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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

auf; Feldern stand vor ihr. Anfangs hatte sie jede Minute, die noch bis zu seiner Rückkehr verfließen mußte, gezählt und sich nun doch von derselben überraschen lassen!

„Alma!“ preßte er hervor, als er sie sah, und seine Hand griff nach der Lehne eines Stuhls, wie um sich daran zu halten.

Bleich, zitternd und unfähig, ein Wort zu sprechen, blickte sie ihn an.

„Warum das Schwere noch schwerer machen?“ fügte er im Tone des Vorwurfs, der aber doch milde klang, hinzu.

Alles, was sie ihm sagen, womit sie sein Herz rühren, seine Liebe wieder zu gewinnen suchen wollte, war in dieser Secunde aus ihrem Geist entschwunden; sie konnte nur in stummer Angst die Hände ringen und fand endlich nur das Eine Wort: „Friedrich, muß es sein?“

„Frage Dich selbst, Alma, ob wir nicht unter dem Gesetz einer furchtbaren Nothwendigkeit stehen!“ sagte er ernst, aber ohne alle Bitterkeit.

„Sie fand wieder keine Antwort.

„Denk’ an das,“ fuhr er fort, „was mir Dein Mund verrieth, in der letzten Stunde, wo wir uns sahen!“

„Friedrich,“ rief sie, „verdamme mich nicht um das, was ich in jener Stunde sprach, wo ich meiner Sinne, meines Denkens nicht mächtig war. Ich weiß jetzt, daß ich schwer geirrt und gefehlt habe – ich habe es auch schwer gebüßt,“ setzte sie leiser hinzu.

„Ich wußte, daß früher oder später ein Tag kommen würde, der mich rechtfertigen mußte, Alma,“ sagte er, „und darum ist es auch nicht jene Stunde, die uns scheidet.“

„Nein, es ist nicht jene, es ist jede Stunde, Friedrich, von der ersten an, wo wir unsere Hände ineinander legten. Kannst Du mir die Schuld jeder dieser Stunden vergeben?“

„Vergeben?“ fragte er mit einem schmerzlichen Lächeln, „vergeben, daß Du nicht glücklich warst?“

„Nein, Friedrich, aber daß ich vergaß, was ich Dir einst gelobte: daß Dein Glück an meiner Seite gesichert sein sollte. Es gab eine Stunde – und ich denke mit bitterer Scham daran! – wo ich Dir in der stolzen Zuversicht meines Herzens meine Hand bot und Dich reich damit zu machen glaubte. Sie fordert ihre Sühne.“

„Alma!“ unterbrach er sie erschüttert.

„Feldern, wie damals trete ich vor Dich hin, aber jetzt fordere ich nicht, ich flehe Dich an: ist’s möglich, so laß mich Dein Weib sein! Um meiner tiefen, unsäglichen Liebe willen verstoße mich nicht und gönne mir noch einmal den Platz an Deinem Herzen!“

Erstaunt, überwältigt hörte er, was sie sprach. „Alma,“ rief er, „Deine Aufwallung reißt Dich hin – schütze Dich, schütze auch mich vor einer Enttäuschung; mein Herz würde sie nicht tragen können!“

„Gott im Himmel, ist’s möglich?“ sagte sie und es klang wie jubelnde Hoffnung durch ihre Frage, „habe ich denn noch Theil an Deinem Herzen?“

Die Antwort hätte sie in seinen tiefen, seelenvollen Augen lesen können, auch wenn die Lippe stumm geblieben wäre. „Weißt Du nicht,“ sagte er, „daß ich Dich mehr liebte, als mein Leben, da ich mich von Dir zu trennen beschloß, und daß ich es nur wollte, weil ich an Deiner Liebe und Deinem Glück verzweifeln mußte?“

Als er ihr einst gestand, daß er sie liebe, hatte sie nicht aufgejubelt im Gefühl ihres sicheren Glücks; sie that es auch jetzt nicht – in demüthiger Bewegung griff sie nach seiner Hand und küßte sie. „Friedrich,“ flüsterte sie, „Du hast mich reich gemacht über mein Bitten und Verstehen; mein Lebenlang will ich Dir dienen und Dir gehorchen!“

In der nächsten Secunde fühlte sie sich von seinen Armen umschlossen und ruhte selig weinend an seinem Herzen. Er aber wußte: Alma war in dieser Stunde sein geworden.




In einem Genfer Landhause.


Ich hatte Karl Vogt seit mehr als zwanzig Jahren nicht gesehen. Während dieser Zeit hatte ich die halbe Welt durchwandert und von allen Gütern, die seitdem mit der fliehenden Jugend mir abhanden gekommen, vermißte ich am schmerzlichsten jetzt den alten, guten Humor. Um diesen aufzufrischen und mich zugleich an der Geistesgesundheit eines tüchtigen, ganzen Menschen zu erquicken, wußte ich kein besseres Mittel, als den ehemaligen Reichsregenten in seiner Einsiedelei aufzusuchen. Unbeirrt von dem politischen Hader, der ihn umtobte, sah ich ihn gleichsam über den Dingen stehend, heiteren Gemüths auf das Gewimmel unter sich herabschauend, und wenn ihm der Lärm gar zu toll wurde, manchmal von seiner Alpenhöhe eine Rakete in die wirre Masse hineinfeuernd, daß es blitzte und zündete. –

Eine halbe Stunde von Genf, wo die Arve ihre grauen Gletscherwasser der dunkelblauen Rhone zuführt, traf ich den deutschen Gelehrten in einem bescheidenen, aber traulichen Gartenhause. Als ich an der Gitterthür läutete, sprang mir ein mächtiger St. Bernhardshund laut bellend entgegen. Ich wurde dabei unwillkürlich an das Temperament seines Herrn gemahnt, denn gleich diesem meinte er es lange nicht so böse, als er sich anstellte. Drei muntere Knaben, die im Garten beschäftigt waren, geboten dem Hunde Ruhe, der sich jetzt schweifwedelnd einer Dame zuwandte, welche mir öffnete und auf meine Frage nach dem „Herrn Professor“ mir mit freundlichem Ausdruck antwortete: „Ich will Sie zu meinem Manne führen.“

Dieser jedoch schien mich vom Fenster aus schon bemerkt zu haben und kam mir mit seinem alten Lachen entgegen, einem Lachen, das ihm ganz allein und eigenthümlich angehört und das sich seit zwanzig Jahren nicht um einen Laut verändert hatte: „Grüß Gott, Hans! Direct aus Senegambien? Buben, kommt her, das ist der Gletschermann, von dem ich Euch erzählt habe. Aber wir wollen nicht draußen bleiben, kommt nur Alle herein!“

Wir folgten ihm in’s Studirzimmer. Es war dies ein kleiner, mit vielen Büchern und wenigen Möbeln einfach ausgestatteter Raum, zu dem man durch ein Vorzimmer gelangte, welches den größeren Theil der Bibliothek und die Sammlungen des Naturforschers beherbergte. Das Studirzimmer war durch zwei Fenster erleuchtet, von denen das eine die Aussicht auf den Jura und die rauschende Arve gestattete, das andere mit einer Art Gartenpavillon in Verbindung stand, der jetzt, es war im beginnenden Winter, geschlossen war. Zu genialer Unordnung bot das kleine Zimmer entschieden keinen Raum. Ein gutes Landschaftsbild, die Copie eines Ruysdael, und einige Portraits zogen den Blick von einer langen Schädelreihe und Hirnabgüssen ab, welche zunächst in die Augen fielen.

Die Frau Professor und die Kinder, zu denen sich jetzt auch ein schwarzäugiges Mädchen gesellt hatte, welche ihres Vaters Liebkosungen als eine gewohnte Auszeichnung vor den minder schmeichelhaft behandelten Buben hinnahm, schauten forschend zu dem „Gletschermann“ empor, der ihnen als ein lebendig gewordener Mythus erscheinen mochte. Mich hatte diese Bezeichnung an meine erste Begegnung mit Vogt erinnert, welche auf dem Unteraargletscher stattfand, als er mit Agassiz, Desor u. A. die unaufhaltsame Bewegung des gefrorenen Stromes nachwies.

„Sie haben seit unserer Trennung keine Noth gelitten,“ sagte ich mit einer unverkennbaren Hinweisung auf seinen imposanten Umfang.

„Das war, wie Sie wissen, niemals bei mir zu befürchten, und sollte es jemals dazu kommen, so hielte ich es sicher mit dem weisen Spruche: ‚Noth kennt kein Gebot.‘“

„Davon haben wir auf dem Aargletscher den Beweis erlebt. Denken Sie sich, Frau Professor, als ich damals das Vergnügen hatte, mich Ihrem Gemahl als einen Collegen vorzustellen, der augenblicklich von dem einzigen Wunsche erfüllt sei, seinen Hunger stillen zu können, wurde ich nur schrecklich ausgelacht und Desor behauptete, Freund Vogt habe über Nacht, während sie Alle ahnungslos schliefen, den letzten Proviant bis auf einen kleinen Wurstzipfel aufgegessen.“

„Marianne, sollte diese ehrenrührige Geschichte nicht vielmehr eine Anspielung des Gletschermannes auf seinen gegenwärtigen Hunger sein?“ wandte Vogt sich lachend an seine Frau.

„O, durchaus nicht. Bitte, bleiben Sie, Frau Professor!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_148.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)