die Aussprache sehr klar und deutlich. Sein Anzug besteht gewöhnlich im einfachen Ueberrock, seidner Weste und farbigem Beinkleid, nur bei besondern Veranlassungen trägt er den schwarzen Leibrock. Das ist das Aeußere des Mannes, der durch seine Standhaftigkeit und sein Vertrauen in die Gerechtigkeit der Sache seines Vaterlandes den schweren Kampf gegen die Politik und das wohldisciplinirte Heer des französischen Kaisers und dessen Alliirte, die Pfaffen, aufgenommen, unterhalten und endlich siegreich durchgeführt hat.

Juarez ist im persönlichen Umgange äußerst liebenswürdig, einfach, geduldig, ja von einer kindlichen Bescheidenheit, dabei von schneller Auffassungsgabe, und nur in den feurigen Augen zeigt sich ein gewisser Affect, wobei die Gesichtszüge stets ruhig und freundlich bleiben. Ich habe öfters Gelegenheit gefunden, lange Unterredungen mit ihm unter vier Augen und in Gesellschaft zu haben und nie eine Veränderung in seinem Wesen wahrgenommen. Im brieflichen Verkehr ist er kurz, gemessen und nur den fraglichen Gegenstand besprechend, und selbst wo er streng tadelt, ist er höflich, ohne zu verletzen. Auch die ernsteste Unterhaltung pflegt er durch Scherz zu würzen, wie folgendes Beispiel zeigt.

Es war in den Tagen, als sein Minister Doblado in Orizaba mit den Bevollmächtigten der Alliirten unterhandelte und es zur Gewißheit wurde, daß jener ihn zu verrathen trachtete, wo ich mit Juarez über eine den Staat Mexico betreffende Angelegenheit zu conferiren hatte; bei dieser Gelegenheit hatte ich auch Klage über Doblado zu führen, und, so fügte es sich, daß ich dessen Verrath erwähnte.

„Und wissen Sie denn, was Doblado in der Soledad gethan hat?“ fragte ich.

„Ich weiß Alles.“

„Und daß er trachtet Sie zu verdrängen und sich mit Hülfe der Intervention zum Präsidenten zu machen?“

„Auch das weiß ich.“

„Und Sie behalten ihn als Minister?“

„Sie wissen, daß man hier zu Lande beim Typhus dem Kranken als Hausmittel eine Kröte auf den Magen bindet; es ist das sehr widerlich, soll aber ein probates Mittel sein. Doblado,“ dabei legte er seine Hand lächelnd auf mein Knie, „Doblado ist meine Kröte.“

Und wirklich war er ihm gegen seinen Willen durch die Umstände von den Moderirten aufgedrungen; ich mußte mit ihm über das treffende Bild lachen.

„Aber fürchten Sie seinen Verrath und Ehrgeiz nicht?“ frug ich von Neuem.

„No, Señor; den ersten nicht, weil ich ihn kenne, den letzteren nicht, weil die Zeit für Mexico vorüber ist, wo der Ehrgeiz einer Person zum Ziele führt. Doblado wird das Schicksal seiner Vorgänger theilen, die ein ungegründetes Renommée erhoben hat und die, auf der Höhe angekommen, sich in ihrer Nullität zeigen mußten, wo denn der usurpirte Name zu nichte wurde. Fürchten Sie deshalb nichts, Doblado kann uns nichts schaden; er untergräbt sich selbst und zeigt der Welt, was er wirklich ist.“

Dieses Beispiel zeigt zur Genüge, mit welcher Freiheit man sich ihm gegenüber auslassen kann und wie sehr es das Interesse lohnt, welches man an ihm nimmt.

Im Jahre 1859, als die Hauptstadt noch in den Händen der von den europäischen Mächten als Regierung anerkannten Aufständischen war und Juarez in Veracruz residirte, besuchte ich ihn eines Abends, wozu er mich freundlich aufgefordert hatte. Unten im Eingange des Hauses befand sich eine Wache von etwa fünfzehn Mann mit einem Officiere; ich frug diesen, ob der Präsident zu Hause und sichtbar sei, und erhielt den Bescheid, er sei allein und ich möge nur hinaufgehen. Auf dem Vorplatze traf ich eine Dame, die ich wieder nach dem Präsidenten frug, und diese wies mich an eine Thür, wo ich ihn finden würde. Auf mein bescheidenes Anklopfen erfolgte ein ruhiges „entra“; ich trat in ein kleines luftiges Zimmer, dessen nach zwei Seiten gehende Balconthüren geöffnet waren und die frische Seebrise einließen; auf einem Lehnstuhle saß Juarez mit einem Buche in der Hand, das er sogleich auf den nebenstehenden Tisch legte, als er sich auf meinen Gruß nach mir umdrehte und mich erkannte. Er kam mir ein paar Schritte entgegen, reichte mir die Hand und hieß mich neben sich auf das Sopha setzen. Wir plauderten über allerlei Gegenstände, wobei mir seine rasche Auffassungsgabe besonders auffiel; wir kamen auch auf Oajaca zu sprechen und er frug mich, ob ich die Sierra kenne. Da ich es bejahte, sagte er:

„Kennen Sie auch das kleine Dorf San Pedro unterhalb Ixtlan?“

„Si, Señor.“

„Das ist mein Geburtsort, da bin ich geboren;“ dabei glänzten seine lebhaften Augen vor Freude. Wir hatten nun einen Gegenstand gleicher Jugenderinnerungen, denn auch ich hatte mehrere Jahre in jener Gegend zugebracht. Wie liebenswürdig und natürlich erschien seine Theilnahme an dem, was ich ihm aus jener Zeit erzählte! Wir wurden durch das Eintreten derselben Dame unterbrochen, die mich zu ihm gewiesen; er stellte mich ihr als seiner Frau vor und fügte dann hinzu:

„Setze Dich, Margarita, wir plaudern nur und zwar soeben von meinem Geburtsorte (mi tierra), den der Herr auch kennt, und von Oajaca.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_175.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)