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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

er steigert sich beim vollen Anblick all’ der Baulichkeiten, dieser Thürme, dieser starken, langen Mauern. Zugleich bietet die Ronneburg von jener Stelle aus ein wundervolles Landschaftsbild im Farbenschmuck der Berge und der Bäume, wie denn überhaupt ihre Lage sie zu einer Zierde der Wetterau erhebt.

Je höher wir den Berg hinansteigen, desto mehr tritt jedoch der begonnene Verfall der Burg vor Augen. Bringt uns die Biegung des Pfades auf die andere Seite der Veste, so stehen wir wohl unwillkürlich still. Ueberrascht richtet sich der Blick empor auf das große, alte Ritterschloß mit seinem hohen Glockenthurm, das hier von keiner Ringmauer mehr umzogen ist, und mit seinem mächtigen Unterbau von Quadern in langen Flügeln und Etagen hoch aufsteigt über grünen Rasenwall. Aber zugleich erkennen wir an den fensterlosen Luken in dem Thurme, an

Die Ronneburg.

den mit rohen Bretern oft nur schlecht verwahrten Fenstern beider Flügel die begonnene Zerstörung des mächtigen Baues. Haben wir über die geländerlose Brücke den ersten Hof der Burg betreten, so liegt die volle Ruine vor uns. Ueber Schutthaufen steigen wir an eingesunkenen Mauern hin, um Inschriften alter Denksteine zu entziffern; in der Nähe eines ganz verfallenen Thurmes mit schuttbedeckter Wendeltreppe ist aus den verwitterten Stufen ein Baum gewachsen, das einzige Lebenszeichen der Natur in diesem einst so lebensvollen Hofraume.

Wir folgten unserer Führerin, der Frau des Thorwarts, von da durch einen gewölbten Gang, in welchem ein achtzig Klafter tiefer Brunnen in abgeschlossenem Raume liegt, in den zweiten Hof, der jenes Viereck von Flügeln enthält, in denen die Herrnhuter, die Separatisten, Inspirirten und Juden wohnten.

Die Sonne schien licht und freundlich in den engen Raum dieses zweiten Hofes. Die hohen, sich dicht aneinander schließenden Gebäude zeigen sich hier so wohlerhalten, daß man glauben könnte, sich in einer renovirten oder mindestens nicht so alten Burg zu befinden. Wir betraten das Innere. Unser erster Blick fiel auf eine Steintafel mit der Inschrift, welche uns in den ungelenken Versen jener Zeit sagt, daß der Saal, vor welchem sie steht, im Jahre 1570 erbaut worden sei. Dies war der Betsaal der Separatisten und hier soll auch Calvin gepredigt haben. Er ist noch ebenso wohlerhalten, wie die weite Halle im Hauptflügel, in der die Mährischen Brüder ihren Gottesdienst hielten; letztere ist gewölbt und die Bogen ruhen auf mächtigen Säulen.

Trotz der Abmahnungen unserer Führerin und der oft augenscheinlichen Gefährlichkeit der Gänge drangen wir immer weiter in das Innere der Burg, in ihre verschiedenen Flügel vor. Wir sahen lange Reihen sich wie Zellen aneinander fügender Räume, die an ihre ehemalige Bestimmung erinnerten, suchten aber vergeblich in diesen Hunderten von Gemächern nach einem Stück Möbel, einem Bilde irgend einer Reliquie früherer Zeit! Nichts, auch gar nichts der Art ist auf der Ronneburg zu finden; in allen Sälen, allen Stuben, allen Kammern, und wir waren wirklich in allen!

Unzählige Male schrie unsre Führerin uns zu: „Um Gotteswillen, da dürfen Sie nicht hin!“ – und citirte pflichtschuldigst alle obrigkeitlichen Weisungen, die sie erhalten, wo noch Jemand gehen dürfe. Wir fanden immer irgendwo ein unverschlossenes Thor, ein Thürchen, das der Verfall gebildet hatte und wo man also neben dem Gesetz hindurchschlüpfen konnte. Oft genug mußten wir dem Gesetze Recht geben, wenn wir in Gesellschaft von Steinen, Kalk und Mörtel aus einem Trümmerhaufen hervorkrochen; wir gestanden dann, daß die Isenburger Baucommission sehr recht gethan, dort den Eintritt zu verbieten, und fügten stets die auf unserer Erfahrung basirende Warnung hinzu: „Halten Sie Jeden fest, der hier leichtsinnig sein Leben auf’s Spiel setzen will.“ Aber uns selbst hielt kein Hinderniß zurück. Ja, wir sparten der armen Frau selbst nicht ihren höchsten Schrecken

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_173.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)