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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und zu gestatten, daß der Wagen in den Hof fuhr. Er lamentirte fortwährend über die Strafe, in die er verfallen würde, wenn man mich bei ihm fände, wurde jedoch sofort entwaffnet, als ich ihm die bewußte Rolle mit fünfzig preußischen Thalern aus dem Wagen langte und ihm rieth, sich davon bezahlt zu machen, wenn ich entdeckt würde, was wir jedoch auf alle Weise verhüten müßten. Als seine Tochter, ein braves und hübsches Mädchen – welchem der Himmel hoffentlich seitdem einen eben so braven Mann und gute Kinder bescheert haben wird – mich aus dem Wagen herausheben sah, bleich und blutig, wie ich es war, brach sie in lautes Weinen aus, fiel ihrem Vater um den Hals und beschwor ihn, ja Alles für mich zu thun, was er könne, um mich vor den umherstreifenden Gensd’armen zu retten. Der Alte versprach es und hat redlich Wort gehalten. Wenn er noch lebt, möge er meinen herzlichen Dank und Händedruck freundlich aufnehmen, der ehrliche und warmherzige Rauschenblatt! – Er hat durch meine Rettung nichts Böses gethan.

Für diese letztere handelte es sich nun zunächst um zwei Dinge: erstens um ein Versteck, wo ich meine Wunde hinreichend heilen lassen konnte, um meine Reise fortsetzen zu können, oder zweitens, um die Mittel und Wege zu augenblicklicher Fortsetzung dieser Reise, bis ich an sicherem Orte meine Herstellung abwarten konnte. Zu einem oder dem andern dieser Wege bedurfte ich die Hülfe von Freunden, sowie der hinreichenden Geldmittel. Um mir zunächst einigen Beistand in der Nähe zu verschaffen, schrieb ich an den Prediger des Ortes, nach dessen Charakter ich mich beim Gastwirth und seiner Tochter erkundigt hatte, und schickte meinen Sohn nach dem Pfarrgut. Der brave Mann besuchte mich sogleich und erklärte sich, nachdem ich ihm über meine Lage und Verhältnisse Auskunft gegeben, ohne Bedenken bereit, mir beizustehen. Er war kürzlich erst verheirathet und versprach mir, als ich ihm von meiner Frau und meinem jüngsten Knaben erzählte, sein junges Weibchen mir zuzuführen. Er hielt Wort, und ich danke der lieben, freundlichen und sehr hübschen jungen Frau manchen Trost und manche Erheiterung in den traurigen vier Tagen, welche ich in Wolperndorf zubrachte. Hoffentlich führt mich das Schicksal vor meinem Tode noch einmal mit ihnen zusammen, damit ich ihnen für all’ das Liebe und Gute, das sie dem fremden Flüchtling erzeigt, nochmals mündlich und von ganzem Herzen danken kann.

Nun schrieb ich an mehrere Freunde und bat sie, ihre Antworten an den Herrn Pastor H. zu adressiren. Dann schickte ich Boten aus, um mich über die Vorgänge um mich her zu erkundigen, zugleich aber, um Mittel und Wege ausfindig zu machen, durch die ich in Sicherheit kommen könnte. Einer meiner Boten brachte mir einige Zeilen vom amerikanischen Consul in Leipzig, Dr. Flügel, dem Verfasser des bekannten großen englischen Wörterbuchs und einem mehrjährigen Freunde. Er bedauerte, selbst nichts Wesentliches für mich thun zu können, rieth mir aber, mich an Dr. Rittler in Altenburg zu wenden, welcher in seinem Hause eine geheime Zufluchtsstätte für politische Flüchtlinge seit Jahren hatte. Ich erinnerte mich, mit dem Doctor in Dresden bekannt geworden zu sein, und schickte denselben Boten sofort mit dem Auftrage an ihn, mir Antwort mitzubringen. Am nächsten Tage kam er mit einem Briefe, in welchem der Doctor mich bat, mich am folgenden Nachmittage, Mittwoch den 16. Mai, drei Uhr, fertig zu halten, vorher aber meinen Bart abzuschneiden und mich sonst möglichst unkenntlich zu machen. Der Bart fiel, wie damals mancher andere, zum großen Bedauern der hübschen Jungfer Rauschenblatt und zu meinem eigenen Leidwesen; denn er war damals noch schwarz. Mein Sohn schnitt mir das Haar kürzer, und es bedurfte nur noch einiger kleinen Veränderungen an meinem Anzuge, um mich Leuten, die mich nicht oft gesehen, unkenntlich zu machen. Denn schon hatten die ertragenen Leiden und der Mangel an Nahrung, zu welcher der Appetit erst später wiederkehrte, in meinen Gesichtszügen, meiner sonst straffen Haltung und selbst in meiner ansehnlichen Größe und kräftigen Gestalt eine sehr nachtheilige Veränderung hervorgebracht.

Die Nacht vor meiner erwarteten Abreise und noch ehe ich die obige Toilettenveränderung an mir vorgenommen, hatte ich noch einen Schrecken. Ich erwachte bald nach Mitternacht durch das wiederholte laute Pochen am Hofthore, und als der Wirth zum Oeffnen aufstand und den Pochenden nach seinem Begehr fragte, hörte ich deutlich meinen Namen und bald darauf einen Wagen in den Hof rollen. In größter Hast weckte ich meinen in einem Bett mir zur Seite festschlafenden Sohn und gab ihm schnell einige Instructionen. Ich selbst aber faßte meinen Dolch, hielt ihn unter die Decke und wartete nun in einer verzweifelten Entschlossenheit der Dinge, die da kommen sollten. Bald hörte ich die Tritte von zwei Männern, welche zur Treppe herauf und, der Wirth mit der Laterne voran, zu meiner Kammerthür herein traten. Sein Begleiter war ein langer Mann in militärischer Haltung, doch ohne Bart.

„Nun, da ist er ja!“ rief er aus, als er mich sah.

„Wer sind Sie und was wollen Sie?“ erwiderte ich.

„Ich bin der Kriegsreservist N. (den Namen habe ich vergessen) und habe unter Ihnen in der Schloßgasse gekämpft. Ich war dabei, als Sie verwundet wurden. Der Bart fehlt und das macht mich unkenntlich. Kennen Sie mich jetzt?“

Ich besann mich, daß ich einmal einem Manne seines Namens Geld geliehen, der es mir nicht zurückgebracht hatte. Dies geschah den Führern der demokratischen Partei damals oft, da viele Lumpen sich an sie drängten, die nur mit der Maske des Demokraten Eintritt in anständige Kreise fanden. Es war mir, als hätte ich sonst noch Uebles über den Mann gehört, doch wußte ich nicht was. Auf jedem Fall hielt ich es für klug, vorsichtig zu sein und ihm nichts von meinen Plänen und Aussichten zu entdecken. Nach einigem Hin- und Herreden fand ich heraus, daß er in Dresden bei meiner Frau gewesen und ihr angeboten, mich zu retten, und daß sie ihm einiges Geld und meine Adresse in Freiberg gegeben. Meine Verwandten in Freiberg hatten ihm gesagt, daß ich nach Halsbrücke gegangen. In Freiberg hatte er auf meine Rechnung einen Lohnkutscher genommen und war mit ihm zu den Verwandten in Halsbrücke gefahren. Dort hatte man ihm meinen Reiseplan mitgetheilt und den Wagen und Fuhrmann beschrieben, mit dem ich abgereist. Unterwegs hatte er den letzteren getroffen und von ihm eine genaue Beschreibung meines Aufenthaltes erhalten. Und so hatte er mich gefunden. Wie ich später erfuhr, hatten meine Verwandten den Lohnkutscher bezahlen müssen, und es schien, die ganze sonderbare Anhänglichkeit war mehr auf eine Prellerei und auf Rettung seiner eigenen Person gerichtet, als auf meine Sicherheit. Sollten wir uns darin geirrt haben, so bitte ich hiermit aufrichtig um Verzeihung.

Am Nachmittag kam Rittler zur festgesetzten Stunde und brachte seinen neunjährigen Sohn Anton mit, damit der Wagen mehr das Ansehen einer Familienangelegenheit erhalte. Durch die Erfahrung klug geworden, schärften wir den Freunden in Wolperndorf ein, Niemand, wer es auch sei, meinen Aufenthalt zu verrathen, und fuhren nach herzlichem Abschied und mit dankerfülltem Gemüth gegen alle die guten Menschen davon. Nur einmal hatte ein Gensd’arm, der Albert gesehen, angefragt, aber zum Bescheid erhalten, daß der junge Mensch auf der Pfarre zum Besuch sei; so viel man wisse, sei er ein Vetter oder gar ein Bruder der Frau Pastorin. Nachdem Rittler sich überzeugt, daß ich geläufig und mit gutem Accent englisch sprach – Engländer hatten mich schon hier und da für einen Landsmann gehalten – kamen wir überein, daß ich als Amerikaner, und zwar als Mr. Charles Murray (das C. M. mußte der Wäsche etc. wegen beibehalten werden), der beim Umwerfen des Wagens ein Bein gebrochen, im Hause des Doctors eingeführt werden und dort an seinem Schaden behandelt werden sollte. Deutsch durfte ich nur wenig und nur gebrochen sprechen, außer wenn wir ganz allein waren. Die Frau Doctorin hatte mehrere Jahre in England gelebt und sprach gut englisch; und so konnte sie die Dolmetscherin machen, und Niemand konnte eine Idee haben, daß Mr. Murray von New-York eigentlich Niemand anders als Dr. Munde von Dresden sei. Um dem Factum das Siegel aufzudrücken, sollte ein junger Engländer, der sich in Altenburg aufhielt und Rittlers häufig besuchte, bei mir eingeführt werden. Und so geschah es denn, und zwar, trotz der vielen Chancen, denen unser Plan ausgesetzt war, mit glücklichem Erfolg. Rittler hatte es eingerichtet, daß wir im Dunkeln in Altenburg ankamen, welches von einem Bataillon Preußen besetzt war. Wir wurden zwei Mal von Schildwachen angehalten. Meines Freundes „Doctor Rittler“ mit einem kräftigen Druck der Hand auf den Nacken seines Söhnleins, der dessen Gesicht zum Wagenschlag hinaus beförderte, hatte ein gleichgültiges „Passirt!“ zur Folge, und so gelangten wir glücklich an des Doctors Haus, wo wir

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