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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 9.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Getrennt.


Von Von F. L. Reimar.
(Fortsetzung.)


Wenn Feldern sich der lauten und bunten Genossenschaft entzog, so liebte er es dagegen sehr, einsame Spaziergänge zu machen. Meistens führte ihn dann der Weg in die benachbarten Berge, wo er häufig einen Steinbruch besuchte, der nicht allein ein äußerst pittoreskes Bild bot, sondern ihn auch dadurch anzog, daß darin gerade großartige Sprengungen vorgenommen wurden. Auch heute hatte er lange dem Werke zugeschaut und mit lebhaftem Interesse beobachtet, wie sich die mächtigen Steinmassen durch die Wirkung eines einzigen Funkens von ihrer granitnen Basis lösten, auf der sie Jahrtausende hindurch jeder Naturgewalt getrotzt hatten. Eben hatte er sich gewandt, um den Rückweg anzutreten, als lachende, fröhliche Stimmen an sein Ohr schlugen, und bei einer Biegung der Straße erblickte er einen ihm entgegenkommenden Zug von Reitern, Melanie an der Spitze derselben. Er wurde angehalten, begrüßt und es gab kurze Hin- und Widerreden, bei denen er der Sprengungen Erwähnung that und das imposante Schauspiel rühmte.

„Dem müssen wir auch beiwohnen; folgen Sie mir, meine Herren!“ rief Melanie in der Aufregung, die bei der unvermutheten Begegnung über sie gekommen war, hastig und wandte in demselben Augenblicke ihr Pferd nach der Seite des Steinbruchs zu.

„Nein, nein, nicht dorthinaus,“ rief Feldern, „die Richtung ist gefährlich! Es kann jeden Augenblick eine Explosion erfolgen!“

Aber sie hörte nicht oder schien nicht zu hören und war der übrigen Gesellschaft schon eine Strecke vorausgesprengt. Feldern eilte ihr erschrocken nach und hatte sie in wenigen Minuten erreicht.

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, Melanie noch nicht Zeit zur Antwort gehabt, als mit donnerartigem Getöse die Explosion erfolgte. In demselben Augenblick sah sie, wie Feldern als ob vom Blitz getroffen zusammensank. Ein lauter Angstschrei rang sich aus ihrer Brust und ehe die übrigen Reiter herbeikommen konnten, war sie von ihrem Pferde herab und an der Seite des leblos Daliegenden, dem das Blut aus der Schläfe strömte. Ein Stein von der Größe einer welschen Nuß hatte ihn dort getroffen – ob zum Tode, ließ sich in diesem Augenblick noch nicht unterscheiden. Die Herren hielten eine kurze Berathung, was in dieser schwierigen Lage zu thun sei, und kamen überein, daß es gefährlich sein möchte, den Verwundeten auf der Stelle zu transportiren; sie beschlossen vielmehr, aus dem Badeorte ärztliche Hülfe herbeizuholen und dort zugleich das bequemste Mittel, das aufzutreiben war, zu requiriren, um ihn nach seiner Wohnung zu schaffen.

Während einige von ihnen den etwa eine halbe Stunde betragenden Weg zurücksprengten, blieben die anderen als Hüter an der Unglücksstätte zurück. Melanie kniete auf dem Boden; der Kopf des Verwundeten ruhte in ihrem Schoße und sie suchte mit ihrem Tuche das hervorquellende Blut zu stillen, indem sie in stummer Angst auf die bleichen Züge blickte, die immer noch kein Zeichen des Lebens verriethen, wenn der schwach klopfende Puls auch erkennen ließ, daß dasselbe noch nicht ganz entwichen war. – Endlich und endlich kam der Arzt. Melanie wagte kaum zu athmen, als er sich über den Verwundeten beugte, und als er sich dann mit den Worten von seiner Untersuchung erhob: „Es ist nur eine tiefe Ohnmacht – er wird wieder zu sich kommen,“ drohten ihre eigenen Kräfte sie zu verlassen. Die körperliche Schwäche dauerte jedoch nur einen Moment und in der nächsten Minute schon leistete sie dem Arzt thätigen Beistand bei der Behandlung des Verwundeten, welchem ein vorläufiger Verband angelegt werden sollte. Ihre Hand erwies sich als so leicht und geschickt, daß der Arzt ihre Hülfe gern annahm, und er wie die anderen Herren ließen es als beinahe selbstverständlich geschehen, daß sie an Feldern’s Seite Platz nahm, als der Wagen erschien, welcher den Kranken nach seiner Wohnung bringen sollte.

Aber auch hier verließ sie ihn nicht. „Glauben Sie, daß eine Schauspielerin nicht auch einmal barmherzige Schwester sein kann?“ fragte sie mit einem schwachen Lächeln, als der Arzt sich mit den Herren über die Einrichtung der Pflege Feldern’s berieth. „Lassen Sie mir meinen Posten.“

Man wagte nicht, ihr die Bitte abzuschlagen, um so weniger, als sie schon bewiesen hatte, daß sie die äußerste Sorgsamkeit für ihr Amt mitbringe, und diese hatte der Arzt für unbedingt nöthig erklärt, wenn das Leben des Kranken, das immer noch in großer Gefahr war, erhalten bleiben sollte. Doch müsse es sich, hatte er hinzugefügt, in sehr kurzer Zeit entscheiden, wie der Ausgang sein würde. Einer der Herren übernahm es, Feldern’s Gattin auf telegraphischem Wege von dem unglücklichen Ereigniß in Kenntniß zu setzen, da es als die natürlichste Pflicht erschien, sie an seine Seite zu rufen. –

Alma hatte mit voller Ueberzeugung gesprochen, als sie ihren Gatten vor ihrer Mutter vertheidigte. Es war nie ein Zweifel an Feldern’s lauterster Ehrenhaftigkeit in ihre Seele gekommen, und darum durfte sie stolz jede Verdächtigung von sich weisen. Aber Gift hat eine furchtbare Gewalt, die schon in dem kleinsten Tröpfchen enthalten ist, und ein solcher Tropfen war doch, ohne daß sie es wußte, daß sie es nur für möglich gehalten hätte, bei

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_129.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)