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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Theil an seinem Herzen hatte. Seine Liebe zu Ihnen ist so rein wie seine Seele.“

Alma blickte die Sprecherin stolz an. „Und wie lernten Sie seine Seele und seine Liebe kennen?“

„Durch die Geschichte meines eigenen Lebens! Wollen Sie diese hören, gnädige Frau?“

„Wenn es sein muß, so reden Sie,“ sagte Alma.

„Ich will kurz sein, so kurz wie möglich,“ fuhr die Schauspielerin fort, „aber damit Sie Alles verstehen, muß ich damit anfangen, Ihnen zu sagen, daß ich nicht immer meinem gegenwärtigen Stande angehört habe: ich stand höher oder tiefer – wie Sie es nennen wollen. Mein Vater war Subalternbeamter in einer mittleren Stadt, starb aber, als ich kaum das dreizehnte Jahr zurückgelegt hatte, und kurz darauf – ich war eben eingesegnet – verlor ich die Mutter. Andere Verwandte hatte ich nicht, deshalb bestellte mir das Gericht einen Vormund, der aber erklärte, da ich nicht das geringste Vermögen besäße, müsse ich selbst für meine Existenz sorgen. Er brachte mich bei einer Putzmacherin unter, um deren Geschäft zu erlernen, und hier blieb ich mehrere Jahre. Es war im Ganzen eine glückliche Zeit, denn ich war hier mit mehreren anderen jungen Mädchen zusammen, die mit mir fast in gleichem Alter standen, und wir Alle waren fröhlich und unschuldig. An Neckereien und Schelmenstreichen, wenn wir allein waren, fehlte es nicht, und manchmal mußten uns die schönen Coiffuren und anderen Putzsachen, welche wir für die reichen und vornehmen Damen arbeiten mußten, zu allerlei phantastischen Verkleidungen dienen, wie wir dieselben aus dem Theater kannten, das wir bisweilen besuchen durften, und wir sagten einander lachende Complimente über unser Aussehen.

Einmal waren wir besonders ausgelassen. Meine Gefährtinnen hatten mir das Haar mit dunkelrothen Korallen durchflochten und mich mit einem prächtigen Shawltuch drapirt, um mich zur ‚schönen Rebecca‘ – wir hatten kurz vorher den Templer und die Jüdin gesehen – zu machen. Kaum war die Costumirung beendet, da klingelte die Hausthür und meine Gefährtinnen liefen behend in ein anderes Zimmer, indem sie die Thür hinter sich abschlossen und mich damit zwangen, in dem Laden zu bleiben. Ich glaubte wie sie, daß es ein Dienstmädchen aus einem benachbarten Hause sei, welches zum Abholen eines Putzstücks erwartet wurde und mit dem wir auf freundlichem Fuße standen; aber trotzdem ärgerte ich mich über meinen Anzug und wollte rasch den Schmuck aus meinen Haaren lösen, allein in demselben Augenblick schon ging die Thür auf und statt des Dienstmädchens trat ein Herr in das Zimmer. Ich hätte in die Erde sinken mögen. Der Fremde sah verwundert auf meine abenteuerliche Kleidung, mußte aber zugleich meine Verwirrung bemerken, denn er lächelte und nannte dann gleich darauf die Ursache seines Kommens. Er sagte mir, daß er ein Maler sei und zur Ausführung eines Gemäldes besonderer Stoffe für die richtige Drapirung bedürfe, die er hier zu finden hoffe. Sein Ton klang freundlich, so daß ich allmählich Muth gewann, ihn genauer anzusehen, und da sah ich, daß es ein junger und schöner Mann war, der zu mir sprach, mit prächtigen blonden Locken und feurigen, blauen Augen. Während ich ihm die verlangten Stoffe vorlegte, fühlte ich wieder, daß er mich prüfend anblickte, und dann that er einzelne Fragen nach meiner Herkunft, meiner Stellung hier im Hause und sprach etwas von dem Wunsch, mich zu einem Studienkopf zu benutzen. Ich war auf’s Neue verwirrt und wußte nicht Ja noch Nein zu sagen, daher verwies ich ihn an meine Principalin. Mit dieser redete er dann später die Sache ab, und wenige Tage später saß ich dem Maler zu seinem Bilde.“

(Schluß folgt.)




Deutschlands große Industriewerkstätten.
3. Die Griesheimer Klenger.


Der hercynische Wald, der sonst ganz Germanien bedeckte, ist längst in viele einzelne Wälder zerschlagen, wie auch der Reichsforst Karl’s des Großen um Frankfurt am Main, der Forehahi, längst gelichtet ist. Urwälder, die sich selbst fortpflanzen, giebt es nur noch in Amerika. Die Erhaltung und Fortpflanzung der Wälder der Culturvölker ist längst dem forstwissenschaftlichen Waldbaue anheimgefallen und selbst in der neuen Welt muß da, wo das Feuer die Urwälder vernichtet hat, Wald bald wieder künstlich angebaut werden. In dem forstwissenschaftlichen Betriebe, im Aushauen und Abholzen der Waldbestände und in den neuen Anpflanzungen, in diesem richtigen Wechsel beruht die Bedeutung und der Segen der Forstcultur und der durch sie erzielte volkswirthschaftliche Reichthum. Aber wenn man neue Wälder anpflanzen will, muß man auch Samen haben und ihn ausstreuen. Diese Forstcultur macht die Hauptaufgabe der Forstleute aus.

Anderthalb Stunden von Darmstadt, nicht weit von der Hauptlandstraße nach Mainz, liegt das große und reinliche lutherische Pfarrdorf Griesheim, das etwa vierhundert Häuser und an dreitausend Einwohner zählt. Die rührigen Bewohner waren von jeher durch ihre großen Kiefernwaldungen und ihre ausgedehnten Wiesen auf Einsammeln von Waldsamen und Arznei-Kräutern von der Natur hingewiesen und entwickelten nach und nach eine Thätigkeit und einen Gewerbfleiß, der einzig in seiner Art ist. Namentlich sammelten sie während des Winters die Kiefernzapfen ihrer Wälder und selbst die ärmeren Leute nahmen in ihren gutgeheizten Stuben das Ausklengen der Kiefernzapfen vor, und so wurde jeder Einzelne ein Samenhändler im Kleinen. Im Besitze praktischer Kenntnisse, lieferten sie nicht allein den Apotheken weithin Arzneikräuter, sondern warfen sich auch hauptsächlich auf das Sammeln von Grassamen, mit welchem ihr Handel, wie der mit Waldsamen, immer ausgedehnter wurde. Sie versorgten mit ihren Felderzeugnissen nicht blos die Nähe und die weitere Umgegend, sondern trieben auch mit ihren deutschen Gewürzen, namentlich mit Zwiebeln, ihren Großhandel bis nach London auf den Coventgardenmarkt, wo ihnen der Verfasser schon vor vielen Jahren häufig begegnet ist. Sie bilden in der Weltstadt London einen wohlthätigen und erfreulichen Gegensatz zu den armseligen und unglücklichen Fliegenwedel- und Besenmädchen Oberhessens. Die Frauen wie die Männer zeichnen sich durch gesunden Menschenverstand, scharfen Mutterwitz und Schlagfertigkeit der Rede aus, wie sie auch schon im Aeußern durch ihre rührige Beweglichkeit und namentlich die Frauen durch die kleine, runde Form ihrer Strohhüte sich bemerkbar machen.

Es giebt wohl wenige Dörfer in Deutschland, die sich einer größeren und ausgedehnteren bäuerlichen Volkswirthschaft erfreuen, wie die Griesheimer, denen man gerade deshalb in der Umgegend durch allerlei Nachreden etwas anzuhängen gesucht hat, unter andern den Schimpfnamen „Kukuk“, mit dem sie spottweise gerufen werden. Das soll sich davon herschreiben. Die Griesheimer hatten einmal einen Kukuk gefangen und hielten den für eine so große Naturmerkwürdigkeit, nämlich für einen Papagei, daß sie ihn durch eine Deputation feierlich dem Landgrafen überbringen ließen. Der Landgraf that, als ob er das Thier sehr bewunderte, und sprach: „Ihr könntet mir noch eine Freude machen, wenn Ihr mir auch noch das Nest des raren Vogels bringen und mir zum Geschenk machen wolltet.“ „Das müssen wir erst mit unseren Mitbürgern berathschlagen,“ sprachen die Deputirten und gingen nach Griesheim zurück. Dort wurde sogleich der Gemeinderath zusammenberufen und ihm die Frage vorgelegt. Sprach der Bürgermeister: „Das Nest des raren Vogels ist das ganze Eichenwäldchen drüben, wie sollen wir dies nun nach Darmstadt bringen?“ Sie beriethen drei Tage hierüber, machten an Ort und Stelle selbst Pläne, aber es wollte nicht gehen. Da schickten sie die Deputation wieder zum Landgrafen und ließen ihm sagen, das Nest gäben sie ihm gerne, aber er müsse es sich selbst holen. Nachdem der Landgraf herausgebracht, was sie unter dem Neste verstanden, sprach er: Er danke für das schöne Geschenk, aber er wolle der Merkwürdigkeit willen das Nest da lassen, wo es Gott hingesetzt habe. So verloren die Griesheimer den schönen Eichenwald und erwarben sich als Ersatz dafür den Namen „Kukuk“.

Es konnte mit der Zeit gar nicht ausbleiben, daß die einzelnen Griesheimer Tannenzapfenbrecher in Genossenschaften und geschäftlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_132.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)