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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Zukunft, ja sah in ihm schon den dereinstigen Nachfolger des Vaters und fühlte sich durch die erwähnte Umkehr noch mehr in diesem Glauben bestärkt. Nur der Baron selbst, hegte denselben nicht und war leider auch hier im Recht. Die Nachrichten, welche über des Sohnes Universitätsleben einliefen, hätten auch ein freundlicheres Vaterherz bekümmern und verletzen müssen, und mit einem Male stellte es sich heraus, daß der Student in der Burschenschaft eine hervorragende Rolle gespielt, beim Hambacher Fest gewesen, am Frankfurter Attentat sich betheiligt habe und verhaftet worden sei.

Das traf gerade in jene Zeit, als der Minister von seinem Posten zurückgetreten war und noch eben, wie wir erfuhren, jeder freieren Regung auf das Leidenschaftlichste sich widersetzt hatte. Es ist, zusammengehalten mit allem Uebrigen, daher begreiflich, daß er über seinen Sohn fast ein härteres Urtheil fällte, als die erbarmungslosen wirklichen Richter dieser armen jungen Leute. Er erklärte von dem Sohne nichts mehr wissen zu wollen, bemühte sich selbst nicht für ihn und verbat sich sogar die angebotene Verwendung des Hofes. Leopold theilte daher das Schicksal seiner Genossen, die Verurtheilung zum Tode und die Begnadigung zu dreißig Jahren Festungshaft.

Daß der Vater seine Härte jemals bereut habe, wurde nicht bemerkbar. Als die unglücklichen Jünglinge durch den Gnadenact des Jahres 1840 befreit wurden, lehnte er jede Versöhnung mit dem armen Kinde, ja jede Begegnung bestimmt ab, und als der Sohn diese letztere dennoch suchte und gewissermaßen erzwang, führte sie zu keinem besseren Verhältniß, sondern anscheinend zur völligen Trennung der Verwandten. Der Sohn reiste gleich nach der Unterredung wieder ab und verschwand aus den Augen der Bekannten – die ihm bestimmte jährliche Rente wurde an ein Bankhaus in Frankfurt bezahlt; der Vater nahm den Namen des Entfernten nicht mehr in den Mund, wollte ihn auch von Anderen nicht mehr nennen hören, machte bald darauf sein Testament und bestimmte in diesem die Herrschaft Dernot und sein gesammtes Privatvermögen für die Tochter zweiter Ehe. Von dem großen Treuenstein’schen Majorat war keine Rede. Der Name dessen, dem es freilich nicht genommen werden konnte, schien selbst hier nicht genannt werden zu sollen. Und die alten Diener des Hauses, die den „jungen Herrn“, wie das nicht selten geschieht, von jeher sehr geliebt und stets entschuldigt hatten, flüsterten einander von einem Befehl des Barons an den Rentmeister zu Treuenstein zu: falls Leopold sich bei Lebzeiten des Vaters auf einem der Güter einfinden sollte, habe er, der Rentmeister, ihn allsogleich fortzuweisen und keinen Widerspruch zu dulden.

Mit diesen Ereignissen schien das Schicksal die schweren Schläge gegen den Baron beendigt zu haben. Der nun schon bejahrte Herr lebte fortan Jahr aus, Jahr ein auf gelegentlichen Reisen oder auf seinen Besitzungen in Ruhe und Frieden, mit Glanz und einem seinem fürstlichen Vermögen entsprechenden Aufwand, als großer Edelmann. Von dem Fanatismus, wie wir es wohl heißen dürfen, der ihn in der letzten Zeit seiner Amtsthätigkeit beherrscht und ihn auch während der ersten Jahre seiner Zurückgezogenheit noch entstellt hatte, war nichts mehr übrig geblieben. Die alte Milde, Liebenswürdigkeit und Rücksicht machte ihn seinen Bekannten von Neuem theuer, und wenn er sich, was freilich selten geschah, zu einem Urtheil über die hier und dort herrschenden öffentlichen Zustände, über die Zeichen der Zeit, mit einem Wort über Politik bewegen ließ, so durfte man ein einsichtiges, billiges, und verhältnißmäßig freisinniges erwarten. Zu dem Hofe war sein Verhältniß allmählich wieder ein freundliches geworden. Er selbst war in der Residenz zwar nur ein paarmal wieder gesehen worden, dagegen empfing er von Zeit zu Zeit einen Besuch des Fürsten oder der fürstlichen Familie auf seinem nicht weit von der Stadt belegenen gewöhnlichen Wohnsitz. Zu einem Wiedereintritt in die Geschäfte, oder auch nur zur Annahme einer diplomatischen Mission war er jedoch nicht zu bewegen gewesen.

Der Baron hatte freilich nicht Unrecht, wenn er in solchem Falle einmal angegeben hatte, daß seine gegenwärtigen Geschäfte seine volle Thätigkeit in Anspruch nähmen. Er ordnete auf der erwähnten Besitzung die von seinen Reisen zurückgebrachten Sammlungen und Kunstwerke, er baute das Schlößchen aus und schmückte und putzte an ihm und seinen ohnehin reichen und anmuthigen Umgebungen immer fort; er übte eine großartige Gastfreundschaft gegen die vielen alten Bekannten von nah und fern und gegen die neugierigen Besucher, welche der Ruf der hier aufgestellten Kunstschätze, des prachtvollen Parks, der auf der Besitzung betriebenen Musterwirthschaft anlockte, und widmete sich endlich der Bewirthschaftung und Verbesserung der großen Güter und dem Wohl seiner Untergebenen und Diener mit dem regsten Eifer und der treuesten Sorge.

Nur eine Besitzung gab es, um die der Baron, wenn er sie auch nicht vernachlässigen ließ, sich doch nicht persönlich bemühte, – das war seltsamerweise die Perle von allen, die Herrschaft Dernot. In seinen Knaben- und Jünglingsjahren war er bei dem damaligen Besitzer, seinem Onkel, fast häufiger und länger zu finden gewesen als in seinem Elternhause; er hatte von dort aus auch seine Jugendgeliebte kennen gelernt. Dann war er zu Anfang des Jahrhunderts, wo Dernot bereits seinem Vater zugefallen war, noch einmal ein paar Wochen lang der reichen Jagd wegen dort geblieben und hatte – seitdem die Besitzung mit keinem Fuß wieder betreten. Weshalb, erfuhr man nicht. Baron Treuenstein liebte gelegentlich nichts weniger als eine Anführung der Gründe seines Handelns. Man mußte so oder so sich mit dem Factum begnügen und wohl oder übel vertragen lernen.

Seiner Familie gegenüber, so Viele von derselben noch übrig waren, zeigte er sich als der treueste und großmüthigste Verwandte. Eine unverheirathete Schwester stand seinem Hause vor, und er ertrug die Launen und Wunderlichkeiten der bejahrten Dame mit bester Manier und vielem Humor. Die beiden Enkel einer anderen Schwester, verwaist und durch die Verschwendung ihrer Eltern verarmt, nahm er ganz zu sich und erzog sie wie eigene Kinder. Und sein wirkliches Kind endlich, „die Blume in seinem Dasein und die letzte Hoffnung in seinem Leben“, die schöne Esperance, er- und verzog er mit einer an Abgötterei grenzenden Liebe, mit einer bis zur Schwäche sich steigernden Geduld und Nachsicht gegen ihren Uebermuth, ihre Ausgelassenheit, ihre zahllosen kleinen Launen und Einfälle.

Die Anderen machten es freilich nicht anders. „Die Herrin von Dernot“, wie das Mädchen seit jenem Testament von Verwandten und Freunden, nur nicht vom Vater, wohl scherzhaft genannt wurde, war der Abgott Aller und die Gebieterin über die Person und Familie, das Haus und den Besitz ihres stolzen, vor Niemand sonst sich beugenden Vaters, diejenige, um welche sich alles Leben, man hätte sagen mögen, alles Denken, Träumen und Empfinden der Ihren drehte.




2. Das Glücksrad geht um.

„Sie haben ganz Recht, mein Lieber, es ist etwas d’ran – solch’ ein Morgen auf dem Lande ist nicht übel – notabene wenn man dazu nur nicht immer so deprimirend früh aufstehen müßte!“ sagte der Kammerherr mit einem nicht ganz verborgenen leichten Gähnen, aber auf das Freundlichste, und sein Auge schweifte mit einer Art von Wohlgefallen über den prachtvollen Rasengrund und die nächsten Parkgruppen, welche sich am Fuß der Terrasse hinzogen; „Charmant, wirklich charmant,“ fügte er seinem Begleiter zunickend bei, „wenn man sich herausfindet! Aber dies Wenn – ich bewundere Sie, Baron, daß Sie in Ihrem Alter es durchsetzten.“

Der Baron lächelte. „Nun, nun, Brose, sechszehn Jahre sind lange genug, um sich an etwas zu gewöhnen. Aber ich war von jeher etwas von einem Frühaufsteher. Wißt Ihr noch, Brose, als ich Euch Alle damals zur Morgenpartie der Prinzeß Clementine aus den Betten holte?“

Herr von Brose lächelte gleichfalls: „Ihr waret immer ein Spaßvogel, Treuenstein!“ – Und die beiden alten Herren wandelten behaglich weiter unter dem weiß und blau gestreiften Zeltdach hin, welches die Terrasse und den Frühstückstisch überspannte. Der Schatten war wohlthätig, denn so gar zu früh war es keineswegs mehr, die Sonne hatte die Morgennebel bereits völlig zerstreut, die Ebene, auf welche man durch eine Lichtung hinausschaute, lag, von dem blitzenden Fluß durchzogen, bis zu den fernen blauen Bergen in wunderbarer Klarheit, und der Tag schien die Menschen daran erinnern zu wollen, daß man den September nicht immer mit Unrecht noch zum Sommer rechnet.

Baron Treuenstein blieb wieder stehen. „Sehen Sie hin, mein Freund,“ sagte er hinausdeutend und man hörte es wohl, daß er die Schönheit des Morgens und die Anmuth der Aussicht

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