Seite:Die Gartenlaube (1867) 121.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

warum wollten Sie das nicht wollen? Aber mich dünkt, Sie haben es vielleicht noch nicht ernsthaft gewollt, weil etwa bei reizbaren Nerven, getäuschten Hoffnungen, vielfach zerrissenen Plänen die Willensstärke den Aufwallungen Ihres Gemüths nicht gewachsen zu schein schien. – Aber glauben Sie mir, es schien Ihnen nur so.

Ich fühlte mich einst wie Sie sich, und zwar manches Jahr. Ich war unglücklich bei reinem Gewissen und gesundem Körper. Ich sah mehr Leiden im Leben, als Lust. Lange glaubt’ ich, die Schuld liege an meinem Schicksal, nicht an mir. Es kam mir vor, als hänge sich ein Verderben an Alles, was ich mit Vorliebe umfaßte. Hintennach kam mir der Gedanke, die Schuld könne auch wohl an meinem Eigensinn, an meiner sittlichen Selbstverzärtelung, an meinem kindischen Unmuth liegen, daß Welt und Leben sich nicht nach meiner Individualität richten mochten. Ich ward argwöhnisch gegen mich. Ich war inmitten meiner zwanziger Jahre. In wahrhafter Verzweiflung beschloß ich, es koste was es wolle, eine stoische Apathie in mir zu erzwingen; von Menschen keine Liebe, vom Glück keine Gunst, von der Welt keine Anerkennung zu hoffen, vom Schicksal aber auch keine Schläge, auch den härtesten nicht, zu fürchten. In diesem Sinn übt’ ich mich auf alle Weise Jahre lang. Ich suchte meine Freude gerade in der Verarmung an den Freuden; ich nahm die Blume, die mir der Tag zuwarf, stillgenießend, aber sagte mir: sie welkt bald; ich ließ mich von den Dornen des Tages verwunden und sagte mir: gleichviel, die Wunde heilt bald. Ich hing mich an nichts mit zu großer Innigkeit; wollte meine Gleichmüthigkeit für nichts hinopfern; wollte nur leiblich gesund, geistig hell, persönlich von allen Menschen und ihrem Urtheil unabhängig sein, zufrieden, wenn ich das Nothdürftigste hätte.

Es gelang mir. Siehe da, statt von den vermeinten Leiden des Lebens besiegt zu sein, war ich der Sieger über Welt und Schicksal geworden; ich ward es noch mehr, als ich mir Alles im Leben dadurch vergoldete, daß ich nur an Tugend glaubte, daß ich die Sünde, wie bei mir, so bei Allen, für Verirrung erkannte, daß ich jedem Uebel eine schöne Seite abgewann, selbst mit Gefahr, mich zu täuschen, daß ich Andre nicht mehr nach ihren Fehlern, sondern nach ihren möglichen guten Eigenschaften behandelte.

Von da an ward ich ein glücklicher Mensch; mir ward mehr Freude, als ich verdiente. Ich fühlte weniger Schmerzen, weil, bei meiner Resignation, ich nicht mehr sehr zu verwunden war.

Sehen Sie, Lieber, ich spreche zu Ihnen, wie ein Bruder. Ich bin glücklich, heut noch; werden Sie es auch. Es kann kein Mensch elend sein, wenn er es nicht sein will. Jetzt werden Sie auch mein Bild vom Alamontade verstehen, das ich wie aus meinem Innersten hinstellte, als ich in meiner heiligen Apathie schon einige Festigkeit gewonnen hatte.

Behalten Sie mich lieb. Empfangen Sie noch einmal meinen Dank für Ihre Güte. Wenn ich noch einmal einen Ausflug bis Hamburg mache, was wohl möglich ist, denn jährlich mach’ ich solchen meiner Gesundheit willen, so such’ ich Sie gewiß in Ihrer Wohnung auf.

Leben Sie wohl. Ich bin und bleibe von ganzem Herzem etc.


Aarau, d. 13. Juni 1832.

Ihr lieber Brief mit den Beilagen kam vorgestern zu mir. Am meisten freut’ ich mich von Ihnen zu lesen, daß Sie die Ruhe und Freudigkeit Ihres Herzens wieder erobert haben. Mein Antheil an dieser Eroberung mag geringer für Sie gewesen sein, als sich Ihr Wohlwollen für mich glauben machen will. Aber dem sei, wie ihm wolle, ich preise Sie glücklich, wenn Sie, durch bloße Macht des Willens, Meister Ihrer reizbaren Gefühle geworden sind. Es wird nicht an Aufruhr der Unterjochten fehlen, um die alte Gewalt, wenn auch nur vorübergehend, wieder zu erringen. Aber Sie haben für das ganze Leben ein stillheitres Leben gewonnen, wenn Sie nicht zwar die stete Freudigkeit des Gemüths, aber eine immerwährende an Resignation grenzende Gelassenheit des Gemüths unter allen Schicksalen behaupten können.

Ihr Brief kam in einem nicht gewöhnlichen Lebensaugenblick zu mir. Ich hatte ihn eben geöffnet. Ich blätterte in dem kleinen rothen Festbüchlein[1] mit der Einzeichnung „eines der Freude wiedergegebenen Herzens.“ Da trat mein ältester Sohn herein, an seiner Hand ein treffliches Mädchen (Nichte des Deputirten Köchlin in Paris), um sie, die ihn schon lange schweigend und hoffnungslos liebte, als seine Verlobte mir vorzustellen. Ich umarmte sie schweigend. Es war ihr zuviel. Erst am Tag vorher hatte ihr mein Sohn sein Herz geöffnet. Sie war der Ohnmacht nahe. Erschrocken wollt’ ich sie zerstreuen und gab ihr das rothe Büchlein mit dem „der Freude wiedergegebenen Herzen“ zum Geschenk, bis endlich auch ein Glas Wasser herbeigebracht ward. Sie hielt das Buch noch immer an ihr Herz gedrückt. Es wird ihr ein bleibendes Denkmal der schmerzhaften Seligkeit dieser Minute sein, schmerzhaft bis die Thränen flossen. – Das war also das Schicksal Ihres Festtagsbüchleins in der Stunde seiner Ankunft bei mir. Es war ein zu schönes, als daß ich’s dem Verfasser nicht erzählen und damit zugleich Verzeihung für die Weggabe seines Geschenks erhalten sollte.

Ihr etc.     


Vom Rigi d. 28. Juni 1834.

Dank Ihnen, mein theuerster Herr, für Ihren lieben Brief vom 22. März, den ich erst jetzt beantworte, da ich mir selber in der Alpenstille ungestörter angehören kann. Er begleitete mich hierher neben andern Freundesbriefen, um mein Wohlleben in der Einsamkeit zu vermehren, zumal an düstern Regentagen. Ich sitze da zwischen Wolken, die sich umherjagen und mir von Zeit zu Zeit einen Blick in die Unterwelt gönnen, oder auf die vor meinem Fenster schwebenden Gebirge und Gletscher.

Am meisten freute mich in Ihrem Briefe die Ruhe Ihres Gemüthes. Sie sind auf dem Wege des wahren Glückes. Was die Scrupel wegen der Willensfreiheit betrifft, lassen Sie sich von denselben nicht bedrängen. Wer mit seinem grübelnden Verstande diese Freiheit verleugnet, dem widerspricht das Innerste seines Bewußtseins gradezu. Wer sie schlechthin behauptet, dem widerspricht gradezu die Beobachtung täglicher Erfahrungen; daher nothwendig, durch die zwei unleugbaren Fälle, Zweifel.

Das Thier, ohne denkenden Geist, ohne Idee des Heiligen, Wahren und Schönen, hat nur ein Gesetz der Natur. Es wird von seinen Trieben getrieben. Es kann nicht anders als es muß. Der Mensch ist auch Thier, und als solches dem Naturgesetz unterthan, gleich jedem andern Thiere. Er hat sogar das Wissen davon; denn er ist ein in der Thierheit eingekleideter Geist, dadurch Bürger einer andern Region des göttlichen All’s; in der Natur zwar, aber erhaben über sie, und einem andern, höhern Gesetz untergeben, welches er Vernunft nennt, im Einklang mit der Natur, und so allgemein, wie sie, und so gleichförmig und unwandelbar wie das Naturgesetz. – So tragen wir ein doppeltes Gesetz in uns, das Thier nur ein einziges. Daher ist für uns in Collisionsfällen eine Wahl zwischen beiden möglich. Wir werden äußerlich durch Umstände, Erfahrungen und Talente in der Welt gelenkt und gedrängt; aber über die innere Welt, dem Drang der Schicksale sogar entgegen, bestimmt sich der Geist zum Handeln und zu dem, was recht und heilig, was wahr und ewig sicher ist. Das Thier und der Mensch als Thier strebt nur sinnlich dem zu, was ihm leiblich oder gefühlsweise behaglich oder reizend ist. Wo sich im Gemüth Geist und Sinnlichkeit berühren, offenbart sich der Sinn des Schönen, der allen Thieren abgeht, weil sie geistlos sind, gleich wie die Pflanzen seellos. Daher ist alles Schöne eine Vermählung des Ewigen, Wahren, Gerechten und Heiligen mit dem Anmuthigen für die Sinnlichkeit, – eine angenehme Verkörperung der Ideale, die in der Natur nicht leben; eine Verklärung der irdischen Annehmlichkeit durch das Göttlichere im Geiste.

Doch still mit meiner Wolken-Philosophie! Aber Ihr Brief verführte mich und ich wollte Ihnen nur Andeutung geben, wie ich über das denke, woran Sie noch irre zu sein scheinen. Vielleicht verführen diese paar Zeilen auch zu andern Betrachtungen und Sie hören auf, an der Wahlfreiheit des Mannes zu zweifeln, der vom Hohenfelde[2] nach Hamburg geht, um seiner Ueberzeugung gemäß eine gute That zu thun, aber nicht den kürzesten Weg dahin nehmen kann, weil er naturgemäß weder über Wall und Graben fliegen, noch durch Mauern der Häuser und Kirchen dringen

  1. Es war dies ein von mir damals eben herausgegebenes Bändchen Gedichte, das sich, roth gebunden, dem verehrten Manne zugeschickt hatte.
    H. N.
  2. Hohenfelde, wo ich damals wohnte und Vorsteher eines Pensions- und Erziehungs-Instituts war, liegt ganz in Hamburgs Nähe und wird jetzt, wo mit jedem Jahr die Baulust sich steigert, schon ganz als Vorstadt Hamburgs betrachtet.
    H. N.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_121.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)