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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

über unser letztes Wagniß, das Besteigen einer geländerlosen, von Schutt bedeckten Altane, von wo aus nur ein kühner Sprung dazu gehörte, um über einen weiten Mauerspalt auch in den Thurm zu gelangen, in welchem jener alte Alchymist und Sterndeuter sich hingeflüchtet hatte, der sich unter dem Namen „Peter Euler“ vor den Verfolgungen der „Rosenkreuzer“ einst hierher geflüchtet. Er soll da lange Jahre geschützt gelebt haben, stand der Annahme jener Zeiten zufolge „mit Geistern“ im Bunde und suchte jenes Lebenselixir herzustellen, das den Tod zu bannen bestimmt war, ein Versuch, mit dem sich noch der berüchtigte Graf Cagliostro beschäftigte und der einen Theil seiner mystischen Betrügereien am Hofe von Versailles bildete.

Nach dieser Altane, die allerdings wenig Schutz gegen rasches und schlimmes Hinabkommen auf die Steine des Burghofes bot, rief uns die glücklich verehlichte Führerin nach: „Ist denn Keiner von Ihnen verheirathet oder verliebt?“ – Dieser prächtige Zuruf vermochte alle meine Begleiter zum Rückzuge, nur mir Soldatenkinde hatte er nichts an. Ich wagte den Sprung und er trug mich glücklich über Schutt und Trümmer in’s Thurmgemach des grauen Mystikers! – Hat der gute Mann an der Stätte den Tod zu bannen gesucht, so ist er jetzt dort leicht zu finden, wenn jene letzten Stufen noch aus ihren letzten Fugen gehn! Ich gestehe offen, daß beim Anblick verschiedener dunkler Glasscherben, die zwischen Schutt und Steinen lagen, mich weniger der Gedanke beschäftigte, ob sie die interessanten Ueberreste der Phiolen wären, in denen sich die Ingredienzien zum Lebenselixir befunden, als die besorgte Frage, ob das Hinab- wohl so gelingen würde, wie das Heraufkommen. Wie war aber jeder Nebengedanke hin und verschwunden bei der Aussicht von dem Thurm! –

Ringsum die Berge, welche die Wetterau umschließen, bald noch im Vordergrund, belaubt, bebaut, im Schmuck der bunten Farben, wie der Herbst sie giebt, – und bald im blauen Duft der Ferne sich verlierend, verwehend mit dem Horizont und seinen Wolken; hier Thäler groß und klein, da weit und offen, – in ihren Tiefen malerisch gelegne Dörfer, Häuser und Hütten. – Zur Linken der Wald- und Bergesgrund „Marienborns“, aus dessen Grün einst Klosterglocken schallten und wo dann späterhin die stillen Herrnhuter weilten; – rechts auf dem Abhang einer andern Hügelkette, umgrenzt von höherem Bergeszuge, des „Haages“ kleine Kirche, jetzt so öd’ und verlassen. Zu ihren Füßen schmiegte einst sich Haus an Haus, die erste Colonie der Mährischen Brüder in der Wetterau, das altbekannte „Herrnhaag“ – das wie mit Zauberschlag emporgestiegen aus der Erde, um rascher als gedacht dem Loos des Irdischen anheim zu fallen.

Doch – der Sprung zurück mußte endlich versucht werden, und – er gelang, wobei ich allerdings die Versicherung nicht unterdrücke, daß ich mich schwerlich noch einmal hinauf wage. Mit freundlichen Vorwürfen von meiner Begleitung überschüttet, lief ich der letzten und für mein aufgeregtes Gemüth für die unvergleichliche Freistattehre der Burg ergreifendsten Erscheinung fast in die Arme. Klingt es nicht wie ein Märchen, daß von den vielen Hunderten der alten Flüchtlings- und Wandergäste der Burg gerade vom ältesten, vom jüdischen Stamme derselben noch heute zwei Wesen übrig sind? Die ganze jetzige Bevölkerung der Ronneburg besteht nämlich außer der Thorwartfamilie aus zwei alten Jüdinnen, von denen die eine in einem kleinen Hause des ersten Hofs wohnt, die andere aber in jenem Flügel des innern Hofraums, den einst die Kinder Israel hier oben inne hatten, nun ganz allein haust.

Die jüngere der beiden Jüdinnen, eine Jungfrau von weit über sechszig Jahren, hat ein liebes, ansprechendes, gutes und sehr intelligentes Gesicht, ist geistig aufgeweckt und geistig auch noch jung, denn klar und sicher sprach sie uns von Allem, was sie erlebt, – an jener interessanten Stätte gesehen und gehört hatte. Ihr Bild wird mir unvergessen bleiben, wie sie, dasitzend auf der verfallenen Brustwehr, sich in Erinnerungen verlor an längst vergangene Zeiten. Sie wußte Alles von der Ronneburg, was wir aus schriftlichen Quellen geschöpft oder aus mündlichen Uebertragungen gehört, und gut verstand sie es, alle ihre Aussagen und Erzählungen an der interessanten Stätte wirksam zu erläutern. Ihre gebildete Ausdrucksweise, ihr klares Urtheil und ein selten treues Gedächtniß nöthigten uns Allen Staunen und Bewunderung ab, und fort und fort entzückte uns bei ihrem Wort die schlichte Einfachheit des ganzen Wesens, der Ernst, die Wahrheit ihres Blickes und jenes liebe glückliche Lächeln, mit dem sie die alte Burg anschaute, – so oft sie hier oder dorthin deutete, bei ihren Erzählungen.

Sie war auf der Ronneburg geboren und erzogen, und schon ihre Eltern und Vorfahren hatten da gelebt; – sie war fast nie in die Welt hinaus gekommen und doch vertraut mit deren Form, mit jener feinen Schattirung guten Tons und bessrer Sitte, die nun einmal immer das bevorzugte Erbtheil Derer ist, die ihr Gemüth gebildet haben. Ich fand durch diese arme einfache Frau eine Anschauung auf das Schönste bestätigt, die ich aus den Erfahrungen meines Lebens, im Verkehr mit den Menschen gewonnen habe: daß die echten Perlen des Geistes und Herzens oft in der unscheinbarsten Schale liegen und nur der reichen Fassung der Kunst und eines verfeinerten Geschmacks bedürfen, um ihren wahren Werth hell hervortreten zu lassen.

Die andere Jüdin, eine alte Wittwe in der nationalen Tracht, die Frauen jenes Stammes vorgeschrieben ist, mag eine ebenso interessante Quelle für die Ronneburg sein. Wir erfuhren nichts durch sie, da wir sie in Wahrheit Alle fürchteten, wie sie dort auf der Burg überhaupt gefürchtet zu sein schien. – Sie sah aus wie ein abgeschiedener Geist, und Leben war bei ihr nur in dem unstät blickenden dunkeln Auge zu finden. – Ich bin nicht furchtsam, wär’ auch gerne reich, – doch nicht um Schätze möchte ich mit der Alten eine Stunde in den ausgestorbenen Räumen der Ronneburg allein sein, wo sie als Letzte ihrer Art haust.

M. von Humbracht.




Der Lincoln Mexicos.[1]


Der durch seinen zähen Widerstand gegen die französische Usurpation bekannte Präsident der Republik Mexico, Benito Juarez, ist der Sohn unbemittelter Eltern, zapotekischer Indianer aus einem kleinen Dorfe, welches im Gebirge, der sogenannten Sierra de Oajaca, unterhalb der Präfectur Ixtlan auf einem kleinen Felsplateau liegt. Als kleiner Knabe ward er von seinem Vater in die Hauptstadt des Staates, Oajaca, in ein bemitteltes Haus gebracht, wie es daselbst häufig geschieht, um gegen Kleidung, Nahrung und Elementarunterricht kleine häusliche Dienste zu verrichten. Meistens wurde er als Laufbursche benutzt, bis er ein Alter erreichte, wo er als Ladendiener ausgedehntere Beschäftigungen für baaren Lohn besorgen konnte. Der kleine Benito zeigte sich als gutgearteter, intelligenter und lernbegieriger Knabe, weshalb ihn denn sein Schutzherr, ein reicher und in der Stadt sehr angesehener, der liberalen Partei angehöriger Indianer, Don José Hernandez, in das Colleg gab und später im National-Institut die Rechte studiren ließ, der nämlichen Anstalt, an welcher er nach beendigten Studien Lehrer der Rechtswissenschaft ward.

Oajaca hat sich vom Beginn der Republik an durch die Bildung und das schnelle Anwachsen der liberalen Partei ausgezeichnet, und nirgends im Lande sind die Parteikämpfe häufiger, heftiger und leidenschaftlicher gewesen und hat die liberale Partei so bald die Oberherrschaft errungen, wie hier. Don José Hernandez war zum Obersten des ersten Bataillons der Nationalgarden gewählt, welches in Oajaca errichtet ward, und stand bei der liberalen Partei wegen seines Eifers und seiner Uneigennützigkeit in großem Ansehen. So war es natürlich, daß der heranwachsende Benito bei ihm dessen Principien in sich aufnahm und in Fleisch und Blut verwandelte. Die Zapoteken, deren Stamm er angehört, zeichnen sich vor den meisten Indianern durch Intelligenz, Rechtlichkeit und festen Charakter aus, und diese Eigenschaft besitzt auch Don Benito Juarez in vollem Maße, was selbst seine erbittertsten Feinde, die


  1. Der Verfasser des obenstehenden interessanten Artikels hat sechszehn Jahre lang in Mexico gelebt und dort in sehr nahen Beziehungen zu Juarez gestanden. Zugleich verdanken wir ihm ein photographisches Originalportrait des letztern, welches wir in einer der nächsten Nummern unsers Blattes im Holzschnitte nachbilden werden.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_174.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)