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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Drehen und Wenden und durch Glätten mit dem Schnabel so nett aus Thier- und Pflanzenwolle und Roßhaaren, wie es keine Menschenhand kann. Dann legt das Weibchen fünf gar niedliche Eier mit hellrothen Pünktchen in das Nest und brütet sie in vierzehn Tagen aus. Getreulich wird es vom Hähnchen aus dem Kropfe gefüttert, so wie es die Tauben thun. Die niedlichsten Geschöpfe aber sind die Jungen. Sie wachsen wie das Gras und sind schon frühe rüstig und entschlossen wie die Alten, so daß sie bei der geringsten Störung aus dem Nest huschen. Bis zur Mauser im Herbst sehen sie auf dem ganzen Körper etwa so wie eine Lerche grau, mit Ausnahme der schwarzbraunen Flügel mit dem gelben Spiegel in der Mitte und der schwarzen Schwänzchen mit weißgetupften Enden. Auf den ersten Blick erkenn’ ich schon im Nest die Männchen: das sind die helleren mit den bleich graugelben Mäntelchen und wenigen Punkten auf der Brust; die mit der schwarzgrauen Färbung sind regelmäßig die Weibchen.

Die Hänflinge nisten weniger in der Nähe der Menschen. Das sind echte Waldvögel. Mit Ausnahme von manchen bebuschten Rainen, wählen sie immer am liebsten junge Fichten- und Tannendickichte zu ihrem Nistplatz. Da stehen gar oft die Nester dutzendweis. Sie sind zwar einfacher und nicht so schön gefilzt wie die Stieglitznester, aber immer niedlich und sauber, inwendig aus Roßhaaren oder Wolle, auswendig aus Würzelchen, Moos und Grashalmen geflochten. Die fünf bis sechs Jungen füttern die Alten wie die Stieglitze mit Sämereien aus dem Kropf und führen sie nach kurzer Zeit in die Felder, besonders an Rübsamen und Mohn. Gewöhnlich nisten sie, wie ihre Vettern Distelfinken, zwei Mal des Sommers. Die Schreier heute an der Tränke waren Junge von der zweiten Brut. So vermehren sich diese Vögel alljährlich nicht unbedeutend und thun manchen Schaden. Die Hänflinge sind die wahren Vögel im Hanfsamen, die Distelfinken besonders die Mohndiebe, welche mit ihren Schnäbeln die Mohnköpfe von unten anbohren, so daß aller Samen daraus zu Boden fällt. Aber diesen Schaden gleichen sie auch zum Theil wieder aus durch Verzehren von Unkrautsamen, und hundertfältig machen sie ihn wieder gut durch ihren Gesang, den die ‚Gabelschwänze‘“ – so nannte Fink die großen Exemplare unter den Stieglitzen – „fast das ganze Jahr über hören lassen.

Es giebt nämlich, müßt Ihr wissen, große und kleinere unter den Stieglitzen einer und derselben Gegend. Vornehmlich sind die großen, schöngefärbten Vögel auch die guten Schläger, während die trüberen kleinen meist einen stümperhaften Schlag führen, wie die Girlitze und Zeisige. Das sind Schwächlinge und meist Vögel von der zweiten Brut; aber keine besondere Art: denn ich habe gesehen, daß aus einem und demselben Neste Hähne von der großen und von der kleinen Sorte hervorgingen.“

„Auch von den Hänflingen,“ fuhr unser Naturweiser fort, „glauben die Leute gar oft Märchen. Sie meinen, die grauen, im ersten Jahr noch nicht ausgefärbten, oder die in den Stuben erzogenen, den Weibchen ähnlichen, seien eben graue Hänflinge, während die mit den blutrothen Brüsten und Scheiteln eine besondere Art, die Bluthänflinge, wären. Beide sind aber nichts anders als unser Hänfling, der sich allerdings in der Stube nie roth färbt, wie in der Freiheit. Da zieht er im zweiten und besonders im dritten Frühjahr ein wunderschönes blutroth gestreiftes Westchen über die beiden Seiten der Brust und eben solche Binde über den Scheitel und ein gelbes Halstuch um die Kehle und den Hals; da hat er eine rothbraune Capuze auf dem niedlichen Köpfchen über den Nacken herunter, die wie mit Reif überlaufen ist. Wird er gar im Freien ein altes Männchen, wie ich bin, so bekommt er statt des Blutroth ein Gelb, und dann nennen wir Vogelsteller unsern Liebling Steinhänfling. Ich muß gestehen, ich habe den Hänfling gar lieb, denn er ist eine heitere und dankbare Natur, die sich von augenblicklicher Noth nicht gleich einschüchtern läßt.“

Wir waren jetzt vor der Hütte Fink’s angekommen. Dankbar nahmen wir von dem erfahrenen Vogelsteller Abschied, der uns einen ebenso genuß- wie lehrreichen Tag verschafft hatte, an den wir uns noch heute mit innigem Vergnügen erinnern.[1]




Aus der Briefmappe des Weisen von der Blumenhalde.
I.

Die Gartenlaube theilte im Herbst 1865 ihren Lesern ein Lebensbild Heinrich Zschokke’s von der Hand seines Schwagers Friedrich Nüsperli und dazu eine Illustration mit, welche den Verfasser der „Stunden der Andacht“ im Garten seines Landsitzes „Blumenhalde“ bei Aarau darstellt. Wäre es nöthig gewesen, für einen Zschokke das allgemeine Interesse durch Wort und Bild besonders anzuregen, so konnte es durch Beides in der Gartenlaube im vollkommensten Maße geschehen. Indeß hat Zschokke selbst durch seine Schriften und sein Wirken als Staats- und Weltbürger dafür so genügend gesorgt, daß Nüsperli’s Aufgabe keine andere sein durfte, als den zahllosen Verehrern des seltenen Mannes einen Blick in die geweihte Stätte seines Lebensglücks und die Werkstätte seines Geistes, in sein Herz und sein Haus zu eröffnen. Was wir dort sahen und freudig bewunderten und was in seiner „Selbstschau“ seine eigene Hand uns zeigt, läßt uns in Heinrich Zschokke einen durch schwer errungene Willenskraft so bestimmt und fest ausgebauten Charakter, einen Mann mit so sorgsam erhaltener Gesundheit des Geistes, Herzens und Körpers erkennen, daß wir gern jede Gelegenheit ergreifen, die uns näher zu ihm hin und bis in den Kreis seiner Freunde führt. Eine solche Gelegenheit bietet sich uns in einer Reihe von Briefen Zschokke’s, welche er, und zwar erst von jener Zeit seines Lebens an, schrieb, welche er als seine „Sabbathsjahre“ bezeichnet, die er der „Welt- und Gottesanschauung“ als einem zweiten Theil seiner „Selbstschau“ widmete, Sie sind an Herrn Heinrich Ney in Hamburg gerichtet, und diesem verdanken wir die Erlaubniß, sie unserem Leserkreise im Auszug und mit den Bemerkungen mitzutheilen, welche derselbe hier und da ihnen beizufügen für nothwendig fand. Mit Recht sagt Herr Ney von diesen Briefen: „Sie werden Zeugniß von dem edlen Herzen und den liebevollen Gesinnungen des Dahingeschiedenen ablegen, und gar Mancher, der von den Zeitverhältnissen und andern Sorgen sich gedrückt fühlt, dürfte Ermuthigung darin finden und die Ueberzeugung gewinnen, daß es fast immer in unserer eigenen Macht steht, uns das getrübte Leben wieder heller und freundlicher zu gestalten.“




Aarau, den 22. März 1832.[2]

Unter andern Freundesbriefen spart’ ich mir auch den Ihrigen als den eines unbekannten Freundes für den heutigen Morgen zur Beantwortung auf.

Sie haben durch die Güte, mit der Sie mir schrieben, einen angenehmen Augenblick in mein Leben gelegt. Nicht das schöne Bild, welches vielleicht in Ihrer Vorstellung von mir schweben mag – gerade das ist das Demüthigende und Bittere für mein Selbstbewußtsein – nicht Beifall oder Dank sogar für den Schriftsteller erquickte mich, denn was uns in einem Schriftsteller Gutes anspricht, ist zuletzt immer nur das Gute in unserm eignen Selbst, welches widertönt, und der Schriftsteller, welcher nicht an unsere Person dachte, doch nur das Instrument, mit. dem uns eine unsichtbare Hand weckt; sondern die Ueberraschung ist das Angenehme, unerwartet in der göttlichen Geisterfamilie unterm Himmel einen neuen Wink, einen neuen Brudergruß zu empfangen.

Alles, was Sie mir sagen, verräth den edeln, tieffühlenden Mann, vielleicht zu tief fühlenden, und eben dadurch nicht glücklichen Mann. Wäre dies so, würd’ es mich schmerzen. Denn ein Herz, wie das Ihrige, verdient immer froh zu schlagen. Und

  1. Fürsprecher oder gar Verherrlicher des handwerksmäßigen, leidenschaftlichen Vogelfangs zu sein, kann dem wahren Freunde der Natur, folglich auch uns, niemals in den Sinn kommen. Wir schildern in diesen und einigen weiteren Mittheilungen Erlebnisse, geben Bilder aus dem Leben und Weben der Vogelwelt, unbekümmert um pedantische Schranken engherziger Pädagogen oder um allzu zarte ängstliche Gemüther. Manchen interessanten Charakterzug, manches kluge, menschliche List geradezu überbietende und vereitelnde Benehmen und Verhalten lernen wir erst an dem Vogel in der Lage der Versuchung oder Bedrängniß kennen. Und eben die genaue Kenntniß seines Wesens nöthigt uns Achtung vor Seelenäußerungen ab, die dem vorurtheilsfreien Beobachter mehr sind, als der oft verächtlich gebrauchte Begriff „Instinct“ besagen will.
  2. Zschokke’s einundsechzigster Geburtstag.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_120.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)