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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Mittelhochdeutsche hat natürlich noch die richtige Form Elbe) gedacht wurde, beweist seine Neigung, den Kindern im Schlaf die Haare zu verwirren, zu „verzotteln“, ein Lieblingswitz dieser muthwilligen Geister. Allmählich traten nun seit dem Religionswechsel seine wohlthätigen Eigenschaften zurück hinter den schädlichen, und er ward aus einem Feldgott ein Feldteufel.

Wenn Pfingsten, das „liebliche Fest, ist gekommen“, wird in vielen Dörfern Ober- und Niederbaierns, Schwabens und der Oberpfalz der „Pfingstl-Ritt“, der „Pfingst-Lümmel“ gefeiert, eine Uebung, in welcher heutzutage zwei Handlungen vereinigt werden, welche ursprünglich einen verschiedenen Sinn und gesonderte Tage hatten. Es scheint nämlich das oben geschilderte Spiel des Sieges des Sommers über den Winter zusammengeworfen worden zu sein mit einer in der heißen Sommerzeit, in welche jetzt Pfingsten fällt, sehr natürlichen symbolischen Handlung: einem dramatisch in Scene gesetzten Bittgang um Regen. Ein Aufzug von jungen Burschen reitet nämlich durch das Dorf, Gaben zu dem Festmahl sammelnd und einen ganz in Schilf und Laub gehüllten, von Grün völlig überdeckten Genossen in der Mitte führend, welcher in den nächsten Teich oder Bach geworfen und über und über mit Wasser beschüttet wird. Es ist dies nicht eine bildliche Ertränkung, wie bei der Besiegung des Winters, sondern, wie aus den erhaltenen Bruchstücken alter Lieder, die ehemals bei dieser Gelegenheit gesungen wurden, und noch viel deutlicher aus der Analogie ähnlicher Gebräuche bei zahlreichen andern germanischen und nichtgermanischen Völkern hervorgeht, eine symbolische Bitte an die Götter, die grünende Sommererde mit Wasser zu begießen.

Das Grundgesetz aller symbolischen Handlungen in der heidnischen Religionsübung der Deutschen ist ein Agiren, ein bildliches Vornehmen derjenigen Handlung, welche man von den Göttern vorgenommen haben will. Um ihnen recht eindringlich zu zeigen, was sie thun sollen, genügt es dem lebendigen, sinnlichen Gefühl des Naturvolkes nicht, ihnen in Worten die Bitte vorzutragen: man zeigt es ihnen durch Thaten im Kleinen, was sie im Großen nachmachen sollen. Es liegt darin eine sympathetisch zwingende Gewalt, welche die Götter wie ein Höllenzwang und Geisterbann nöthigt, auch gegen ihre Neigung dem Menschen zu willfahren. Wenn z. B. die Hexe oder das böse alte Bauernweib ein wächsernes Bild ihrer Feindin macht und dessen Brust mit glühenden Nadeln durchsticht, so zeigt sie den Göttern, wie sie mit allen Pfeilen der Schmerzen den Leib der Verhaßten durchbohren sollen. Oder wenn die Volksmedicin rothe Exantheme, Masern, Scharlach dadurch heilt, daß sie rothe Krebsschalen auf die Haut des Kranken streut und sie dann plötzlich mit einem Hauch hinwegbläst, so zeigt sie den Göttern, daß sie in gleicher Weise die rothe, fremdartige Auflage, mit welcher sie die Haut bedeckt haben, hinweghauchen sollen. Auf dem nämlichen Gedanken beruht der symbolische Vorgang bei dem „Pfingstl“; ursprünglich war es ein schönes, junges Mädchen, welches, ihrer Gewänder entkleidet und über und über in grünes Laubwerk eingehüllt, die jungfräuliche grüne Sommererde darstellte. Bis vor Kurzem hat sich in andern Gegenden und bei andern Stämmen Deutschlands, z. B. in Friesland, dann auch in England, derselbe Brauch erhalten und zwar mit Beibehaltung der weiblichen Repräsentantin, wie dies auch bei Kelten, Slaven, Romanen, Neugriechen und einzelnen orientalischen Völkern der Fall ist. Die Götter werden darauf in bestimmten Formeln und Liedern angerufen, „zu thun an der großen Jungfrau, wie wir hier an dem kleinen Mädchen“, und nun beginnt das Beschütten und Begießen der grünen Laubgestalt.

Uebrigens finden, auch abgesehen von den erwähnten Festen, ähnliche „Processionen“, Bittgänge, Feldumgänge in allen katholischen Gegenden Deutschlands sehr häufig statt; zum Theil stecken darin uralte Erinnerungen an das Heidenthum, denn wir wissen aus Tacitus, aus den Sagen des Nordens und aus mittelalterlichen Traditionen, daß einen Hauptbestandtheil des Cultus der Germanen solche feierliche Umzüge ausmachten, bei denen die Bilder der Götter, um Segen und Schutz zu verbreiten, um alle Marken des Landes getragen oder auf Wagen gezogen wurden. Welche Ironie, daß das bigotte Katholikenthum gerade in solchen Dingen das echte Christenthum sucht, in welchen das echteste Heidenthum steckt! Selbst bei dem „Antlaß“, der Frohnleichnamsprocession, in welcher das Fest der Einsetzung des Abendmahles durch Umtragen des Leichnams des Herrn (Herr altdeutsch Frô) gefeiert wird, kommen heut’ zu Tage noch heidnische Aberglauben und Gebräuche vor; z. B. sind die Aeste der jungen Birken, durch deren Spaliere die Procession sich bewegt hat, das beste Mittel gegen Hagel und Blitz, wenn man die getrockneten Blätter bei dem Aufsteigen des gefürchteten Unwetters in einer eisernen Gluthpfanne verkohlt, in welche aber beileibe kein Nagel eingenietet sein darf, sonst zieht dieser umgekehrt den Blitzstrahl an. Ferner werden bei diesem Umzug kleine Fähnlein an möglichst langen Stangen geschwenkt, um alle bösen Geister und alle in den Wolken des Himmels lauernden Blitze aus der Nähe der Gemarkung zu verscheuchen.

In die Zeit, da die letzten Garben der Ernte vom Felde in die Scheune gebracht werden, also in Süddeutschland zu Ende August, fällt das fröhliche Fest der „Sichelhenk“ („Schnitt-Hahn“), welches in analoger Weise die glückliche Einbringung, wie die „Drischl-Leg“ oder „Drischl-Henk“ die glückliche Ausdreschung des Jahressegens feiert. Der Knecht, welcher die letzte Garbe geschnitten und gebunden, trägt sie dem Zuge der Uebrigen voranschreitend auf seiner Schulter nach der Tenne. Dort wird sie niedergelegt und die Paare tanzen im Kreise darum. Darauf wird die Garbe in zwei Theile gelöst: die eine Hälfte wird mit rothen Bändern geziert in die Scheuer gebracht, die andre aber wird auf offener Tenne verbrannt, die Burschen springen in das Feuer, die Mädchen werfen allerlei Kleinigkeiten, Bänder, buntes Papier, Lebkuchen in die Flamme und bewahren die Asche als ein Mittel gegen Fieber und Rheuma; auch zu sympathetischem Liebeszauber wird sie vielfach verwendet. Die Flamme dieses Feuers beleuchtet und erhellt die Bedeutung des ganzen Gebrauches: offenbar liegt ein altes Dankopfer zu Grunde, dargebracht dem Gott des Ackerbaues für die glückliche Einbringung der Frucht. Ganz charakteristisch ist dabei, daß ein Theil der letzten Garbe nicht auch für den Nutzen der Menschen in Anspruch genommen, sondern dem Gott geopfert wird. Dieser schöne Zug, daß der Mensch den Segen der Natur nicht mit habsüchtiger Härte bis auf’s Aeußerste ausnützen, sondern im Gefühl des Dankes auf einen letzten Rest verzichten soll, ist echt germanisch und findet sich überall, wo dieser Stamm den Acker baut oder Spuren seiner Sitte zurückgelassen hat, von Scandinavien bis nach Spanien; oft kommt der Gedanke in der Form vor, daß der Bauer die letzten Halme auf dem Felde stehen, die letzten Aepfel auf dem Baume hängen läßt, „die sind für den Woden (Wodan, Odhin), für den Alten,“ sagt er geheimnißvoll, wenn man ihn darum zu Rede stellt. Und verabsäumt man diese fromme Pflicht, so versagt der Gott im nächsten Jahr von dem Acker oder dem Baum, dem man Alles abgenommen, jede Frucht.

In Niederbaiern wird das nämliche Fest in einer noch deutlicher mythologischen Weise gefeiert. Dort errichten die Schnitter aus der letzten Garbe eine menschenähnliche Strohfigur, der sie einen Stock in den rechten Arm stecken und das Haupt mit Blumen kränzen. Darauf wird das Bild des Gottes umtanzt und man kniet wohl auch vor der Strohgestalt nieder und betet, freilich heut’ zu Tage nicht mehr zu diesem Strohbild, sondern zu Gott, aber doch hat ein Gebet gerade vor diesem Bilde noch heute die Wirkung, daß der Betende das Jahr über sich bei keiner Verrichtung des Feldbaues schädigt oder verletzt. Auch legt man vor dem Bild des Gottes, der „Aswalt“, „Oswalt“ heißt, kleine Gaben nieder, namentlich jene Reste der Obst- und Kornernte, welche man nicht mit einheimst.

In der ersten Woche des Advent fangen die „Anroller“, „Klöpfels“, „Geb-Nächte“ an und am 6. December erscheint der heilige Nikolaus (der „Niklâ“), begleitet von seinem in eine zottige Wildschur gehüllten Knecht, dem „Klaubauch“ oder dem „Wauwau“, welcher die ungezogenen Kinder in seinen großen Zwerchsack steckt, sie in den Wald trägt und dort mit Stiefel und Rock verspeist, während er aus einem zweiten Sack Obst, Backwerk, Nüsse, Spielzeug für die artigen Kinder hervorlangt. Oft begleitet die heidnische Göttin Berahta, die „Berchtfrau“, strafend und lohnend den christlichen Bischof, der aber ebenfalls ein verkappter Heidengott ist. Professor Zingerle in Innsbruck hat eine kleine Schrift veröffentlicht, in welcher er zu beweisen sucht, daß St. Nikolaus und sein Knecht mit dem rothen Bart Niemand anders ist, als Wodan und Donar, wie er früher dargethan, daß bei dem Gebrauch scheidender Freunde, sich „Johannis-Segen“ und „Gertruden-Minne“ auf ein frohes Wiedersehen zuzutrinken, Johannes an die Stelle des Gottes Freyr, Gertrud an die der Göttin Gerdha getreten ist.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_167.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)