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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Dann erhalte Gott den Herrn gesund!“

Hiermit verneigte er sich und schob sich zur Thür hinaus. Die Schützen aus dem Dorfe, neun an der Zahl, hatten sich auf meine Einladung etwa um sieben einhalb Uhr Abends eingefunden. Da ich nun durch meinen Hofrichter Alles, was zum Treiben am folgenden Tage nöthig war, bestellt hatte und uns sonst nichts im Wege stand, so machten wir uns auf den Weg zur Heerde.

Den Vurfu, dessen Gipfel ein mächtiger Buchenwald bedeckt, erreichten wir bald. Sogleich spürten uns die wachsamen, weißen, zottigen Hirtenhunde und kamen uns mit wüthendem Gebell entgegengerannt. Gleich darauf eilten auch die Hirten heran, und ihrem Rufe gehorsam kehrten die treuen Hunde knurrend zu der Heerde zurück. Die Hirten, welchen unsere Ankunft äußerst erwünscht war, führten uns sogleich an das flammende Lagerfeuer, dessen feurige Lohe funkensprühend weithin die Umgebung erhellte. Wir setzten uns Alle auf Holzklötze um das Feuer herum und erwärmten unsere von der grimmen Kälte erstarrten Glieder an der wohlthuenden Flamme.

„Glaubst Du, der Wolf werde diese Nacht die Heerde wieder besuchen, Basil?“ fragte ein Jäger, indem er sich zu dem neben ihm stehenden Hirten wandte, der eben eine glühende Kohle in seine Tabakspfeife legte.

„Möglich und auch nicht!“ erwiderte dieser lakonisch. „Wenn er das Pulver gerochen hat, trägt er seinen Pelz sicher nicht zu Markte.“

„Nun, dann wird er doch beim morgigen Treiben herhalten müssen, wenn wir ihn nicht schon bis Tagesanbruch auf dem Anstande erlegt haben.“

In diesem Augenblicke schlugen die Hunde laut an, verstummten jedoch gleich wieder. Wir erhoben uns rasch und eilten zur Heerde hin. Wieder erscholl nun das weithin hallende, geltende Heulen der Hunde.

„Diesmal ist der Wolf da!“ flüsterte mir ein Jäger zu; „eilen wir rasch hinauf!“

Als wir jedoch am Gipfel des Berges anlangten, war das Raubthier, welches einen Einbruch in die wohlbewachte Heerde nicht gewagt hatte, schon im nahen Walde verschwunden. Einige Zeit blieben wir rathlos stehen.

„Zögern wir nicht lange!“ rief Andre, der beste Schütze. „Ihr Andern geht, bis die Treiber erscheinen, zur Heerde hinab, indeß ich versuchen will in der Zeit das Raubthier durch den Lockruf dem Herrn zum Schusse zu bringen.“

Der Weisung gemäß gingen die übrigen Jäger zurück; Andre aber und ich eilten mit raschen Schritten in den Wald hinein. Hier lag noch der Schnee, der auf dem offenen Lande geschmolzen war, und knarrte unter unseren Fußtritten. Die mächtigen kahlen Buchenstämme waren mit dünnem, durchsichtigem Reife überzogen, welcher, von dem mit falbem Glanze durch die Zweige schimmernden Monde beleuchtet, wie Milliarden von Diamanten flimmerte und glänzte. Auch der Schnee am Boden glitzerte so sehr, daß mir die Augen feucht wurden. Alles im Walde war still und ruhig, nur das Aechzen einiger vom Winde gebeugten Aeste und das Knistern des Schnees unter unseren Fußtritten war vernehmbar.

Wir mochten etwa eine Viertelstunde vorwärtsgeschritten sein, als mein Begleiter plötzlich lauschend still stand. „Ich irre nicht! Ich habe des Wolfes Ruf gehört! Wir wollen nun nicht weiter vordringen, sondern uns hier postiren. Bergt Euch rasch hinter jener dicken Buche dort und haltet die Büchse zur Hand.“

Ich folgte der Weisung. Andre eilte weiter hinauf und stellte sich gleichfalls hinter einer dicken, mächtigen Buche auf, lehnte aber, was mich in Erstaunen setzte, seine Büchse an den Stamm des Baumes. Hierauf legte er beide Hände zusammen, so daß sie eine eiförmige Höhlung bildeten, und brachte sie an den Mund. Der täuschend nachgeahmte dumpfe Ruf des Wolfes, das weithin schallende Hu–u–u–u–u–u–u–u, nach der Tonleiter steigend und fallend, erscholl. Nicht lange darauf antwortete ein ähnlicher langgedehnter Ruf, jedoch, wie es schien, aus weiter Ferne. Nach verschiedenen Pausen, je nachdem Andre im Lockrufe anhielt, erschallte das Geheul des Wolfes, und zwar immer näher und näher, bis es plötzlich verstummte. Nun stieß Andre den Ruf in dumpfen, knurrenden Tönen heraus, ließ die Hände rasch vom Munde sinken und erfaßte die Büchse. Plötzlich erdröhnte das markerschütternde Hu–u–u–u–u–u kaum hundert Schritte oberhalb unserer Standplätze. In solcher Nähe hatte ich die Stimme des Wolfes noch nie vernommen, sie machte mich in meinem Innern erbeben. Etwa siebenzig Schritte oberhalb Andre’s erschien zwischen den Stämmen ein hohes, schlankes Thier, von der Größe eines Schäferhundes, braun, mit dickem Kopfe, spitzer Schnauze, schmalem Leibe, langen Füßen und buschigem Schwanze – der Wolf. Er schaute mit aufgeworfenem Kopfe spähend umher, als suche er den Gegner, auf dessen aufforderndes Geheul er sich herangenaht, um sich mit demselben zu messen. Dann senkte er den Kopf und stieß nochmals auffordernd sein markerschütterndes Geheul aus, indem er sich Andre näherte. Doch dies sollte zugleich sein Schwanengesang sein, denn in diesem Augenblicke blitzte es aus Andre’s Büchse. Ein dumpfer Knall ertönte, hierauf ein heiseres Geheul, dem eines geschlagenen Hundes nicht unähnlich. Im nächsten Augenblicke sprang der Wolf in großen Sätzen an mir vorüber. Meine Kugel flog ihm pfeifend nach.

Als sich der Pulverdampf verzogen, wälzte der Wolf sich in den letzten Zuckungen auf dem von seinem Blute gerötheten Schnee und einige Augenblicke später war er verendet.

„Den hätten wir!“ meinte Andre, indem er mit mir zum erlegten Raubthiere herantrat, „doch haben wir weiter keine Zeit zu verlieren, denn der Morgen dämmert bald. Ich werde also das Wild, ohne ihm vorher den Pelz abzustreifen, in Sicherheit bringen.“

Er beugte sich über den erlegten Wolf und löste ihm rasch durch den Schnitt seines Messers die Sehnen der Hinterfüße von den Knochen, hob ihn hierauf mit meiner Hülfe in die Höhe und befestigte die Füße an einen Ast. Kaum war dieses geschehen, als auch vom Saume des Waldes her ein greller Pfiff ertönte; es war dies das Zeichen, daß sich alle Jäger eingefunden und daß die Treiber den Wald umstellt hatten.

Wir eilten rasch zur Lichtung des Gehölzes zurück und fanden die Schützen daselbst versammelt.

„Nun rasch die Linie gebildet!“ gebot Andre.

Wir leisteten Folge, schritten in den Wald hinein und nahmen Jeder, in gehöriger Distanz, den Stand ein. Bald darauf ertönte das laute Geschrei der sich nahenden Treiber, das im mächtigen Walde ein entsetzliches Getöse verursachte. Schon war die heranrückende Linie der Treiber kaum tausend Schritte von uns entfernt und noch immer zeigte sich kein Wolf. Bereits glaubten wir, daß der erlegte der einzige in diesem Reviere gewesen sei, als plötzlich eine große Wölfin hinter einer Buche aufsprang und in wilden Sprüngen in den Wald hineinstürmte. Sie that dies so blitzesschnell, daß kein Schütze Feuer gegeben hatte. Auf ein gegebenes Zeichen verdoppelte sich das Geschrei und der Lärm der sich langsam nahenden Treiber. Durch dies Getöse erschreckt, kehrte sich die Wölfin abermals zu unserer Linie und näherte sich uns, durch die Buchenstämme gedeckt, sehr vorsichtig. Nunmehr stieß sie ein wildes Geheul aus und wollte in jähem Sprunge unsere Linie durchbrechen. Doch mitten im Sprunge durchbohrten sie die sichertreffenden Kugeln der Schützen, und dicke Blutströme vergießend stürzte sie röchelnd zu Boden.

Eben zeigte die Sonne den Mittag an, als wir in das Dorf zurückkehrten. Wie im Triumphe wurden die beiden erlegten Raubthiere auf geflochtenen, mit Immergrün und Moos geschmückten Tragbahren dem stattlichen Zuge der Jäger vorangetragen, umschwärmt von den fröhlichen, jubelnden Dörflern, die sich über den Tod der Räuber nicht genug freuen konnten.

Albert Amlacher.




Der Pelz des Starosten. Canon[WS 1] ist ein genialer Maler, aber ein lustiges Haus, wie so manche Künstlernatur. Castelli war eine literarische und journalistische Biene, auch ein lebenslustiger, pudelnärrischer Kauz mit allerlei Schnurren und schnackischen Einfällen, ein lebendiges Anekdotenbüchlein, aber ein Oekonom, der pedantisch seine Silberlinge sammelte, während Canon die seinigen in alle Welt springen läßt. Beide aber waren echte Wiener.

Wir sagten, Canon ist und Castelli war, denn jener gehört noch der Sterblichkeit, dieser schon der Unsterblichkeit an. Beide waren Lebemänner, nur lebte der Dichter besonnen, der Maler ein wenig unbesonnen in den Tag und die Nacht hinein. Castelli war rangirt, er hatte Orden, unzählige Schnupftabaksdosen, Münzen, Gemälde, Staatspapiere, ja sogar ein kleines Landgütchen, groß genug für einen alten Junggesellen, und allenfalls für einen Hahn mit seiner ganzen Familie auch noch dazu. Canon besaß nichts dergleichen, er verschmähte solchen irdischen Tand. Sein ganzes Vermögen bestand in seinem Genie und in einigen Wechselbriefen, die ihn im Jahre dreihundert und fünfundsechszig Mal die Adresse zu wechseln zwangen. Wir fügen noch hinzu, daß der lustige Castelli fast um ein halbes Jahrhundert älter als der lustige Canon war.

Der Schwank, den wir hier mitzutheilen uns erlauben, spielt in einem etwas strengen Winter, und Castelli trug einen stattlichen russischen Pelz, an welchem sein junger Freund Canon ein besonderes Wohlgefallen fand. Castelli nannte seinen Pelz seinen wandernden Ofen, von dem er sich um keinen Preis zu trennen entschließen könnte, aber dennoch wollte ihn sich Canon annectiren, wie man in neuester Zeit zu sagen pflegt.

„Da soll ich einen Starosten malen, in Lebensgröße malen,“ sagte er eines Abends verdrießlich, als sie wie gewöhnlich beisammen saßen, „aber er hat mir nichts als sein dummes Gesicht aus Petersburg geschickt.“

„Das ist eine schwierige Aufgabe.“

„Er hat mir freilich das Maß seiner Länge und Breite beigeschlossen, aber ich weiß nicht, in welchen Rock ich den Kerl stecken soll.“

„Das ist ja Nebensache. Ich würde ihm einen schwarzen Frack anziehen.“

„Wo denkst Du hin! Ein Starost im Frack sähe wie ein Bacchus im Flügelkleide aus. Das Kleid macht den Mann, und beide müssen harmoniren, wenn ich was Tüchtiges schaffen soll.“

„So ziehe ihm eine Kosaken-Uniform –“

„Ja, wenn er ein Hauptmann wäre, aber mein Starost ist nichts als ein alter Philister, der nur seine Millionen zu commandiren und seine Leibeigenen zu knuten hat.“

„Teufel, da wird man Dir zu einer artigen Rolle Ducaten gratuliren können.“

„Ja wohl, darum will ich nichts Gewöhnliches zu Tage fördern. Tausendsapperment, da fällt mir etwas ein. Unbegreiflich, daß ich nicht gleich auf den Gedanken gekommen bin. Man ist rein vernagelt zuweilen.“

„Nun? Hast Du einen Rock für Deinen Starosten gefunden?“

„Keinen Rock, aber einen famosen russischen Pelz, lieber Freund.“

„Einen Pelz?“

„Ja, Deinen Pelz, mein guter Castelli. Du mußt so gefällig sein, ihn mir auf einige Stunden zu leihen.“

„Leihen?“ fragte Castelli die Nase rümpfend, denn der alte Herr war kein besonderer Freund von Leihen und Borgen.

„Das wird Dich doch nicht geniren? Du hast ja Kleidungsstücke genug, um Deinen Pelz ein paar Stunden entbehren zu können.“

„Wirklich ein paar Stunden nur?“

„Nicht länger, als ich brauche, die Skizze auf die Leinwand zu werfen.“

„Nun, gut, begleite mich nach Hause. Du kannst den Pelz gleich mitnehmen, aber morgen, spätestens um zehn Uhr, stellst Du mir ihn zurück.“

„O, viel, viel früher! Du hilfst mir da aus einer peinlichen Verlegenheit und sollst dafür meinen Starosten en miniature für eine Dose haben.“

Die beiden Freunde verließen die Kneipe, und eine halbe Stunde später schritt Canon wie ein Magnat in dem schönen russischen Pelz seiner Wohnung zu.

Am andern Tage wartete Castelli vergebens auf seinen Pelz. Auch der dritte Tag verging, und weder Canon noch der Pelz ließ sich sehen. Castelli schickte in die Wohnung des Malers, aber dieser war ausgezogen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hans Canon (1829–1885)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_127.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)